Urteil: BND-Datenstaubsauger ist bei Cybergefahren teils verfassungswidrig​
Die BND-Befugnis zur internationalen Massenüberwachung ist bei Cybergefahren nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden.​
Der Gesetzgeber muss erneut bei den Befugnissen des Bundesnachrichtendienstes (BND) nachsitzen und diese weiter einschränken. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in einem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss vom 8. Oktober mit Blick auf die seit Jahren umstrittene verdachtsunabhängige Massenüberwachung durch den Auslandsgeheimdienst in Form der strategischen Inland-Ausland-Fernmeldeaufklärung festgelegt (Az.: 1 BvR 1743/16, 1 BvR 2539/16). Die Befugnis für den Einsatz des dafür verwendeten Datenstaubsaugers ist demnach im Bereich der Cybergefahren teils nicht mit dem Fernmeldegeheimnis vereinbar.
Grundsätzlich sei das Instrument trotz seines besonders hohen Eingriffsgewichts zwar mit Artikel 10 des Grundgesetzes vereinbar, entschied der Erste Senat. Die strategische Fernmeldeüberwachung sei von "überragendem öffentlichen Interesse". Die gesetzliche Ausgestaltung des Werkzeugs sei aber unverhältnismäßig: Derzeit fehle eine hinreichende Vorschrift zum Aussondern von Daten aus rein inländischen Telekommunikationsverkehren, wobei der BND etwa auf E-Mail-Adressen mit .de-Endung setzt. Das Artikel-10-Gesetz enthalte keine Vorgaben dazu, wie mit den zumindest im Internet "notwendig miterfassten Daten aus rein inländischen Telekommunikationsverkehren umzugehen ist".
Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung für ausländische Personen im Ausland sei ebenfalls ungenügend, heben die Karlsruher Richter hervor. Die gezielte Erfassung innerer Vorgänge, Überlegungen und Erlebnisse höchstpersönlicher Art sei auch gegenüber ausländischen Personen im Ausland unzulässig. Suchbegriffe, die diese Intimsphäre betreffen, dürfen hier nicht verwendet werden.
Ausbeute bei Cybergefahren war meist mau
Auch die Aufbewahrungsfrist für die Dokumentation sei zu kurz, moniert das Verfassungsgericht. Die Ausgestaltung der unabhängigen Kontrolle durch die G10-Kommission sei zudem unzureichend. Diese Aufsicht müsse etwa die faktische Schwäche der individuellen Rechtsschutzmöglichkeiten ausgleichen, die aus den nur begrenzten Auskunfts- und Benachrichtigungspflichten über die strategische Telekommunikationsüberwachung folgt. Als Ersatz sei eine "fachlich kompetente, professionalisierte gerichtsähnliche Kontrolle sicherzustellen". Da reiche es nicht aus, dass die Mitglieder der G10-Kommission "lediglich ein öffentliches Ehrenamt innehaben".
Die Karlsruher Richter haben dem Gesetzgeber bis Ende 2026 Zeit gegeben, um die Norm im Gesetz zur Einschränkung des Fernmeldegeheimnisses anzupassen. Bis dahin gilt sie mit Maßgaben fort. Große Erkenntnisse konnte der BND in den vergangenen Jahren oft eh nicht aus der Nutzung des Datenstaubsaugers ziehen. Gerade im Gefahrenbereich "Cyber" blieb etwa 2019 die Ausbeute beim Rastern der internationalen Telekommunikation mit Suchbegriffen mau. Mit dem Plazet der G10-Kommission waren in diesem Sektor damals im ersten Halbjahr 130 Selektoren angeordnet. Der auswertende Fachbereich stufte aber keinen im Sieb hängen gebliebenen Telekommunikationsverkehr als nachrichtendienstlich relevant ein.
Ständige Puzzlearbeit von Bürgerrechtlern
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Mai 2020 schon einmal geurteilt, dass die vom BND praktizierte strategische Fernmeldeaufklärung gegen das Grundgesetz verstieß. Der Bundestag legalisierte diese Form der Massenüberwachung wenig später prinzipiell erneut, auch wenn seitdem etwa teils erhöhte Anforderungen an die erfassbaren Personenkreise gelten und die Kontrolle verbessert werden sollte. Der Gesetzgeber weitete zugleich die Gefahrenbereiche deutlich aus, in denen der BND den Datenstaubsauger anwerfen darf.
"Das jüngste Urteil aus Karlsruhe beweist, dass unsere strategischen Klagen für einen besseren Schutz der Privatsphäre Wirkung zeigen", freut sich Bijan Moini von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) über die neue Ansage. "Stück für Stück holen die von uns errungenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Geheimdienstarbeit auf den Boden des Grundgesetzes zurück." Die GFF hatte schon 2016 zusammen mit Amnesty International Klage erhoben.
(mki)