US-Drehbuchautoren drohen im Streit über Digitalvertrieb mit Streik

Autoren fordern ihren Anteil am digitalen Vertrieb von Filmen und Fernsehprogrammen. Noch weiß keiner, wie groß der Kuchen überhaupt ist, entsprechend zurückhaltend sind die Produzenten. Jetzt stehen die Zeichen auf Streik.

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Die Verhandlungen sind festgefahren, jetzt droht die Gewerkschaft mit Streik. Während hierzulande die Lokführer das Land in Atem und Nachrichtenjournalisten beschäftigt halten, rüstet sich auf der anderen Seite des Atlantiks eine andere Branche für den Arbeitskampf. Film- und Fernsehautoren verlangen bessere Konditionen und höhere Tantiemen aus dem Digitalvertrieb ihrer Werke. Die Gegenseite, Produzenten und Studios, bewegt sich nicht. Die Verhandlungen sind festgefahren, in Beverly Hills stehen die Zeichen auf Zoff.

In der US-Filmindustrie vertreten zahl- und einflussreiche Gewerkschaften die Interessen bestimmter Berufsgruppen gegenüber Produzenten, Studios und Fernsehsendern. Für Regisseure, Schauspieler oder Bühnentechniker gibt es ebenso eine eigene Gewerkschaft wie für Film- und Fernsehautoren. Die Organisationen vertreten nicht nur die Stars, sondern auch Festangestellte oder Vertragskünstler, die nicht im Rampenlicht stehen. Für sie handeln sie grundsätzliche Konditionen wie Arbeitszeiten, Mindestlohn oder Tantiemen aus. Der Vertrag der einflussreichen Writers Guild of America (WGA), der Gewerkschaft der Film- und Fernsehautoren, mit den Produzenten läuft aus. Über die Konditionen einer Verlängerung gibt es Streit, die Drehbuchautoren drohen mit Streik.

Streitpunkt sind die Tantiemen aus DVD-Verkäufen und digitalen Vertriebskanälen wie IPTV-Angebote oder Video-Downloads. Die Autoren verlangen mehr Prozente vom lukrativen DVD-Geschäft und wollen auch an der Digitalvermarktung stärker beteiligt werden. Die Produzenten, in den Verhandlungen vertreten durch die Alliance of Motion Picture & Television Producers (AMPTP), machen gerade bei der DVD-Frage keine Zugeständnisse. Sie wollen die Verhandlungen erst wieder fortsetzen, wenn die Autoren ihre Forderung nach einer Verdoppelung der DVD-Tantiemen vom Tisch nehmen. Die WGA hält das für Erpressung und lässt die Muskeln spielen: Für den heutigen Donnerstag hat die Gewerkschaft Mitgliederversammlungen anberaumt, die schon heute über einen Streik entscheiden können.

Die Autoren erhalten bisher 0,3 bis 0,36 Prozent der Umsätze. Von einer DVD für 15 Euro gehen also knapp 4 Cent an die Drehbuchautoren. Diese Formel ist schon etwas betagter, sie stammt aus der Zeit der Videokassette. 1985 war noch nicht abzusehen, dass sich der Videomarkt und anschließend die DVD zu einer Cash-Cow der Industrie entwickeln würde. Drei Jahre zuvor hatte der Cheflobbyist der Filmbranche, der damalige MPAA-Präsident Jack Valenti, die Videotechnik noch mit einem Frauenmörder vergleichen. Die Rolle der Frau hatte Valenti in diesem drastischen Bild den Filmproduzenten zugedacht.

Obwohl die DVD längst zu einem Multi-Milliarden-Markt geworden ist, hat sich an den Tantiemen der Autoren seit den Achtzigern nichts geändert. Die Schreibkräfte fühlen sich über den Tisch gezogen. Sie hätten damals auch Zurückhaltung geübt, um die kriselnde Branche nicht zusätzlich zu belasten, argumentieren sie nun und fordern eine Kompensation, weil es der Branche besser gehe. Die Gegenseite sperre sich seitdem beharrlich gegen eine Änderung des für sie vorteilhaften Abkommens. Nun fürchten die Autoren ein ähnliches Schicksal auf dem entstehenden Digitalmarkt, auch wenn noch niemand einschätzen kann, wie groß der einmal werden könnte. Derzeit liegt der WGA-Anteil im Digitalvertrieb bei 1,2 Prozent. Doch gilt das nur für Modelle wie den Vertrieb über iTunes.

Noch nicht tarifvertraglich geregelt sind werbefinanzierte Online-Angebote, auf denen Nutzer die Inhalte kostenfrei sehen können – zum Beispiel bei YouTube oder das von NBC Universal und News Corp. neu gestartete Hulu.com. Auch eigens für Online- oder Mobil-Formate produzierte Inhalte, zum Beispiel Teaser oder Mini-Episoden populärer Serien, entziehen sich bisher der Kontrolle der Gewerkschaften und werden zwischen Produzenten und Autoren auf Einzelfallbasis verhandelt. Die WGA fordert – anders als beim Fernsehen, wo auf Basis von Ausstrahlungen abgerechnet wird – wie bei der DVD einen Anteil der Gesamteinnahmen: 2,5 Prozent. Das würde auch Werbeeinnahmen von Online-Diensten einbeziehen. Da noch keiner in der Branche weiß, wie hoch die sein werden, herrscht auf beiden Seiten des Verhandlungsstischs größte Vorsicht.

Es ist dann doch so wie bei den Lokführern: Beide Seiten werfen sich sture Blockadehaltung vor. Die Zeichen stehen erst einmal auf Streik. Der wird nicht gleich so sichtbar große Auswirkungen haben wie bei der Bahn. Doch irgendwann gehen auch den großen Networks die Konserven aus. Tagesaktuelle Programme, wie die populären Late Night Shows, leiden am schnellsten unter dem Mangel an frischem Material; es folgen Daily Soaps, die in der Regel nur für vier Wochen vorproduziert werden. Das Publikum lässt sich mit Wiederholungen nur schwer bei der Stange halten und darf zudem mit einer Schwemme von Reality-Formaten rechnen. Der letzte lange Streik der Autoren dauerte von März bis August 1988 und hatte ernste Konsequenzen für die Fernsehindustrie.

Seither hat sich die Branche allerdings verändert. Der Studio-Chef der alten Schule ist längst Geschichte. Die Autoren sehen sich multinationalen Konzernen gegenüber, für die das Primat der Rendite gilt. Denen stellt sich nur die Frage, was mehr kostet: Einen Streik auszuhalten oder den Autoren 3 Prozent mehr vom DVD-Kuchen zu geben. Bisher scheint der Streik die billigere Alternative zu sein. Die Autoren werden einen langen Atem brauchen, um die Industrie vom Gegenteil zu überzeugen. (vbr)