US-Fernsehbranche nach Gerichtsentscheid vor Konsolidierungswelle

Im amerikanischen Fernsehmarkt könnte es nach einer bahnbrechenden Gerichtsentscheidung zu einer Welle von großen und kleineren Fusionen kommen.

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Von
  • Peter Bauer
  • dpa

Im amerikanischen Fernsehmarkt könnte es nach einer bahnbrechenden Gerichtsentscheidung, die wesentliche Hürden für eine Konsolidierung der US-Fernsehbranche beseitigt, zu einer Welle von großen und kleineren Fusionen kommen. An der Wall Street wird zurzeit bereits heftig über mögliche Übernahmekandidaten und Firmen-Kombinationen spekuliert.

Ein Berufungsgericht in Washington hat jetzt eine jahrzehntealte staatliche Regelung aufgehoben, die Unternehmen in Ballungsgebieten verbietet, gleichzeitig Fernseh- und Kabelfernsehstationen zu besitzen. Gegen diese Beschränkung hatte der zweitgrößte US-Kabelfernsehanbieter AOL Time Warner geklagt.

Außerdem hat das Gericht die für den Fernsehbereich zuständige Aufsichtsbehörde Federal Communications Commission (FCC) angewiesen, eine Regelung zu überprüfen, nach der Fernsehstationen nicht mehr als 35 Prozent der amerikanischen Haushalte erreichen dürfen. Das Gericht hält das zwar nicht für verfassungswidrig, nannte die Entscheidung der FCC, sie beizubehalten, "willkürlich und rechtswidrig". Fachleute erwarten, dass die FCC diese Besitzregel entweder ganz fallen lassen oder erheblich lockern wird.

Der derzeitige FCC-Vorsitzende Michael Powell, ein Republikaner, ist bereits seit langem für eine Liberalisierung der fast 60 Jahre alten Restriktionen. Sie stammten teilweise noch aus einer Zeit, als es in den USA nur drei Fernsehgesellschaften und kein Kabelfernsehen gab. Die Beschränkungen sollten den Wettbewerb aufrechterhalten und ein breites Programmangebot sicherstellen. Gegen die Beibehaltung der 35-Prozent-Regelung hatten die News Corporation von Rupert Murdoch, der Fox-Television gehört, und der Medienkonzern Viacom geklagt. Viacom kontrolliert die Fernsehgesellschaft CBS.

Bisher hat die FCC noch nicht entschieden, ob sie gegen die Entscheidung beim obersten US-Bundesgericht Berufung einlegen wird. Die US-Verbraucherschutzgruppe Consumers Union will in Berufung gehen, doch hat sie ohne Schützenhilfe der staatlichen Behörde kaum eine Chance, beim Supreme Court durchzukommen.

Bei einer Neuordnung des Marktes wären auch Disney mit seiner Fernsehgesellschaft ABC ebenso wie der Mischkonzern General Electric mit seiner NBC im Spiel. NBC ist die einzige Fernsehfirma, die nicht von einem Medienkonzern kontrolliert wird, und wäre damit für AOL besonders attraktiv.

Daneben könnte auch der zukünftige amerikanische Kabelfernseh-Branchenführer Comcast mitmischen. Comcast übernimmt die Kabelfernsehsparte von AT&T und wird damit unumstrittener Marktführer im Kabelfernsehen vor AOL Time Warner. Für Comcast könnte eine Übernahme von Disney interessant sein, da dem Unternehmen damit ABC und die Disney-Film- und Fernsehstudios zufallen würden. General Electric könnte ihrerseits finanziell problemlos andere Medienkonzerne oder Fernsehsender schlucken.

Die News Corp. hat mit dem Kauf der Chris-Craft Industries jetzt insgesamt 33 Fernsehstationen und erreicht 41 Prozent der US-Bevölkerung. Sie hatte eine vorläufige Ausnahmegenehmigung für den Chris-Craft-Kauf bis zu dem jetzigen Gerichtsentscheid erhalten. Das Gleiche gilt für die Viacom-Gruppe mit 34 TV-Sendern, die inzwischen ebenfalls 41 Prozent der Amerikaner erreicht.

Alle Medien- und Kabelfernseh-Konzerne erhalten jetzt auch die Möglichkeit, sich einzelne lukrative Fernsehstationen oder Fernsehstationen-Betreiber in Ballungsgebieten zu kaufen, in denen sie bereits selbst vertreten sind. Deshalb kommen voraussichtlich auch Fernsehsender-Betreiber wie Paxson Communications und kleinere Mitspieler ins Gespräch. Medienkonzerne wie Gannett und Tribune geraten ebenfalls in Zugzwang. AOL Time Warner könnte an den Tribune-Fernsehsendern Gefallen finden. Charter Communications und Cox Communications, die dritt- und die viertgrößte Kabelfernsehfirma, könnten sich ebenfalls am kommenden Fusionsspiel beteiligen.

Lokale Fernsehstationen, die die Programme der großen Networks ausstrahlen, sind außerordentlich lukrativ, da CBS, ABC, NBC und Fox ihnen Geld für die Ausstrahlung ihrer Programme bezahlen. Die Networks leben ihrerseits vor allem von Werbeeinnahmen. Die meisten lokalen Fernsehbetreiber haben sich für eine Beibehaltung der bisherigen FCC-Aufsichtsregeln stark gemacht, da sie befürchten, von den großen Medienkonzernen unter Druck gesetzt oder übernommen zu werden. (Peter Bauer, dpa) / ()