Türkische Twitter-Sperre: "Bücherverbrennung des 21. Jahrhunderts"
Die Auseinandersetzung um die Sperrung von Twitter in der Türkei dauert an. Während Regierungschef Erdoğan den Schritt verteidigte und offenbar sogar einräumte, persönlich verantwortlich zu sein, wird die Kritik im Ausland schärfer.
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan hat am Wochenende die landesweite Sperrung von Twitter verteidigt und seine Angriffe gegen mehrere soziale Netzwerke erneuert. Wie die Tageszeitung Today's Zaman von Wahlkampfveranstaltungen berichtet, sagte Erdoğan, er verstehe nicht, wie jemand guten Gewissens Facebook, YouTube und Twitter verteidigen könne. Dort fänden sich alle Arten von Lügen, die schon Familien in ihren Grundfesten erschüttert hätten.
Nach Twitter war am Wochenende auch YouTube ins Fadenkreuz der türkischen Regierung gekommen. Hintergrund des Vorgehens ist ein anhaltender Machtkampf in der Türkei zwischen der Partei des Ministerpräsidenten und der einflussreichen Gülen-Bewegung. Immer wieder waren in den vergangenen Tagen Telefonmitschnitte auf YouTube veröffentlicht worden, die Erdoğan der Korruption überführen sollen. Links zu den Mitschnitten waren auch über Twitter verbreitet worden.
Zwischen die Fronten geraten
Offiziell ist Twitter gesperrt worden, weil der Nachrichtendienst gerichtlichen Aufforderungen zur Löschung von Inhalten nicht nachgekommen sei. Das habe Finanzminister Mehmet Şimşek noch einmal bestätigt, schreibt die Tageszeitung Hürriyet Daily News. Kein globales Unternehmen dürfe denken, es stehe über dem Gesetz, erläuterte Şimşek weiter. Unterdessen zitiert Zeit Online Erdoğan mit dem Eingeständnis, er persönlich habe Twitter sperren lassen. Das Portal zeige eine Doppelmoral, da in Großbritannien oder den USA auf Aufforderung Konten gesperrt würden, das aber in der Türkei, der Ukraine oder in Ägypten unter Verweis auf die Meinungsfreiheit abgelehnt werde.
Google jedenfalls halte die Löschanträge in Bezug auf YouTube für rechtlich unwirksam, hatte das Unternehmen schon am Freitag erklärt. Ähnlich wie Twitter könnte der Plattform nun eine Sperre drohen. Die war für Twitter und seine Reichweite in der Türkei jedenfalls eher förderlich. Die Ratingagentur Somera etwa hat nach eigenen Angaben einen Anstieg der abgesetzten Nachrichten und der aktiven Nutzer gemessen. Den Twitternden war es vergangenen Freitag rasch gelungen, die Blockade zu umgehen, woraufhin die türkische Regierung am Samstag mit einer weiteren Sperre nachgezogen hatte.
Kritik aber auch Rückendeckung
Die Kritik an der Blockade wird derweil immer schärfer. In einem Blogeintrag etwa hat ein Sprecher des US-Außenministeriums derartige Internetzensur als die Bücherverbrennung des 21. Jahrhunderts bezeichnet. In einer Welt, in der das Internet als Forum der weltweiten Öffentlichkeit diene, sei Zensur ein Angriff auf die Meinungsfreiheit. Ein Freund wie die Türkei habe aber von dem freien Austausch an Ideen und auch Kritik nichts zu befürchten. Auch der türkische Präsident Abdullah Gül hat seine Kritik an dem Schritt inzwischen erneuert. Am Sonntag erklärte er, die Sperre sei nach dem Gesetz aber auch technisch nicht durchzusetzen.
Unterstützung bekam Erdoğan dagegen von seinen Anhängern. So habe etwa der bekannte türkische Sänger und Unternehmer İbrahim Tatlıses erklärt, ihn ärgere das überhaupt nicht. Der Hürryiet Daily News zufolge, schrieb er, man könne nicht einfach jemanden beleidigen und dann sagen, mit diesem Account habe man nichts zu tun. Twitter sei inzwischen zu einer unfreundlichen Umgebung geworden. All das habe er die Welt aber ausgerechnet über Twitter selbst mitgeteilt. (mho)