zurück zum Artikel

Urheberrecht: Keine Gnade für Omas Fototapete beim Landgericht Köln

Daniel AJ Sokolov
Skupltur eines tief in gedanken versunkenen Mannes

(Bild: Hung Chung Chih / Shutterstock.com, Skulptur: Auguste Rodin, Der Denker)

Ein Fotograf möchte für Fotos von Fototapeten Urheberrechts-Tantiemen kassieren. Deutsche Gerichte lehnen das ab – außer in Köln. Das LG baut sogar dem BGH vor.​

Eine Oma renoviert und lässt 2012 eine legal erworbene Fototapete anbringen, die ein Foto einer Mauer zeigt. Ab 2015 kann die dann 90-Jährige nicht mehr alleine leben und zieht zu ihrer Enkelin. Um einen Teil der Pflegekosten zu decken, übernimmt die Enkelin Omas Haus und vermietet es als Ferienwohnung. Die Frau bewirbt die Wohnung im Internet. Nach acht Jahren kommt plötzlich eine Abmahnung einer kanadischen Firma mit Geldforderung: Auf der Webseite ist nämlich ein Foto eines Zimmers zu sehen, an dessen Wand die Fototapete klebt. Das macht die Enkelin zur Rechtsbrecherin.

Zumindest wenn das Landgericht Köln zu entscheiden hat: Der Fotograf der Mauer habe zwar den Abdruck seines Fotos auf der Tapete genehmigt, nicht aber die "Vervielfältigung" des Mauerfotos durch die Ferienwohnungsvermieterin im Internet, meint die 14. Zivilkammer des LG Köln in einem heise online vorliegenden Urteil (Az. 14 O 60/23) [1]. Diese "Zurverfügungstellung" des Mauerfotos ist demnach ein Verstoß gegen Urheberrecht [2].

Und weil die Enkelin nicht erforscht hat, dass der Fotograf der Mauer Stefan Böhme heißt, und Böhme auf der Ferienwohnungs-Webseite nicht genannt hat, habe sie auch dessen Urheberpersönlichkeitsrecht verletzt. Er hat seine Rechte an seine eigene in Kanada registrierte Firma übertragen, die nun in Deutschland Abmahnungen verschicken und Klagen erheben lässt. Auch gegen Tapezierer, die Fototapeten im Kundenauftrag anbringen und die getane Arbeit online dokumentieren, wie zum Beispiel den Malermeister Kay Hofmeister [3].

Tatsächlich kann sich das LG Köln bei seiner Auslegung des Urheberrechts auf den Bundesgerichtshof (BGH) stützen. Der hat vor zehn Jahren im Fall "Möbelkatalog" (Az. I ZR 177/13) [4] die Ausnahme für "unwesentliche Beiwerke" in Paragraph 57 Urheberrechtsgesetz sehr eng ausgelegt. In einem Bild einer Sitzgruppe in einem Möbelkatalog war im Hintergrund ein an der Wand hängendes Gemälde zu sehen. Dessen Maler klagte; LG und Oberlandesgericht Köln stuften das Gemälde als unwesentliches Beiwerk ein, doch der BGH entschied gegenteilig. Das kam den Möbelhändler – und Jahre später Vermieterinnen tapezierter Ferienwohnungen – teuer.

Am LG Köln hat Herr Böhme bereits einen solchen Urheberrechtsprozess wegen eines Fotos mit Fototapete [5] gewonnen, ebenfalls gegen eine Vermieterin einer Ferienwohnung. Diese riskierte die zusätzlichen Kosten einer Berufung nicht, sodass das Urteil (Az. 14 O 350/21) rechtskräftig wurde: Auch mit seiner Klage gegen die Enkelin konnte der Fototapeten-Fotograf das Gericht überzeugen, muss aber in die zweite Instanz. Denn die Enkelin riskiert zusätzliche Kosten und ergreift Rechtsmittel.

Ebenfalls im April hat das LG Köln mindestens zwei weitere Fototapeten-Urteile gefällt, nämlich gegen Malermeister. Sie haben vor Jahren im Kundenauftrag Fototapeten an Wände geklebt und Fotos ihrer verrichteten Arbeit als Referenz online gestellt (Az. 14 O 70/23 [6] und 14 O 75/23 [7]). Auch das ist aus Sicht des LG Köln eine Urheberrechtsverletzung – die doppelt so teuer kommt, weil der Name des Fotografen beim Bild der tapezierten Zimmerwand nicht genannt wird. Einer der Betroffenen ist Malermeister Hofmeister aus Lehrte-Ahlten (Raum Hannover). Er will sich diese Rechtsprechung nicht gefallen lassen und hat gegenüber heise angekündigt, ebenfalls in Berufung zu gehen. Sowohl der Malermeister als auch die Enkelin müssen auf neue Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hoffen.

Denn bei Gerichten in Düsseldorf und Stuttgart hatte Fototapetenfotograf Böhme keinen Erfolg [8]. LG und OLG Düsseldorf meinen, dass Böhme durch den Tapetenverkauf einerseits konkludent eine Lizenz eingeräumt hat, andererseits seine Klagen rechtsmissbräuchlich seien. Der Fotograf möchte diese Niederlagen in Sachen Fototapete vom Bundesgerichtshof [9] umdrehen lassen. Verhandelt wird dort am 27. Juni.

Das LG Stuttgart (Az. 17 O 39/22) hat noch kürzeren Prozess mit dem Fotografen gemacht; demnach ist unerheblich, ob mit dem Tapetenkauf konkludent eine Lizenz zur Veröffentlichung von Zimmerfotos verbunden ist, oder ob die Tapete im Zimmerfoto unter "unwesentliches Beiwerk" fällt. Denn nach Treu und Glauben sei der Urheber sowieso verpflichtet, in die bestimmungsgemäße Nutzung der legal erworbenen Fototapete einzuwilligen. Böhme wandte sich an das OLG Stuttgart (Az. 4 U 194/22), zog die Berufung während der Verhandlung allerdings wieder zurück. Der Senat hatte ihm zu verstehen gegeben, dass sein Rechtsmittel aussichtlos war. Damit wurde dieses Urteil rechtskräftig.

Das OLG München hat ebenfalls gegen Stefan Böhme entschieden (Az. 29 U 1280/23e). Dieses Urteil ist nicht veröffentlicht und nach heise online vorliegenden Informationen nicht rechtskräftig. Der Fotograf hat demnach das Ruhen seiner Berufung erwirkt, bis der BGH über seine Düsseldorfer Berufungen entschieden hat.

Darauf wollten die Kölner Richter nicht warten. Auf rund drei Dutzend Seiten erklärt die Kammer in ihren Urteilsbegründungen, dass sie den Düsseldorfer (und Stuttgarter) Entscheidungen nicht folgt und an der Rechtsprechung ihres ersten bekannt gewordenen Foto-von-Fototapeten-Falles festhält. In den Urteilsbegründungen klingt leise Kritik am Gesetzgeber durch: "Kern der hiesigen Problematik (ist) das Fehlen einer passenden Schrankenregelung".

Das ist nicht falsch; zumindest hat der Gesetzgeber es verabsäumt, auf die 2014 ergangene Möbelkatalog-Entscheidung des BGH zu reagieren, die die Schranke für "unwesentliche Beiwerke" in Fotos so eng auslegt, dass sie kaum noch etwas bewirkt. Dabei ist das Problem keineswegs auf Tapeten beschränkt. Auch andere Gegenstände, die im Hintergrund online gestellter Fotos auftauchen, sind häufig urheberrechtsbeschwert. Ob sich im Bild nun eine verblassende Fototapete, ein schicker Radioempfänger oder eine bunte Vase verstecken, macht immaterialgüterrechtlich keinen Unterschied.

Nicht geprüft hat das LG Köln den Widerspruch seiner Auslegung deutschen Urheberrechts zu Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention [10] (EMRK). Der verbrieft das Recht auf freie Meinungsäußerung. Im Unterschied zum Gemälde der Möbelkatalog-Entscheidung kann eine Tapete nicht zerstörungsfrei von der Wand genommen werden. In so einem Fall führt die enge Auslegung der Beiwerk-Ausnahme schnell dazu, dass bildliche Äußerungen im Internet unterdrückt werden. Allerdings lassen die Kölner Urteilsbegründungen vermuten, dass die Beklagten nicht mit der EMRK argumentiert haben.

Immerhin eine Schranke zieht die Kölner Kammer: Die vierstelligen Schadensersatzforderungen des Fototapeten-Fotografen stutzt sie auf 100 Euro (Enkelin) beziehungsweise 200 Euro (Malermeister) pro Bild zurück. Diese Beträge verdoppelt sie dann allerdings "wegen fehlender Urheberbenennung".

In Fachkreisen wurde schon die erste bekannt gewordene Foto-von-Fototapete-Entscheidung des LG Köln (Az. 14 O 350/21) kritisiert, speziell die zu enge Auslegung der Ausnahme für unwesentliches Beiwerk. Jurist Markus Wypchol hat eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) angeregt. Das lehnt die Kölner Kammer ausdrücklich ab: Weil die Foto-von-Fototapete-Frage inzwischen beim Bundesgerichtshof anhängig ist, sei es Aufgabe des BGH, nicht des LG, gegebenenfalls den EuGH zu befassen.

Gleichzeitig aber meinen die Kölner Richter, dass ihre Fälle anders gelagert seien, als die beim BGH anhängigen. Denn in den Düsseldorfer Prozessen seien die Käufer der Fototapeten beklagt, in den aktuellen Kölner Fällen jedoch Dritte (die Enkelin respektive Tapezierer). Juristisch macht das in der Tat einen Unterschied, wenn man nur im Konzept urheberrechtlicher Lizenzen denkt. Denn dann müsste man zum konkludenten Lizenzerwerb beim Fototapetenkauf auch noch den konkludenten Erwerb des Rechts zur Unterlizenzierung an Dritte hinzudenken, um Enkelinnen oder Tapezierern zu schützen. Im Lichte der Urteile aus Düsseldorf und Stuttgart erweckt diese Differenzierung jedoch den Eindruck, als bauten die Kölner Richter einer BGH-Entscheidung gegen den Fototapetenfotografen vor. Das OLG Köln könnte dann vielleicht immer noch meinen, die BGH-Entscheidung sei auf seine Fototapeten-Konstellation gar nicht anwendbar.

Weil die Kölner Richter mit ihren Urteilen nicht zuwarten, bis der BGH entschieden hat, zwingen sie die Betroffenen, das Urteil zu schlucken oder eine Berufung zu riskieren. Bleibt der Gang in die zweite Instanz ohne Erfolg, kostet das weitere tausende Euro. Die Enkelin hat heise online verraten, dass sie bis jetzt etwa 4.500 Euro zahlen müsste: 200 Euro Schadensersatz, der Rest für die Abmahnung, Anwälte und Gericht. Weitere 900 Euro kommen nun alleine für die Erhebung der Berufung hinzu; verliert die Enkelin erneut, erwartet sie insgesamt etwa 8.500 Euro Unkosten – für eine vor zwölf Jahren legal für 22 Euro erworbene Fototapete. "Abgezockt", fühlt sie sich. Bei den Malermeistern sind die Streitwerte und damit auch die Kosten höher.

Dass das LG Köln bereits mindestens vier ähnliche Klagen zu entscheiden hatte, ist kein Wunder: In Deutschland dürfen Kläger, die eine Verletzung ihrer Immaterialgüterrechte im Internet behaupten, sich frei aussuchen, welches Gericht sie anrufen. Und das LG Köln hat sich für Klagen von Fototapeten-Fotografen einen Namen gemacht.

In eigener Sache: heise online bei WhatsApp

Keine Tech-News mehr verpassen: heise online auch bei WhatsApp abonnieren!
Wir schicken einmal am Tag die wichtigsten Nachrichten aus der Redaktion. [11]

(ds [12])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9724593

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.justiz.nrw/nrwe/lgs/koeln/lg_koeln/j2024/14_O_60_23_Urteil_20240418.html
[2] https://www.heise.de/thema/Urheberrecht
[3] https://kay-hofmeister.de/
[4] https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=71060&pos=0&anz=1
[5] https://www.heise.de/news/Urteil-Fototapete-in-Gaestezimmer-als-Urheberrechtsverletzung-7524441.html
[6] https://www.justiz.nrw/nrwe/lgs/koeln/lg_koeln/j2024/14_O_70_23_Urteil_20240411.html
[7] https://www.justiz.nrw/nrwe/lgs/koeln/lg_koeln/j2024/14_O_75_23_Urteil_20240411.html
[8] https://www.heise.de/news/Foto-von-Fototapete-Uneinheitliche-Rechtsprechung-zu-Urheberrecht-9599526.html
[9] https://www.heise.de/news/Urheberrecht-Foto-von-Fototapete-landet-beim-Bundesgerichtshof-9648318.html
[10] https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR12016941/NOR12016941.html
[11] https://whatsapp.com/channel/0029VaD7BPYGOj9jrhBhjX1U
[12] mailto:ds@heise.de