Boeing 737 Max: US-Behörde lässt Krisenjet unter Auflagen wieder starten

Nach zwei Abstürzen mit 346 Toten musste Boeings Verkaufsschlager 737 Max 20 Monate lang am Boden bleiben. Nun kommt grünes Licht aus den USA.

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Boeing 737 Max der Southwest Airlines geparkt auf dem Southern California Logistics Airport bei Victorville, Dezember 2019

Sollen bald wieder fliegen dürfen: Boeing 737 Max der Southwest Airlines geparkt auf dem Southern California Logistics Airport bei Victorville, Dezember 2019

(Bild: heise online/pbe)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hannes Breustedt
  • dpa
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Boeings Unglücksjet 737 Max hat nach mehr als anderthalbjährigem Flugverbot unter Auflagen die Starterlaubnis erhalten. Voraussetzung dafür ist unter anderem die Installation einer neuen Steuerungssoftware an den Flugzeugen, wie die US-Flugaufsicht FAA am Mittwoch in Washington mitteilte. Bis die 737 Max wieder voll in den Betrieb starten kann, dürfte es trotzdem noch etwas dauern. Zunächst müssen die letzten Wartungsarbeiten und Piloten-Trainings abgeschlossen werden.

Die 737 Max war im März 2019 nach zwei Abstürzen mit insgesamt 346 Toten aus dem Verkehr gezogen worden. Schon bald dem Absturz einer 737 Max der indonesischen Lion Air im Oktober 2018 tauchten erste Hinweise auf ein mögliches Problem mit dem Flugzeugtyp auf, die sich nach einem vergleichbaren Unglück mit einer Maschine der Ethiopian Airlines nur fünf Monate später erhärteten. Als Hauptursache der Unglücke gilt heute ein fehlerhaftes Steuerungsprogramm.

Europas Luftfahrtbehörde EASA hatte bereits Mitte Oktober erklärt, dass die 737 Max wieder ausreichend sicher sei und damit ihre Zustimmung zu einer Wiederzulassung signalisiert. Experten rechnen damit, dass die europäischen und andere internationale Aufsichtsbehörden nun ebenfalls zügig grünes Licht geben werden. Neben der EASA hatten Kanadas und Brasiliens Aufseher bereits bei Teilen des Wiederzulassungsverfahrens mit der FAA kooperiert.

Boeing bezeichnete die Entscheidung der FAA in einer Stellungnahme als "wichtigen Meilenstein". Vorstandschef Dave Calhoun sprach den Angehörigen der Absturzopfer abermals sein Mitgefühl aus. Die tragischen Unglücke und die Lektionen, die Boeing daraus gelernt habe, hätten zu einer Neuaufstellung des Konzerns und einem stärkeren Fokus auf Sicherheit, Qualität und Integrität geführt. Boeing müsse sicherstellen, dass es nie wieder zu solchen Unfällen komme, schrieb Calhoun in einem internen Memo an die Mitarbeiter. Sein Vorgänger Dennis Muilenburg hatte Ende 2019 seinen Hut nehmen müssen.

Nun muss sich zeigen, wie Fluggesellschaften und Passagiere die Krisenflieger annehmen. Fest steht, dass die Unglücke das Vertrauen in Boeing erschüttert und enorm am Image des Unternehmens gekratzt haben, das bis zu den Abstürzen als erfolgsverwöhnter Vorzeigekonzern und Triebkraft der US-Wirtschaft galt. Boeing war wegen des Debakels um die 737 Max massiv in die Kritik geraten und verdächtigt worden, das Modell im scharfen Wettbewerb mit Airbus überstürzt auf den Markt gebracht und die Sicherheit vernachlässigt zu haben. Dies wies Boeing zwar zurück, doch Fehler und Pannen hat der Hersteller eingeräumt.

Der Abschlussbericht des US-Kongresses zu den Abstürzen kam zu dem Ergebnis, dass technische Fehler sowie Verheimlichungen und Aufsichtsversagen zu den Unglücken führten. Auch die FAA musste sich heftige Kritik gefallen lassen. Der Behörde wird im Bericht eine grob unzureichende Kontrolle zur Last gelegt. Die Regulierer sollen bei der ursprünglichen Zertifizierung der 737 Max die Augen zugedrückt und sich von Boeing an der Nase herumführen lassen. Heikle Interna ließen die FAA in sehr schlechtem Licht erscheinen. In brisanten Boeing-Chats hieß es zur 737 Max etwa: "Dieses Flugzeug ist von Clowns entworfen, die wiederum von Affen beaufsichtigt werden."

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Das 737-Max-Desaster hat Boeing auch finanziell stark unter Druck gebracht und kostete letztlich CEO Denis Muilenburg den Job. Der Airbus-Erzrivale konnte die 737 Max – sein bis zu den Abstürzen bestverkauftes Modell – wegen der Flugverbote seit Frühjahr 2019 nicht mehr an Kunden ausliefern. Zahlreiche Aufträge wurden storniert, Boeing entstanden etliche Milliarden an Sonderkosten. In den drei Monaten bis Ende September fiel bereits der vierte Quartalsverlust in Folge an. Der Konzern reagiert auf die klamme Finanzlage mit drastischen Sparmaßnahmen und will seine Mitarbeiterzahl bis Ende 2021 auf rund 130.000 senken. Zum Vergleich: Anfang 2020 hatte Boeing noch etwa 160.000 Beschäftigte.

FAA-Chef Steve Dickson hatte stets betont, bei der Wiederzulassung der 737 Max besonders penibel zu sein. Dickson selbst ist erst seit August 2019 im Amt, übernahm die Leitung der Aufsicht also deutlich nach den Abstürzen vom Oktober 2018 und März 2019. Der FAA-Chef, der als Pilot unter anderem lange für Delta Air Lines unterwegs war, hatte sich Ende September beim "Administrator's Flight" persönlich von der Sicherheit der 737 Max überzeugt. Mit dem Flug und dem Pilotentraining am Flugsimulator zeigte sich Dickson zufrieden. Ihre heiße Testphase hatte die FAA bereits Anfang Juli abgeschlossen.

Im Oktober hatte die US-Luftfahrtaufsicht ihre Entwürfe für das überarbeitete Piloten-Training der 737 Max öffentlich vorgestellt. Das Feedback war jedoch nicht nur positiv. So gab es etwa deutliche Kritik der Pilotengewerkschaft. Auch Angehörige von einigen Absturzopfern äußerten Bedenken, ob die neuen Richtlinien ausreichten, um sicherzustellen, dass die als Hauptursache der Unglücke geltende Steuerungssoftware MCAS künftig besser von Flugcrews beherrschbar sei. Einer der großen Kritikpunkte war, dass Piloten nicht in der Lage waren, die Automatik bei Notfällen zu übersteuern.

Auch wenn die Wiederzulassung der 737 Max für Boeing eine große Erleichterung ist, blickt der US-Flugzeugriese weiter äußerst schwierigen Zeiten entgegen. Die Corona-Pandemie, die weite Teile des Luftverkehrs lahmgelegt und viele Fluggesellschaften in Finanznot gebracht hat, dürfte noch deutlich länger belasten. Der Konzern rechnet mit einer Durststrecke, die die Nachfrage nach Flugzeugen dauerhaft dämpfen wird. Boeing geht davon aus, dass es etwa drei Jahre dauern wird, um das Niveau von 2019 wieder zu erreichen. Bis die Luftfahrtbranche zu ihrem langfristigen Wachstumstrend zurückkehre, dürften fünf oder sogar mehr Jahre vergehen.

(vbr)