"Tomorrow"-Surfer schimpfen auf Verbraucherschützer

"Da mir mit sofortiger Wirkung, NUR IHRETWEGEN!, der Internet-Zugang für monatlich DM 77.- gekündigt wurde, möchte ich Sie bitten, alle zukünftigen Telefonrechnungen abzüglich DM 77.- zu übernehmen," schreibt R.

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Von
  • Christian Persson

"Da mir mit sofortiger Wirkung, NUR IHRETWEGEN!, der Internet-Zugang für monatlich DM 77.- gekündigt wurde, möchte ich Sie bitten, alle zukünftigen Telefonrechnungen abzüglich DM 77.- zu übernehmen," schreibt R. K. an info@verbraucherschutzverein.de. Dort laden jetzt zornige Surfer ihren Ärger darüber ab, daß die Mobilcom AG nach einer Abmahnung durch den Verbraucherschutzverein e. V. Berlin den sogenannten "Tomorrow-Leser"-Zugang stillgelegt hat. Auch in einigen Newsgroups schlagen Wellen der Empörung hoch.

Mitte Dezember hatten Mobilcom und die Zeitschrift "Tomorrow" mit großem Werberummel den Internetzugang zum Pauschaltarif inklusive Telefongebühr ausgerufen, doch die technische Infrastruktur war nicht einmal auf 15.000 Kunden vorbereitet. Als auch noch Sicherheitsmängel offenkundig wurden, sperrte Mobilcom den Zugang zeitweilig und gelobte Nachbesserung. Außerdem versprach die Firma, den am Fehlstart beteiligten Kunden keine Gebühr zu berechnen. Tatsächlich aber hat Mobilcom mittlerweile einer unbekannten Zahl von Surfern Gebühren bis zu mehreren tausend Mark in Rechnung gestellt. Ob es sich um Fehlbuchungen handelt oder ob die Kunden das "Kleingedruckte" mißverstanden haben, konnte Mobilcom bisher nicht klären.

Anfang Februar ging der Zugang wieder in Betrieb, "Tomorrow" brachte über 300.000 CDs mit Zugangssoftware unter die Leute, aber Mobilcom hielt wiederum Versprechungen nicht ein. Statt die Anmeldungen binnen 24 Stunden zu bestätigen, ließ die Firma bis zum 8. Februar nur 6500 von 35.000 Antragstellern zu. Etliche fielen auf eine mißverständliche Statusanzeige herein und surften für teure 16 Pfennig pro Minute statt zum Pauschaltarif. Doch die Privilegierten konnten sich immerhin fast drei Wochen lang über einen preisgünstigen, gut erreichbaren und einigermaßen schnellen Internetzugang freuen. Jetzt soll es zu ihrer Enttäuschung auch damit vorbei sein; Mobilcom verspricht wiederum, auf die Berechnung des Festpreises zu verzichten.

Offensichtlich ist ein solches Pauschalangebot für diejenigen am attraktivsten, die tatsächlich täglich stundenlang im Internet surfen oder an Online-Spielen teilnehmen möchten. Bei diesem Nutzungsverhalten müßte der Provider viel mehr Ports für die Einwahl bereithalten als für Zugänge mit zeitabhängiger Berechnung. Das haben die Initiatoren anscheinend nicht genügend bedacht. Angesichts der angeblich überraschenden Erkenntnis, daß die technische Infrastruktur völlig unzureichend konzipiert war und jetzt mit hohen zusätzlichen Kosten hätte ausgebaut werden müssen, kam Mobilcom die Abmahnung der Verbraucherschützer offenbar gerade recht. Statt eine angemessene Änderung der angefochtenen Geschäftsbedingungen zu erwägen, die das Risiko der Nichterfüllung infolge technischer Engpässe allzu einseitig auf den Kunden abwälzen, nahm die Firma behende die Chance wahr, den Verbraucherschützern die Schuld für den Abbruch des mißlungenen Experiments in die Schuhe zu schieben: "Verbraucherschutzverein verhindert 77 Mark-Pauschaltarif".

"Mit der Tomorrow-Tarif Flat Rate haben wir Neuland betreten und aus Gründen, die in keiner Weise vorhersehbar waren, negative Erfahrungen sammeln müssen", behauptet Mobilcom-Vorstand Gerhard Schmid nun. Das ist verwunderlich, denn die einschlägigen Erfahrungen, die AOL vor Jahren bei Einführung desselben Tarifmodells in den USA gemacht hat, sind dokumentiert und müßten doch in Fachkreisen geläufig sein. So bleibt vom ersten deutschen Internetzugang mit echter "Flat rate" nur der Eindruck eines möglicherweise gut gemeinten, jedenfalls vielbeachteten, aber unausgegorenen Reklame-Gags. (cp)