Ukraine-Krieg: Westliche IT-Bauteile in russischer Waffentechnik dokumentiert

Forscher haben aufgelistet, wie viele westliche IT-Komponenten in Russlands Waffensystemen stecken. Berichten nach wurden Bauteile trotz Sanktionen geliefert.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 199 Kommentare lesen
Russian,Flag,With,Barbed,Fence.,Conflict,And,War,Concept.,Grunge

(Bild: FellowNeko / Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Inhaltsverzeichnis

Ein nun erschienener Bericht des britischen Militär-Thinktanks Royal United Service Institute (RUSI) hat es in sich: Auf 55 Seiten listen die Wissenschaftler auf, welche Komponenten in russischen Waffensystemen zum Einsatz kommen. Darunter finden sich etliche Produkte westlicher Anbieter – die teils auch bereits vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar unter Sanktionen oder zumindest Exportverbote fallen sollten. Doch die Bauteile finden Berichten zufolge teilweise nach wie vor Wege nach Russland.

Insgesamt 27 Waffensysteme haben die RUSI-Forscher unter die Lupe genommen und dabei eine Vielzahl Bauteile westlicher Anbieter aufgefunden. So finden sich etwa in der auch mit Nuklear-Sprengköpfen bestückbaren Iskander-Cruise-Missile laut den Forschern Chips von Texas Instrument, darunter ein DSP. Auch das WLAN-Modul der Orlan-10-Aufklärungsdrohne soll RUSI zufolge von TI stammen.

11 Komponenten in russischen Waffensystemen sollen aus der Produktion deutscher Anbieter stammen, etwa von EPCOS, das heute zu TDK Electronics gehört. In der Kamikaze-Drohne KUB-BLA sollen zudem teilweise Komponenten der schwäbischen Modellbauspezialisten von Aero Naut enthalten sein, schreibt RUSI. Auch Chips und Bauteile von AMD, Intel und Infineon oder jeweiligen Tochtergesellschaften will der Think Tank identifiziert haben.

"Russlands militärische Macht hängt an einer Silizium-Lebensader, die von den USA über das Vereinigte Königreich, die Niederlande, Deutschland, die Schweiz und Frankreich, Taiwan, Südkorea und Japan verläuft", schreiben die Autoren. Die Kernfrage des Berichts, meinen die RUSI-Autoren, sei, ob diese Lebensader gekappt würde – und ob andere diese Lücke füllen würden. Russlands Halbleiterindustrie selbst ist dazu nicht in der Lage. Doch eine Substitution westlicher Produkte dürfte derzeit noch gar nicht unbedingt nötig sein: Die Sanktionen wirken anscheinend nicht so stark wie politisch erhofft.

Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet unter Berufung auf ihr vorliegende russische Zolldaten, dass auch nach Beginn des Krieges am 24.02.2022 tausende Lieferungen in Russland eintrafen. Teilweise soll es sich dabei um bereits im Transit befindliche Lieferungen gehandelt haben, die erst nach Kriegsbeginn abgefertigt wurde – teilweise aber auch um neue Lieferungen. Infineon stellte interne Untersuchungen zu dem Thema an, Reuters gibt unter Berufung auf russische Zolldaten an, dass fast 3.000 mit Infineon in Verbindung stehende Lieferungen seit Ende Februar in die Russische Föderation gingen.

Der Halbleiterhersteller mit Sitz in Neubiberg bei München erklärt auf Anfrage von heise online, es erweise sich "als schwierig, nachfolgende Verkäufe über die gesamte Lebensdauer eines Produkts zu kontrollieren." Damit ist nicht zuletzt der Weiterverkauf durch Käufer in Drittländern gemeint.

Infineon habe "alle uns zur Verfügung stehenden Maßnahmen ergriffen, um die Einhaltung der Sanktionen zu gewährleisten – nicht nur dem Wortlaut, sondern auch dem Sinn nach. Dies führte für uns von Anfang an zu einem Lieferstopp und damit zu einer Übererfüllung der Sanktionen." Lieferungen sowohl nach Russland und in die von Russland besetzten Gebiete seien mit Kriegsbeginn eingestellt worden, seit März auch Lieferungen nach Belarus. Vertriebspartner seien zudem weltweit angewiesen worden, Maßnahmen gegen Umleitungen zu ergreifen.

Auch die RUSI-Forscher räumen ein, dass einige Komponenten sowohl für die zivile als auch für eine militärische Nutzung geeignet seien. Einige solcher Dual-Use-Produkte unterliegen in der EU einer speziellen Verordnung, die 2021 überarbeitet wurde und ausdrücklich Russland als reguliertes Zielland mit umfasst.

Allerdings betrifft dies nur Ausfuhren aus dem Gebiet der EU – sobald etwa ein Tochterunternehmen in einem Nicht-EU-Land ein Produkt herstellt, findet die Dual-Use-Verordnung keine Anwendung. Die RUSI-Forscher behalfen sich für ihre Studie hier mit der Identifikation bestimmter Importeure, die dem Beschaffungswesen des russischen Militärs und russischer Rüstungsunternehmen zugerechnet werden, etwa Rostec, Uralvagonzavod oder Rosoboronexport.

Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) teilte auf Anfrage von heise online mit, dass die Sanktionen und die EU-Dual-Use-Verordnung strikt angewendet würden. Artikel 4 der EU-Dual-Use-Verordnung umfasse auch "Produkte, die eine ABC-Waffen, Raketentechnologie oder für militärische Endverwendungen in Russland bestimmt sind oder bestimmt sein können. Als militärische Endverwendung gilt insbesondere der Einbau in Rüstungsgüter sowie die Verwendung im Zusammenhang mit der Herstellung von Rüstungsgütern", erläutert ein BAFA-Sprecher. Das betreffe auch die Verwendung in Waffensystemen oder die Nutzung bei der Produktion von Rüstungsgütern: "Seit Kriegsbeginn wurden keine Ausfuhrgenehmigungen für derartige Güter nach Russland erteilt."

Das für die Exportkontrollen und die Chipindustrie politisch zuständige Bundeswirtschaftsministerium unter Robert Habeck (Grüne) äußerte sich zu dem Sachverhalt auf Anfrage inhaltlich nicht, verwies allgemein auf die Sanktionslisten und das BAFA, sowie darauf, dass es einen "fortlaufenden Dialog" unter den westlichen Unterstützern der Ukraine zu den Sanktionen gebe.

Im Koalitionsvertrag hatten SPD, GrĂĽne und FDP noch vereinbart, ein RĂĽstungsexportkontrollgesetz zu verabschieden, an dem seit mehreren Monaten gearbeitet werden soll. "FĂĽr waffentechnologische Entwicklungen bei Biotech, Hyperschall, Weltraum, Cyber und KI werden wir frĂĽhzeitig Initiativen zur RĂĽstungskontrolle ergreifen", heiĂźt es zudem im Koalitionsvertrag.

TDK Technologies gibt an, vor dem RUSI-Bericht keine Kenntnis von der Verwendung der eigenen, passiven elektronischen Bauteile gehabt zu haben. "Für unsere Produkte haben wir strenge Exportkontroll-Mechanismen etabliert. Außerdem ist in internen TDK-Richtlinien genauso wie in unseren Liefervereinbarungen und Kundenverträgen verankert, dass Produkte von TDK Electronics nicht in militärtechnischen Anwendungen eingesetzt werden dürfen", erklärte ein Sprecher gegenüber heise online.

TDK Technologies habe mit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine die Lieferung von Produkten in die Russische Föderation eingestellt. Dennoch ließe sich nicht vollständig ausschließen, dass einzelne Elemente, etwa über nicht-autorisierte Distributoren, ihren Weg in die Russische Föderation fänden.

Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter fordert auf Anfrage von heise online ein striktes Überwachungsregime für westliche Halbleiter. Ihm sei ein Verfahren vor dem Oberlandesgericht Dresden gegen einen deutschen Staatsbürger bekannt, der in den vergangenen Jahren Dual-Use-Güter nach Russland verkauft haben soll. "Das zeigt, dass es Verstöße durchaus in der Vergangenheit gegeben haben dürfte", sagt Kiesewetter. Russland könne zwar versuchen, mit Komponenten wie Halbleitern aus Drittländern westliche Produkte zu ersetzen. "Dennoch wird dies nicht in dem Ausmaß möglich sein, wie benötigt", schätzt der CDU-Bundestagsabgeordnete. "Umso wichtiger ist es, diese sehr wirksamen Sanktionen im Technologiebereich strikt zu überwachen."

"Die Funde westlicher Technologie in russischen Waffensystemen zeigen eindrücklich, dass die russischen Waffenschmieden auf westliche Bauteile und Elektronik maßgeblich angewiesen sind", sagt Maik Außendorf, digitalpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. Die bestehenden Sanktionen müssten konsequent angewendet werden und Schlupflöcher geschlossen werden. glaubwürdige Vorwürfe, die erhoben würden, müssten konsequent geprüft und die Wirksamkeit evaluiert werden, fordert Außendorf: "Es war ein Fehler der Vergangenheit, dass westliche Regierungen den Zugang Russlands zu kritischer Technologie insbesondere nach der Invasion der Krim durch Russland im Jahr 2014 nur langsam und zögerlich eingeschränkt haben."

Update

Stellungnahmen des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle und von Maik Außendorf wurden ergänzt und die Meldung entsprechend angepasst.

Update

Zahlen zu Infineon korrigiert

(axk)