Urteil zu Künast-Falschzitat bestätigt: "Scharfe Waffe im Meinungskampf"

Renate Künast hat sich in letzter Instanz vor dem OLG Frankfurt gegen einen rechtsextremen Blogger durchgesetzt, der einen Zwischenruf falsch zitiert hatte.

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OLG Frankfurt: Falschzitat im Künast-Fall ist "scharfe Waffe im Meinungskampf"

Renate Künast

(Bild: Laurence Chaperon)

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Die Bundestagsabgeordnete Renate Künast kann in ihrem Kampf gegen Hass und Hetze im Internet weiter punkten. Das Oberlandesgericht Frankfurt (OLG) bestätigte in einem am Dienstag veröffentlichten Beschluss vom 16. April (Az. 16 U 9/20) das Urteil der Vorinstanz in einer Unterlassungsklage der Grünen. Der rechtsradikale Blogger Sven Liebich darf demnach nicht mehr behaupten, die Berliner Politikerin habe Pädosexualität als "doch ganz ok" bezeichnet.

Liebich hatte 2016 einen Beitrag zu einem ein Jahr vorher in der "Welt" publizierten Artikel zu einer 1986 erfolgten Pädophilie-Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus verfasst. Ein CDU-Volksvertreter hatte damals eine Kollegin von Künast gefragt, wie sie zu einem Beschluss der nordrhein-westfälischen Grünen stehe, wonach diese die Strafandrohung gegen sexuelle Handlungen an Kindern aufheben wollten. Künast warf dazwischen: "Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist."

Daraus machte Liebich in einem Facebook-Posting mit Link auf den Report in der "Welt" und einer Aufnahme des Kopfs der Klägerin in sprechender Pose: "Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist Sex mit Kindern doch ganz o. k. Ist mal gut jetzt." Mit dem Verweis löste der Rechtsextremist eine Welle an Hassäußerungen gegen Künast aus. Gegen einzelne besonders verletzende davon geht die Grüne separat vor, wobei Berliner Gerichte in den Beschimpfungen erst nach und nach Beleidigungen beziehungsweise Schmähkritik erkannten. Künast will hier zivilrechtlich oder mit Beschwerden am Ball bleiben.

Das OLG stellte in dem Ursprungsfall nun klar, dass es sich bei dem Posting Liebichs um eine Tatsachenbehauptung und nicht allein eine Meinungsäußerung handele. Der Beklagte habe den Eindruck erweckt, dass er die Klägerin wörtlich zitiere, und damit ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt. Das Zitat, das als Belegkritik verwendet werde, stelle "eine besonders scharfe Waffe im Meinungskampf" dar, betonen die Richter unter Verweis auf höchstrichterliche Rechtsprechung. Hier sei der Eindruck, es handele sich um ein Zitat der Klägerin, bereits deshalb unzutreffend, da Künast die angegriffene Äußerung in der dargestellten Form nicht getätigt habe.

Der Beklagte habe nicht kenntlich gemacht, dass es sich nur um eine Interpretation einer mehrdeutigen Aussage gehandelt habe, heißt es in der Entscheidung weiter. Maßgeblich sei dabei nicht das vertretbare Verständnis eines Durchschnittslesers. Es komme vielmehr darauf an, "was der Zitierte gemessen an seiner Wortwahl, dem Kontext seiner Gedankenführung und dem darin erkennbar gemachten Anliegen zum Ausdruck gebracht hat". Der Einwurf Künasts sei für sich gesehen inhaltsleer und könne allein im Zusammenhang einen Sinn erhalten. Eine "inhaltliche Positionierung" sei damit nicht zwangsläufig verbunden gewesen, was Liebich hätte kenntlich machen müssen.

Künast bezeichnete den OLG-Beschluss als "wichtiges Zeichen im Kampf gegen Hasskommentare und Desinformation". Falschzitate seien eines der Hauptinstrumente, mit denen der organisierte Rechtsextremismus gegen politische Gegner und die Demokratie hetze. "Einmal in der Welt lassen sie sich nur schwer wieder einfangen." Sie hofft, dass die Entscheidung, die nicht mehr anfechtbar ist, "jetzt weit über meinen konkreten Fall Wirkung entfalten" werde.

Das Landgericht Frankfurt hatte im Februar in einem ähnlichen Fall einen AfD-Mitarbeiter dazu verurteilt, der Ex-Ministerin 3000 Euro Entschädigung zu zahlen. In einem Tweet hatte er 2015 ebenfalls verkürzt geschrieben: "Renate Künast 1986 zum Thema Sex mit Kindern: 'Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist.'" Auch darin schloss sich ein Shitstorm gegen die Grüne an, der noch gerichtlich aufgearbeitet wird. In diesem Berufungsverfahren hat das OLG noch nicht entschieden.

Die Organisation HateAid, die Künast bei ihrem Vorgehen gegen Hass unterstützt, meldete parallel, dass am 18. Februar die Wohnung eines mutmaßlichen Verfassers von Hasskommentaren gegen die Politikerin auf Basis eines Beschlusses des Amtsgerichts Frankfurt durchsucht worden sei. Die Beamten hätten dabei Mobiltelefon, Tablet und Laptop des mutmaßlichen Täters sichergestellt.

Durch Zugriff auf dessen Facebook-Konto hätten "weitere zahlreiche frauenverachtende Beleidigungen sowie entmenschlichende und rassistische Kommentare festgestellt werden" können, schreibt HateAid. Pikanterweise hätten die Strafverfolger ferner "zahlreiche Dateien mit Verdacht auf kinderpornographische Inhalte auf den Geräten gefunden". Der Beklagte stehe selbst im Verdacht, Künast wegen "angeblicher Befürwortung" sexuellen Kindesmissbrauchs beleidigt zu haben.

Die Politikerin habe die Herausgabe der IP-Adressen eines Teils der mutmaßlichen Täter von Facebook vor dem Landgericht Berlin erst auf eine Beschwerde hin erstritten, berichtet die Hilfseinrichtung. Endlich bekämen nach insgesamt einem Jahr Prozess Beschuldigte nun Konsequenzen zu spüren. Der von der Durchsuchung Betroffene sei AfD-Sympathisant. (mho)