Traumjob Zocker für die Fußball-Bundesliga

Seite 2: E-Sportler statt richtiger Fußballer

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Der 20-Jährige filmt sich im VfL-Trikot und mit Energydrinks von Sponsoren. Er demonstriert, wie er im Fifa-Spiel den Ball hin und her schießt. Gleichzeitig unterhält er sich mit Fans im Netz über ein Mikrofon. Diese können ihm in einem Chat schreiben. "Wie werde ich E-Sportler?", fragt ein Zuschauer. "Einfach viel üben und Turniere gewinnen." Timo hustet. "Bist du immer noch krank?" – "Ja, Mann. Gefühlt seit zehn Jahren." Timo spielt trotzdem. "Ich müsste schon mein Bein verlieren, dass ich nicht Fifa spielen würde."

Als Junge wollte Timo Profi-Kicker werden. Aber diesen Traum hat er aufgegeben, nachdem er sich beim Bolzen auf dem Rasen den Arm gebrochen hatte. Heute findet er: "Ich habe den zweitbesten Job der Welt – besser wäre nur, echter Fußballer sein."

Pro Jahr muss Timo rund 100 YouTube-Videos drehen. Oft filmt er sich, wie er aus seinem Jugendzimmer gegen andere Profis spielt. Oder er steht im Trainingslager mit VfL-Kickern im US-Staat Florida auf einem Surfbrett vor der Kamera. Nach etwas mehr als einem Jahr folgen ihm über 60.000 Leute auf YouTube – doppelt so viele, wie im VfL-Stadion Platz finden. Damit liegt er aber noch weit hinter vielen beliebten Social-Media-Influencern, die Millionen Fans besitzen.

Das Gaming-Fieber packte Timo bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Von seinen Eltern hatte er sich danach sein erstes Fifa-Spiel gewünscht. "Manchmal habe ich so viel gespielt, dass meine Eltern die Playstation versteckten", sagt Timo. Dann nahm ihn ein Freund mit zu einem kleinen Turnier. Er gewann den Hauptpreis – eine Spielekonsole.

Im Gymnasium zockte Timo jedes Wochenende Online-Turniere, bei denen der Sieger 100 Euro kassierte. "Andere gehen halt kellnern", sagt er. "Aber den Eltern habe ich nichts gesagt." Mit 17 wurde er zum ersten Mal deutscher Meister, brachte einen silbernen Pokal und 800 Euro nach Hause. "Papa war stolz und hat sofort Fotos in den Familienchat geschickt", erinnert sich Timo.

Kurz nach seinem 18. Geburtstag unterschrieb er das Angebot der Agentur Stark eSports. Sie betreut außer ihm auch mehrere E-Athleten anderer Bundesligisten und entwickelt mit Clubs E-Sport-Strategien. Timo holte nochmals den Meistertitel – und damit schon 2000 Euro. Seine Agentur vermittelte ihn an den VfL. Sogar seine Schule konnte Timo überzeugen, dass er statt des Mathe-Abis ein großes Turnier spielen und die Klausur nachholen durfte.

Inzwischen hat der 20-Jährige, wie er erzählt, mehr als 50.000 Euro Preisgeld gewonnen. Dazu kommt sein Monatsgehalt vom VfL. Er leistet sich Markenklamotten, ein Auto, Strandurlaube. "Ich lade auch mal meine Eltern zum Essen ein", sagt Timo. "Und ein bequemer Gamerstuhl und Bildschirme, die ich gewonnen habe, stehen bei Papa im Büro." Seine Turniere verfolgen die Eltern über den Livestream von zu Hause. Timo möchte nicht, dass sie mitkommen.

"Ich kann's immer noch nicht richtig glauben", sagt Timo. Jeden Tag schreiben ihm 50 Leute, schicken Fotos oder Herzchen-Emojis. Timo antwortet kurz. Etwa mit "Danke für die Worte. Schönen Tag noch." Er sagt: "Ich weiß, welche Bedeutung das für sie hat, weil die denken halt, ich bin der krasseste Typ."

Auf Kölns Straßen fragen ihn Fans manchmal nach Selfies. Doch gerade wegen dieser Aufmerksamkeit sei es für ihn schwer, eine Freundin zu finden. "Frauen sagen immer, du bist Fame und deswegen muss ich nett sein", sagt er. "Aber ich will doch eigentlich Leute kennenlernen, die mich mögen – mich als Timo, nicht als TimoX." TimoX ist sein Gamername.

Vor jedem Turnier geht der Fifa-Spieler zum Friseur, damit seine Undercut-Frisur sitzt. Bei der Virtuellen Bundesliga in Dortmund fotografiert ihn sein Manager von der Agentur, die der Fußballclub bezahlt. Der Manager bastelt auf dem Handy eine Collage, die Timo auf Instagram und Twitter hochlädt. Am Mittag würde Timo sich gerne in die Sonne legen. Aber er muss sich vor ein Auto des Vereinssponsors stellen und die VfL-Fans in einer Video-Nachricht grüßen.

Dann wollen einige Fans Selfies und Autogramme. Timo lächelt geduldig, etwa für den 14 Jahre alten Marc. Marc zockt jeden Tag nach der Schule mit Klassenkameraden das gleiche Fifa-Spiel wie der sechs Jahre ältere Timo. Marc meint: "E-Sportler sind viel netter und nicht so arrogant wie echte Fußballer." Der Jugendliche ist mit seinem Vater gekommen. Dieser möchte herausfinden, warum sein Sohn das virtuelle Kicken so toll findet. Er sagt: "Solange seine Schulnoten gut sind, ist das schon okay."

Ein Abschotten gegen die Szene wird auch immer schwerer: Sportmanagement-Professor Sascha L. Schmidt von der Otto Beisheim School of Management in Düsseldorf geht davon aus, dass jeder zehnte Deutsche mindestens einmal pro Woche einem E-Sportler zuschaut, dessen Instagram-Fotos liked, Tweets kommentiert oder als Spieler in der Welt des E-Sports unterwegs ist. In Südkorea und den USA sei schon jeder Dritte ein E-Sport-Fan oder ein virtueller Sportler beziehungsweise eine Sportlerin.