KI: Kannibalisieren sich die Programmierer?
Viele Branchen und Berufe wurden in den letzten Jahrzehnten durch IT umgekrempelt. Laut McKinsey und IDC trifft es wegen generativer KI jetzt die IT-Branche.

(Bild: Bild erstellt mit KI in Bing Designer durch heise online / dmk)
- Harald Weiss
Laut McKinsey sollen in den kommenden drei Jahren bis zu 250 Milliarden US-Dollar in generative KI (GenAI) für die Automatisierung des IT-Betriebes investiert werden. Das betrifft vor allem die Codeerstellung, den IT-Helpdesk und die Testautomatisierung. Neue Einsatzfelder von GenAI sollen agentenbasierte Workflows bilden, die andere Anwendungen ablösen: "Die Einbindung von GenAI in etablierte Produkte könnte deren Funktionsumfang verbessern, indem beispielsweise Schnittstellen zur Spracheingabe oder neue KI-basierte Co-Piloten zur Unterstützung bestehender Workflows geschaffen werden", heißt es in dem Bericht.
Das größte Potenzial von GenAI im Bereich der IT sehen die McKinsey-Analysten bei der Entwicklung neuer Anwendungssoftware. Hierzu werden Modelle für bestimmte Applikationen oder vertikale Arbeitsabläufe erstellt oder angepasst; mithilfe dieser Modelle soll dann der Code auch für speziellere Anwendungsfälle automatisch generiert werden. Des Weiteren könnten neue Tools für unternehmensspezifische Arbeitsabläufe entwickelt werden, beispielsweise für die Automatisierung bestimmter Backoffice-Prozesse oder die Erstellung von Wissensagenten, um gezielter auf die Unternehmensinformationen zugreifen zu können. Zusätzlich werden neue Tools zur Unterstützung der neuen KI-Anwendungsebene eingeführt, beispielsweise zum Managen der Basismodelle und der Plattformen zur KI-Entwicklung. Weitere Bereiche sind KI-Governance-Tools, Datenspeicherung, Netzwerke, Datenvisualisierung, AIOps und Automatisierung.
Die Programmierung ist laut McKinsey ein weiterer großer Anwendungsbereich von GenAI. Damit ließe sich die Produktivität der Softwareentwickler um bis zu 50 Prozent steigern. Das betrifft vor allem die Dokumentation, die Anpassung an neue Anforderungen und Refactoring. Das wird dazu führen, dass mehr Eigenentwicklung betrieben wird und weniger Standardsoftware zum Einsatz kommt. Dieser Trend werde dadurch verstärkt, dass Citizen-Developer demnächst nicht mehr Low-Code/No-Code nutzen, sondern nur noch in natürlicher Sprache und GenAI programmieren. Auch die neue KI-basierte, direkte Kommunikation der Nutzer mit den KI-Daten und -Modellen soll eine bedeutende Rolle einnehmen. So hat das MIT soeben GenSQL für solche Abfragen vorgestellt. "Mit SQL lassen sich Fragen an eine Datenbank in einer höheren Programmiersprache stellen, wir meinen aber, dass man in Zukunft von der reinen Datenbankabfrage zur Befragung von Modellen und deren Daten übergehen muss, was nur in natürlicher Sprache erfolgen kann", schreibt der MIT-Forscher Vikash Mansinghka in seiner Veröffentlichung.
McKinsey ist mit diesen Ansichten nicht allein. Auch bei IDC ist man der Meinung, dass GenAI-basierte Tools die Softwarewelt verändern werden. "GenAI wird vor allem die Softwaretests automatisieren, was den manuellen Aufwand deutlich verringern wird und zu einer besseren Codequalität führen wird", heißt es in einem IDC-Bericht zu diesem Thema. Darüber hinaus sehen deren Analysten auch eine Welle an KI-basierten Modernisierungen bei den IT-Services, zum Beispiel dem Helpdesk.
KI in der IT ist an sich nicht neu
Die euphorischen Prognosen basieren unter anderem darauf, dass KI schon lange den IT-Betrieb unterstützt. Beispiele dafür sind HPs Proactive Insights oder Intels Data Center Manager (DCM), HPE ist mit Infosight und ApsRamp vertreten. Allen gemeinsam ist, dass mithilfe von KI viele Betriebsdaten in Echtzeit analysiert werden, um nach Anomalien Ausschau zu halten und automatisch Gegenmaßnahmen einzuleiten. HPEs Rubis Central verwaltet beispielsweise über vier Millionen Geräte der HPE-Kunden. Per KI lässt sich ermitteln, was die besten Maßnahmen für einen optimalen Netzwerkbetrieb sind. Dazu gehören dann auch Empfehlungen an die Netzwerk-Administratoren. Diese können der Empfehlung folgen oder sie ablehnen. In vielen Fällen erscheint dann ein kleines Kontrollkästchen mit der Frage: "Falls das Problem nochmal auftritt, soll es dann automatisch vom System korrigiert werden?"
Bei Dell Technologies gibt es die Apex AIOps Infrastructure Observability. Sie bietet KI-gestützte Einblicke, Prognosen und Empfehlungen zur IT-Optimierung, der Cybersicherheit und zur Nachhaltigkeit der gesamten IT-Infrastruktur. Laut Dell ergeben sich damit eine Reihe an Betriebsvorteilen: Nur ein Zehntel der Zeit zur Lösung von Infrastrukturproblemen, Einsparung von einem Arbeitstag pro Woche bei der Systemadministration und nur drei Minuten für eine automatische Cybersicherheitsprüfung von 1000 Systemen. All diese Produkte basieren auf klassischer KI und werden unabhängig von GenAI fortlaufend weiterentwickelt, sodass damit auch zukünftig die IT-Administration deutlich entlastet werden wird.
Aktuell noch kaum GenAI im Einsatz
Was den aktuellen Stand von GenAI in der IT angeht, so ist die Nutzung noch relativ gering. Laut dem Beratungsunternehmen Bain & Company haben erst 21 Prozent der Unternehmen GenAI im Bereich der Softwareentwicklung im Einsatz und 35 Prozent experimentieren in entsprechenden Entwicklungsprojekten. Wobei nicht bekannt ist, wie tiefgreifend und umfangreich die einzelnen Aktivitäten sind. Bei den IT-Operations sagen sogar nur 17 Prozent, dass sie bereits GenAI einsetzen und 28 Prozent sind noch im Projektstatus.
Die Fehlerrate ist bei diesen Lösungen noch recht hoch. "Ein Codier-Agent kann zwar sehr schnell jeden gewünschten Code generieren, doch er kann nicht erkennen, was daran falsch ist, er weiß auch nicht, wie er den Code testen soll", sagt Kanjun Qiu, CEO und Gründer vom KI-Startup Imbue, der sich auf solche GenAI-Lösungen spezialisiert hat. Auch der Nvidia-Researcher Jim Fan hat da seine Bedenken. "ChatGPT kann zwar Code schreiben, aber es ist nicht in der Lage, lange Inhalte zu verstehen. Ein menschlicher Entwickler kann sich in Dutzenden, wenn nicht Hunderten von Codezeilen zurechtfinden – das schafft derzeit kein Codier-Agent", lautet seine Erfahrung. Infosys nutzt GenAI zur schnelleren Programmierung, darunter GitHub Copilot und einen internen Codierungsassistenten. Doch wie groß der Nutzen ist, weiß man nicht genau. "In einigen Bereichen gehen die Kosten runter, in anderen entstehen aber auch neue zusätzliche Kosten. Der richtige Einsatz erfordert erhebliche Investitionen, beispielsweise in Forschung und Entwicklung", sagt Sunil Senan, Leiter für Daten, Analysen und KI bei Infosys.
Zuletzt hatte das Upwork Research Institute in einer Umfrage ermittelt, dass der Einsatz von generativer KI für 77 Prozent der Anwender einen Mehraufwand bedeuten würde. 47 Prozent fragen sich demnach, wie sie die verlangte, gesteigerte Produktivität erreichen sollten. Auch die Analysten von McKinsey relativieren zum Ende des Berichts ihre Aussagen: "Natürlich ist das volle Ausmaß der langfristigen Folgen schwer vorherzusagen, insbesondere angesichts der unvorhersehbaren Entwicklung der neuen Technologien und Anwendungen und der unzähligen Möglichkeiten, wie sie sich letztendlich auswirken könnten", heißt es dort.
(fo)