US-Berufungsgericht: Handy-Fahndung ist verfassungswidrig

Wessen Handys waren in der Umgebung des Tatorts? Das interessiert Ermittler. In einem Teil der USA dürfen sie das nicht mehr abfragen.​

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Bild einer Stadt, darüber sind Standort-Symbole gelegt

(Bild: Shutterstock/Peshkova)

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Die polizeiliche Fahndung mittels Standortdaten beliebiger Handys ist verfassungswidrig, sagt das US-Bundesberufungsgericht für den fünften Bundesgerichtsbezirk einstimmig. Diese Art der Rasterfahndung sei ein Verstoß gegen den vierten Zusatzartikel der US-Verfassung, der willkürliche Durchsuchungen untersagt. Bürgerrechtler wie die Electronic Frontier Foundation (EFF) begrüßen das Urteil, mit dem sich das Gericht bewusst gegen den vierten Bundesgerichtsbezirks stellt. Dort werden die sogenannten geofence warrants für zulässig erachtet.

Anlass für die aktuelle Entscheidung United States v Smith et al (Az. 23-60321) ist ein Überfall auf einen Lastkraftwagen der US-Post in Mississippi im Februar 2018. Die Post-Polizei nutzte im November 2018 die damals relativ neue Methode, einen gerichtlichen Durchsuchungsbeschluss (warrant) gegen Google zu erwirken. Der Datenkonzern hatte daraufhin mitzuteilen, welche Android-Handys mit aktivierter Standortaufzeichnung (Location History) sich während einer bestimmten Stunde am Tag des Überfalls in einem rund 100.000 Quadratmeter großen Gebiet rund um den Tatort aufgehalten haben. Die Standortaufzeichnung ist in Androids Voreinstellung nicht aktiviert.

Google muss dazu die Standortverläufe aller Android-User weltweit durchforsten. Weil das Unternehmen zigtausende solcher Befehle jedes Jahr erhält, dauert das ein paar Monate. Außerdem ist die räumliche Eingrenzung nicht immer exakt möglich. Treffer werden dann gesiebt und mit Daten von Mobilfunkbetreibern sowie aus anderen Quellen angereichert. Im April 2019 nannte Google Identifikationsnummern dreier Android-Geräte, die zum fraglichen Zeitpunkt in einem rund 328.000 Quadratmeter großen Gebiet verortet wurden (eines mittels GPS, zwei mittels WLAN-Daten). Zwei davon führten die Ermittler schließlich zu zwei Männern; einer der beiden konnte in der Folge von einem Zeugen identifiziert werden. Beide Verdächtige wurden schließlich zusammen mit einem dritten Mann für den Überfall verurteilt.

Dieses Urteil bekämpften sie mit dem Argument, die Durchsuchung des Standortverlaufs aller Androidkonten sei ein Verstoß gegen den vierten Zusatzartikel der US-Verfassung, weshalb die daraus gewonnen Beweise im Verfahren nicht hätten verwertet werden dürfen. Das Bundesberufungsgericht gibt ihnen nun teilweise recht: Android-Nutzer dürften davon ausgehen, dass ihr Standortdatenverlauf geheim bleibe. Der vierte Zusatzartikel der US-Verfassung sei grundsätzlich als Schutz gegen staatliche Fischzüge in Form unbeschränkter Durchsuchungen (general warrant) konzipiert. Daher seien Durchsuchungsanordnungen, die sich praktisch gegen jedermanns Standortdaten richten, "kategorisch ausgeschlossen".

Allerdings habe die Post-Polizei damals in gutem Glauben an die Rechtmäßigkeit ihres Vorgehens gehandelt, weshalb die Beweisverwertung zulässig sei. Damit bleibt die Verurteilung der drei Männer aufrecht. Zukünftige Ermittlungen in Louisiana, Mississippi und Texas dürfen diese Variante der Rasterfahndung mit Abfrage des Standortverlaufes aller Android-Handys aber nicht mehr nutzen – solange der US Supreme Court nicht anders entscheidet.

Dass sich dieser mit der Materie befasst, anlässlich dieses Falles oder eines anderen, ist gar nicht so unwahrscheinlich. Denn im Juli hat das US-Bundesberufungsgericht für den vierten Bundesgerichtsbezirk mit 2:1 Stimmen entschieden, dass die Standortabfrage aller Android-Handys für einen zwei Stunden langen Zeitraum überhaupt kein Eingriff in die Privatsphäre seien (United States v. Chatrie, Az. 22-4489). Damit sei nicht einmal der richterliche Durchsuchungsbeschluss (warrant) erforderlich. Chatrie hat eine neuerliche Überprüfung durch eine erweiterte Richterbank des selben Gerichts beantragt, worauf es aber keine Rechtsanspruch gibt. Der vierte Bundesgerichtsbezirk umfasst Maryland, North und South Carolina sowie Virginia und West Virginia.

Somit gibt es zwei einander diametrale widersprechende Entscheidungen von Bundesberufungsgerichten, was die Wahrscheinlichkeit einer Erörterung vor dem US Supreme Court (SCOTUS) stark erhöht. Außerdem hat der SCOTUS in den letzten Jahren besonders viele Entscheidungen aus dem fünften Bundesgerichtsbezirk, dessen Gericht als konservativstes des Landes gilt, umgedreht. Gleichzeitig könnte die Entscheidung aus dem vierten Bundesgerichtsbezirk einem früheren SCOTUS-Erkenntnis widersprechen: Im Fall Carpenter v United States hat das Höchstgericht erkannt, dass Ermittler Handy-Standortdaten bei Mobilfunknetzbetreibern nur mittels warrant eruieren dürfen. Für einen warrant müssen die Strafverfolger bereits andere Informationen haben, die einen konkreten Tatverdacht begründen. Zur Überwachung beliebiger Handys, gegen deren Inhaber es keinen konkreten Verdacht gibt, sollten US-Gerichte demnach keinen Durchsuchungsbeschluss ausstellen.

Vor dem Höchstgericht des US-Staates Minnesota ist derzeit der Fall State v Contreras-Sanchez (Az. A22-1579) anhängig. Dort wollten die Ermittler von Google wissen, welche Android-Handys eine bestimmte Straße entlang gefahren sind – während eines gesamten Monats. Google übergab die Daten schließlich für eine Woche. Die EFF beteiligt sich an dem Verfahren und argumentiert, die umfassende Datenauswertung aller Android-Handys weltweit sei ein Verstoß gegen die Verfassung Minnesotas sowie den vierten Zusatzartikel der US-Verfassung. Da könnte die aktuelle Entscheidung des fünften Bundesgerichtsbezirks helfen.

(ds)