Tunesisches Gericht verhängt lange Haftstrafen wegen Internet-Lektüre

Richter Adel Jeridi sah den Verdacht des Terrorismus bei sieben jungen Internet-Nutzern allein durch den Download verschiedener Dokumente aus dem Internet bestätigt.

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Von
  • Monika Ermert

Ein Gericht in Tunis hat sieben Personen im Alter zwischen 19 und 22 Jahren und ihren 38-jährigen Lehrer zu Gefängnisstrafen zwischen 19 und 26 Jahren verurteilt. Richter Adel Jeridi sah den Verdacht des Terrorismus allein durch den Download verschiedener Dokumente aus dem Internet bestätigt; darunter waren eine Gebrauchsanweisung für das Sturmgewehr Kalaschnikow und eine Anleitung zum Bau einer Bombe. Die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen protestiert gegen das Urteil und warnt vor einer "härteren Gangart" gegen politisch interessierte Internetnutzer.

Julian Pain von Reporter ohne Grenzen sagte gegenüber heise online: "26 Jahre für den Download einiger Webseiten -- das ist wirklich eine neue Qualität im Kampf der Regierung gegen abweichende Meinungen." Pain sagte, selbst wenn die Jugendlichen über den Kampf für die Palästinenser nachgedacht und diskutiert hätten, bestehe doch ein großer Unterschied zwischen Gedanken und Taten. Mehr als die Dateien und eine Tube Klebstoff konnten die Ankläger als Beweis für die "Bildung einer terroristischen Vereinigung" nicht vorweisen.

Neben der dürftigen Beweislage hatten tunesische Anwälte und von der Organisation zu Rate gezogene Juristen weitere, schwere Verfahrensfehler kritisiert. So habe es etwa keinen Grund gegeben für eine Verlegung des Verfahrens von der Stadt Zarzis, wo die Jugendlichen vor einem Jahr festgenommen wurden, in die Hauptstadt. Ärztliche Untersuchungen wurden den Verurteilten verwehrt, nachdem fünf von ihnen Klage wegen Foltermaßnahmen erhoben haben.

Das harte Urteil werde Internetnutzer in Tunesien weiter einschüchtern, sagte Pain. Der gar nicht so kleinen Internetgemeinde dort werde klar gemacht, "dass ihre Email mitgelesen und ihr Internetverkehr ausspioniert wird". Nur wenige Aktivisten wagten es, sich durch Kritik an der Internetpolitik oder der Regierung ganz allgemein zu exponieren, darunter ist laut Pain der aufgrund seiner Kritik am Justizsystem entlassene Richter Mokhtar Yahyaoui, Onkel des im vergangenen Jahr freigelassenen Cyberdissidenten Zouhair Yahyaoui. Der Fall Yahyaoui hatte beim ersten Weltgipfel der Informationsgesellschaft (WSIS) für lautstarken Protest gegen die Wahl Tunesiens als Gastgeberland gesorgt.

Schon in wenigen Wochen findet das erste Vorbereitungstreffen für die WSIS 2 in Tunis statt, bei der zumindest offiziell die offene Informationsgesellschaft ganz im Mittelpunkt steht. Ganz so offen ist die Veranstaltung allerdings nicht: Reporter ohne Grenzen wurde der Zugang als offizielle NGO schon in Genf verwehrt. "Wir werden in Tunis sein", verspricht Pain, "wenn auch nicht in der Konferenz, sondern vor der Tür." (Monika Ermert) / (anw)