Tiktok: Personalisierte Werbung bald obligatorisch

Tiktok-Nutzer können personalisierte Werbung künftig nicht mehr ablehnen. Datenschützer halten das für unzulässig, Widerspruch ist aber nicht leicht.

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(Bild: Proxima Studio/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
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Der Kurzvideo-Dienst Tiktok hat angekündigt, seine Werbeeinstellungen zum 13. Juli 2022 zu ändern. Volljährige Nutzerinnen und Nutzer im Europäischen Wirtschaftsraum, dem Vereinigten Königreich und der Schweiz sollen personalisierte Werbung dann nicht mehr ablehnen können. Um die Werbung zu personalisieren, will Tiktok das Nutzerverhalten analysieren; als Grundlage dafür beruft sich der Dienst auf sein „berechtigtes Interesse“. Datenschützer kritisieren dieses Vorgehen und vermuten, dass es nicht mit der DSGVO vereinbar ist.

Derzeit braucht Tiktok noch die Einwilligung seiner Nutzerinnen und Nutzer, um ihnen personalisierte Werbung ausspielen und ihre Nutzerdaten dafür verwenden zu dürfen. Ab dem 13. Juli soll sich das ändern: Alle Volljährigen erhalten dann personalisierte Werbung – nur wer unter 18 ist, könne dem auch dann noch widersprechen. Volljährige Nutzerinnen und Nutzer sollen lediglich ablehnen können, dass Tiktok neben ihren Tiktok-Aktivitäten auch Daten von Dritten auswertet und nutzt, etwa von Tiktoks Werbe-, Mess- und Datenpartnern.

Tiktok betont, dass es bei Menschen, die personalisierter Werbung bisher widersprochen haben, nur die Tiktok-Aktivitäten ab dem 13. Juli 2022 und ausdrücklich keine Daten über Aktivitäten außerhalb des Dienstes als Grundlage für die Werbung nutzen will. Auf seiner Informationsseite zu den Änderungen erklärt Tiktok weiter, dass es sich ab diesem Datum „auf seine „berechtigten Interessen“ als Rechtsgrundlage für die Nutzung von Aktivitäten auf TikTok [stütze], um die Werbeanzeigen von Nutzern, die mindestens 18 Jahre alt sind, zu personalisieren“.

Damit beruft sich Tiktok implizit auf Artikel 6, Absatz 1, Buchstabe f der DSGVO, nach dem Datenverarbeitung rechtmäßig ist, wenn sie „zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich“ ist. Allerdings nur, „sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen“. Es müsste also Tiktoks Interesse an der Datenverarbeitung gegen die Interessen der Nutzerinnen und Nutzer an ihren Daten abgewogen werden.

Aus Sicht von Datenschützern wiegt das Nutzerinteresse hier schwerer – das Vorgehen von Tiktok könnte also unzulässig sein. Das geht etwa aus den FAQ zu Cookies und Tracking hervor, die der Landesdatenschutzbeauftragte für Baden-Württemberg auf seiner Webseite bereitstellt. Im Abschnitt B unter Punkt 3.2.10.4 heißt es dort, dass bei der Ausspielung personalisierter Anzeigen die Interessen des Betroffenen überwiegen.

Ein Sprecher der niedersächsischen Landesbeauftragten für den Datenschutz gab gegenüber heise online eine erste Einschätzung ab, die nicht auf einer tiefergehenden Prüfung des Dienstes Tiktok beruht. Demnach sei aus den von Tiktok angegebenen Informationen nicht ersichtlich, worin genau das „berechtigte Interesse“ des Dienstes bestehe. Für die Begründung müsse Tiktok außerdem erläutern, „welche widerstreitenden Interessen der Nutzer in der erforderlichen Interessenabwägung berücksichtigt worden sind“.

„Nach Auffassung der deutschen Datenschutzaufsichtsbehörden kann das Ausspielen personalisierter Werbung nicht auf ein berechtigtes Interesse gestützt werden“, so der Sprecher weiter. „Wir gehen davon aus, dass Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO hier nicht greift. Dementsprechend wäre die Datenerhebung, -nutzung, und -weitergabe unzulässig.“

Die Datenschutzkonferenz, die aus den unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder besteht, erklärt in einer Orientierungshilfe [PDF] (Kapitel IV, Punkt 3 auf Seite 30), dass „die Interessenabwägung im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO […] eine substantielle Auseinandersetzung mit den Interessen, Grundrechten und Grundfreiheiten der Beteiligten [verlangt] und […] auf den konkreten Einzelfall bezogen sein [muss].“ Pauschale Feststellungen wie die von Tiktok würden diese gesetzlichen Anforderungen nicht erfüllen.

Gemäß Artikel 21, Absatz 1 der DSGVO haben Betroffene das Recht, begründet gegen die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten zu widersprechen, wenn diese sich auf Artikel 6, Absatz 1, Buchstabe e oder f der DSGVO stützt. Dies ist bei Tiktok implizit der Fall. Allerdings muss der Widerspruch in der persönlichen Situation des jeweiligen Nutzers begründet liegen, wie auf der Webseite des Bundesdatenschutzbeauftragten erläutert wird.

Tiktok bietet eine Möglichkeit zum Widerspruch, die allerdings gut versteckt und nicht unbedingt benutzerfreundlich ist. Von seiner Informationsseite zu den neuen Werbeeinstellungen verlinkt Tiktok ganz unten auf seine Seite zur „Ausübung des Rechts auf Widerspruch gegen die Verarbeitung Ihrer personenbezogenen Daten“. Hier erklärt Tiktok unter dem Punkt „Wie können Sie Widerspruch einlegen?“ in einer kleinen Anleitung, wie man über das verlinkte Formular Widerspruch einlegen könne.

Dem Link folgend öffnet sich jedoch lediglich ein englischsprachiges Formular, das nicht zu der Anleitung von Tiktok passt. Von Widerspruch ist hier keine Rede mehr, es geht allgemein um Datenschutz: Man könne hier Informationen über seine Daten anfordern, eine Datenschutzverletzung melden oder eine Frage zu einem bestimmten Datenschutzproblem stellen.

Über dieses englischsprachige Formular soll man bei Tiktok Widerspruch einlegen können.

(Bild: Screenshot: heise online)

Wir haben trotzdem versucht, unseren Widerspruch dort kundzutun, haben alle Fragen bestmöglich beantwortet und das Formular abgeschickt. Doch obwohl wir dabei die E-Mail-Adresse des betreffenden Tiktok-Kontos eingaben, gab es weder eine Eingangsbestätigung noch sonst eine Reaktion (Stand: 17.6.2022, fünf Tage nach Abschicken des Formulars).

Nutzerinnen und Nutzer können sich über Tiktok beschweren – da der Dienst seinen europäischen Sitz aber in Irland hat, ist die irische Datenschutzaufsichtsbehörde dafür zuständig. Wie der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber in einem privaten Tweet erläutert, können sich Betroffene direkt bei den Landesdatenschutzbeauftragten in ihrem Bundesland beschweren. Beim Europäischen Datenschutzausschuss laufen dann die Beschwerden sowie eventuelle Ermittlungen der irischen Behörde zusammen.

Eine Anfrage von heise online an Tiktok nach Stellungnahme zu den Vorwürfen läuft. Um sein Vorgehen bei Werbeanzeigen etwas transparenter zu machen, hat der Dienst seit Kurzem die Funktion „Über diese Anzeige“. Wer lange auf eine Werbeanzeige drückt und dann die Funktion im Menü wählt, soll Informationen darüber erhalten, aufgrund welcher Informationen Tiktok die Anzeige ausgewählt hat. Zuletzt hat Tiktok auch zwei neue Funktionen eingeführt, die übermäßigen Konsum der App-Inhalte begrenzen sollen.

(gref)