Urheberrecht im digitalen Zeitalter: Flatrate vs. Internetsperren
Tim und Kai-Hinrich Renner plädieren für eine Medien-Flatrate. Bei der Vorstellung ihres Buchs "Digital ist besser" meinte Günter Krings von der CDU, das Einlenken bei Websperren sei eine "letzte Rettungsmaßnahme" für den Koalitionspartner gewesen.
Günter Krings, Vize-Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hat das Einlenken der Konservativen beim Zugangserschwerungsgesetz als Überlebenshilfe für den Koalitionspartner bezeichnet. Die Union habe der FDP das Aus für Websperren als "letzte Rettungsmaßnahme" zugestanden, erklärte der Rechtspolitiker am gestrigen Mittwoch bei einer Präsentation des Buchs "Digital ist besser" in Berlin. Nach Ansicht des CDU-Abgeordneten ist es zwar falsch gewesen, "das Thema aufzugeben". In der CSU seien auf Basis einer Empfehlung des Netzrates der Partei aber viele gegen Blockaden von Webseiten gewesen und die Opposition ohnehin. Da hätte die CDU keinen Alleinmarsch stemmen können.
Er persönlich sei nach wie vor dafür, neben Bemühungen zum Löschen von Kinderpornografie im Web Sperren als zusätzliches Mittel vorzusehen, erklärte Krings. Er räumte aber ein, dass die Zahlen des Bundeskriminalamts über Erfolge beim Entfernen sexueller Kindesmissbrauchsbilder an der Quelle besser geworden seien. Es sei aber eine "Wertungsfrage", ob man es als ausreichend erachte, wenn das inkriminierte Material erst nach vier Wochen zu 99 Prozent gelöscht sei.
Die Autoren des Buchs, der frühere Chef von Universal Music Deutschland und Gründer von Motor Entertainment, Tim Renner, und sein Bruder, der Printjournalist Kai-Hinrich Renner, sehen Websperren als Vorstufe zur Zensur und das Kappen ganzer Internetzugänge im Kampf gegen Urheberrechtsverletzungen als modernes Äquivalent der Exkommunikation an. Das alte Mediensystem agiert ihrer Meinung nach wie die katholische Kirche in der Zeit der Reformation. Es versuche, mit dem Internet entstandene Freiheiten der persönlichen Vernetzung oder des Teilens neuer musikalischer Entdeckungen mit Freunden wieder zu unterdrücken, was zum Scheitern verurteilt sei. "Der Produzent muss loslassen können, wenn es um die Inhalte geht", schreiben die Verfasser. Die digitale Welt knüpfe an alte Ideale des Punk an, indem sie die Grenzen zwischen dem Konsum und der Produktion von Medien verwische.
Wer Kreative trotzdem vergüten und beispielsweise rechercheintensiven Journalismus fördern wolle, landet den Renner-Brüdern zufolge entweder beim Modell der Stiftung oder dem der Flatrate. Letzteres sei "höchst komfortabel für Medieninhalte". Den Ansatz der hierzulande vor allem von den Grünen hochgehaltenen Kulturflatrate zur vollständigen Legalisierung von Filesharing sehen sie aber mit einigen Fragezeichen verknüpft. So sei es dabei schwer, für Verteilungsgerechtigkeit bei den Ausschüttungen und eine angemessene Gewichtung unterschiedlicher Medienangebote zu sorgen. Die Insider plädieren daher für eine "fakultative Flatrate mit Kontrahierungszwang", sprich: eine Pauschalgebühr für Medieninhalte, die Nutzer freiwillig zum Internetanschluss in verschiedenen Ausformungen hinzubuchen können. Die Rechteinhaber müssten dafür die von ihnen vertretenen Werke zur Verfügung stellen. Sollten sie über den Preis der Lizenzierung mit den Providern keine Einigung erzielen, würde diesen eine Schiedsstelle festlegen.
Eingeschlossen sein könnten in solche Flatrates den Verfassern nach auch journalistische Inhalte, was das von Zeitungs- und Zeitschriftenverlegern geforderte neue Leistungsschutzrecht zur Vergütung von Presseerzeugnissen im Internet überflüssig machen dürfte. Das Flatrate-Modell mit Abschlusszwang habe sich bereits bei der Entstehung des Rundfunks bewährt, indem der Staat ein "Senderecht" schuf, erläuterte Tim Renner. Die Medienindustrie sei mit solchen Pauschalgebühren keineswegs am Rand des Ruins. Schließlich habe sich in Hotels ebenfalls das "All you can eat"-Frühstücksbüffet durchgesetzt, ohne dass die Übernachtungsstätten und ihre Zulieferer pleite gegangen seien. Kai-Hinrich Renner brachte zusätzlich die Überlegung ins Spiel, investigativen Journalismus über die Rundfunkgebühr mitzufinanzieren.
Krings hielt dagegen, dass Diskussionen in der Netzgemeinde sektenartige Züge angenommen hätten und dort von einer Freikirche zu sprechen sei. So werde etwa oft die Richtergenehmigung vor staatlichen Eingriffsbefugnissen "erhöht", als ob damit eine "demokratische Weihe durch Handauflegung" verbunden sei. Die Medienwirtschaft müsse zwar durchaus zunächst selbst neue, auf das Internet abgestimmte Marktmodelle entwickeln, was sie "teilweise verpennt" habe. Der Staat hat Krings zufolge indes parallel "auch auf den Langsamen Rücksicht zu nehmen" und ihm zur Durchsetzung seiner Rechte zu verhelfen. Es gebe eine gewisse Mitverantwortung des Staates, was Kultur- und Medienpolitik angehe. "Wir haben einen gewissen Qualitätsanspruch fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen", sagte der CDU-Politiker im Hinblick auf das Leistungsschutzrecht. Das gelte zum Teil auch für Zeitungen. Rein ordnungspolitisch betrachtet sei eine "gewisse Unterstützung für Verlage" aber "nicht ganz widerspruchsfrei".
Der Rechtsexperte kritisierte zugleich den Internetkonzern Google scharf, da dieser mit großer "Arroganz" an die deutsche Rechtsordnung und die Medienlandschaft herangehe. Obwohl der Suchmaschinenprimus mit Werbung im Netz mehr Umsatz mache als alle deutschen Zeitungsverlage, sei er etwa auch bei YouTube nicht bereit, für die Musiknutzung zu zahlen. Eine Kulturflatrate lehnte Krings als zu weit gehend ab, da damit nur der belohnt werde, "der möglichst viel rafft". Er appellierte an Provider, Internetzugänge bei wiederholten Urheberrechtsverstößen gegebenenfalls in Eigenregie zu kappen: Wenn ein Zugangsanbieter wisse, dass jemand einen Anschluss überwiegend für illegale Downloads nutzt, könne er "kein ehrbarer Kaufmann" sein, wenn er diesen aufrechterhalte. (jk)