"Sklavenhalter": Temu auch in China in der Kritik
Nicht nur in Deutschland und Europa gibt es Bedenken gegen die Geschäftspraktiken des Online-Marktplatzes Temu. Auch am Stammsitz China häufen sich Proteste.
Hierzulande haben vor allem Verbraucherschützer Temu ins Visier genommen. Sie werfen dem E-Commerce-Riesen unlautere Geschäftspraktiken wie willkürliche Rabatte und manipulative Designs ("Dark Patterns") vor. Doch auch am Stammsitz des Temu-Mutterkonzerns Pinduoduo (PDD) im südchinesischen Guangzhou nehmen die Proteste zu. Hunderte Händler versammelten sich Anfang der Woche vor Büros des Unternehmens, berichten chinesische Medien wie South China Morning Post. Aufgebrachte Händler sind sogar in das PDD-Gebäude vorgedrungen und haben Flure blockiert.
Eine Ursache für den Frust der Demonstranten sind just Maßnahmen, die Temu etwa auf Druck aus Deutschland und Europa hin ergriffen hat, um die Qualität der angebotenen Waren sicherzustellen. Sie beschwerten sich etwa über unangemessen hohe Bußgelder, die PDD ihnen aufgedrückt habe. Zudem halte die Firma oft Zahlungen zurück, um so künftige Strafen einfacher verhängen zu können. Sanktionen griffen etwa, wenn Händler Lieferfristen verpassten oder die Produktbeschreibungen nicht den Waren entsprächen. Einer der Betroffenen habe so auf sein T-Shirt geschrieben: "PDD, gib mir mein hart erarbeitetes Geld zurück."
Eine Gruppe von Händlern habe kürzlich in einem Temu-Logistikunternehmen eine Protestaktion abgehalten, bestätigte ein Sprecher gegenüber der FAZ. Es handle sich vor allem um Kleidungsverkäufer, die auch bei einem der größten Konkurrenten, der Fast-Fashion-Plattform Shein, aktiv seien. Sanktionen seien bei Fehlverhalten von Händlern nötig, hieß es bei PDD, "um einen qualitativ hochwertigen Marktplatz aufrechtzuerhalten". Prinzipiell setze sich der Plattformbetreiber aber "für eine faire Durchsetzung und Streitbeilegung ein".
Rebellion der UnterdrĂĽckten?
Eine auf Yoga-Kleidung spezialisierte Händlerin, die nicht an den aktuellen Protesten teilnahm, monierte gegenüber FAZ: "Die Plattform verlangt von uns, dass wir den günstigsten Preis im ganzen Internet anbieten, aber niemand fragt nach der Qualität. Wir Händler können nicht gleichzeitig den niedrigsten Preis und hohe Qualität garantieren." Kunden seien in der Lage, sehr einfach Ware zurückzugeben. Die Lieferkosten müssten dann die zwischen allen Fronten stehenden Anbieter berappen. Für jede verzögerte Lieferung ziehe Temu ihr umgerechnet rund 5 Euro ab. Sie sei kurz davor aufzugeben.
In Chinas sozialen Medien wie der Tiktok-Schwester Douyin oder Weibo riefen Beiträge über die Proteste ein großes, wenn auch geteiltes Echo hervor. PDD schütze nur die Rechte der Nutzer, war dort etwa zu lesen. Die Werbung der Händler sei mit der Realität oft nicht vereinbar. "Um es drastisch auszudrücken, die Plattformen sind Sklavenhalter", heißt es etwa. Eines Tages erhöben sich die Unterdrückten und rebellierten. Schon im Mai sollen sich Händler vor einem Temu-Gebäude zusammengefunden haben.
Temu und Shein sorgen hierzulande mit ihren Kampfpreisen für Waren, die sie bislang oft nicht einmal verzollen müssen, für Existenzängste im Einzelhandel. Nach Temu gab im Mai auch Shein gegenüber deutschen Verbraucherschützern eine Unterlassungserklärung ab und versprach, Beschwerdewege und Kontaktmöglichkeiten erkennbarer zu machen sowie auf Dark Patterns zu verzichten. Gegen Temu ist noch eine Beschwerde der europäischen Verbraucherschutz-Dachorganisation Beuc wegen Verstößen gegen den Digital Services Act (DSA) anhängig. Die EU-Kommission hat DSA-Auskunftsersuchen an beide E-Commerce-Größen geschickt.
(mma)