"Will es jetzt wissen": Künast wird weiter gegen Hetzer vorgehen

Renate Künast hofft, mit ihren Klagen gegen Hass-Kommentatoren rote Linien aufzuzeigen und die höchstrichterliche Rechtsprechung zu Beleidigungen zu ändern.

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Soziale Medien

Nutzer sollen mehr rechte bekommen.

(Bild: dpa, Robert Günther/dpa-tmn/dpa)

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Die Bundestagsabgeordnete Renate Künast will in ihrem Kampf gegen Hass im Internet nicht nachlassen. Zunächst mit richterlichem Plazet wurde sie auf Facebook als "Stück Scheiße" und "Drecksfotze" übelst verunglimpft. Von den 22 Fällen, in denen sie daraufhin vor Gericht Auskunft über die Identität von Hetzern verlangt habe, "sind noch zehn offen", erklärte die Grünen-Politikerin am Donnerstag beim "Focus Inner Circle Digital" zu Hass in sozialen Medien und Meinungsfreiheit. Sie betonte: "Da müssen wir rechtlich weiter vorgehen."

Das Landgericht Berlin hatte im Januar bei sechs Beschimpfungen sein vorheriges Urteil überarbeitet und doch noch Beleidigungen beziehungsweise Schmähkritik erkannt. Das Gericht erklärte es daraufhin für rechtens, dass Facebook die persönlichen Daten der Nutzer herausgibt. Die ersten Richtersprüche habe sie gar nicht glauben können, erinnerte sich Künast. Inzwischen habe sie aber in einigen Punkten – teils auch vorm Kammergericht – Recht bekommen.

Nun geht es zivilrechtlich oder mit einer Beschwerde in höheren Instanzen weiter: "Ich will es jetzt wissen", unterstrich Künast bei der live gestreamten Tele-Diskussion. "Nicht für mich, sondern für alle."

Früher habe es am Bundesgerichtshof oder am Bundesverfassungsgericht eine "sehr scharfe Rechtsprechung zu Beleidigungen" gegeben, erläuterte die Parlamentarierin. Tenor in analogen Zeiten sei gewesen, dass Politiker einiges aushalten müssten. Daran habe sich das Landgericht streng gehalten. In Zeiten des Internets bekämen solche Anfeindungen aber "einen ganz anderen Speed". Sie hoffe daher, zusammen mit der Hilfsorganisation HateAid durch Strafanträge und Klagen "rote Linien aufzeigen" zu können.

Sie wolle "mal nach oben kommen" und auch die höchstrichterliche Rechtsprechung verändern, gab Künast als Ziel aus. Sie wünsche sich "Staatsanwälte und Richter, die ein bisschen mehr Mut haben" und Bewegung in die Sache brächten. Gerade in rechtsextremen Kreisen gebe es eine entlang des "Handbuchs der Medien-Guerilla" organisierte Hetze: "Da muss man agieren."

Opfern von Hass im Netz empfahl die Politikerin, einschlägige Vorfälle bei den Netzwerkbetreibern zu melden: "Jeder kann Anzeige erstatten, wenn er meint, es geht über das erträgliche Maß hinaus." Bei Delikten wie Volksverhetzung greife ein solcher Schritt sofort, bei Beleidigungen gebe es eine "dreimonatige Antragsfrist". Der Weg übers Strafrecht koste den Nutzer auch kein Geld und sei daher für alle Betroffenen ratsam: "Man muss in den Statistiken sehen, dass viele über die Grenze gegangen sind."

Andererseits warnte Künast aber auch vor Überreaktionen: "Es gibt immer mal Leute, die ausrasten." Darauf sollte man gar nicht großartig reagieren. Sie blocke derzeit im Homeoffice den ein oder anderen Kommentator, den sie nicht auf ihrer Timeline haben wolle und mache "parallel noch Meldungen". Immer gleich mit dem Strafrecht zu kommen, sei kontraproduktiv: "Wir wollen die Meinungsfreiheit weit halten."

Sie sei auch nicht dafür, die Anonymität im Netz grundsätzlich aufzuheben. Aber es müsse Möglichkeiten geben, "an die Bestandsdaten zu kommen, damit man dagegen vorgehen kann". Der Regierungsentwurf zum Kampf gegen "Hasskriminalität und Rechtsextremismus" sehe dies zusammen mit einer Pflicht der Plattformen, strafbare Äußerungen ans Bundeskriminalamt (BKA) zu melden, auch vor. Diese Initiative könne helfen, "dass es automatisch weitergeht.“

Nachholbedarf sieht die Grüne auch bei der Zivilgesellschaft. Diese müsse mehr Druck auf die Anbieter ausüben, damit mehr Personal, Software und Algorithmen "da reingehen". Zudem gehöre die Aufklärung über Desinformation auf Social Media sowie fundamentale Recherchetechniken in jedes Schulfach. Insgesamt brauche es einen "Riesenstrauß an Maßnahmen und die Geduld einer Marathon-Läuferin.“

Auch die Influencerin Louisa Dellert berichtete von Drohanrufen und Einschüchterungsversuchen. "Shitstorms muss man erstmal verarbeiten." Voriges Jahr sei sie nach einem besonders heftigen Vorfall zwei Monate offline gegangen. "Ich wünsche mir klarere Regeln von Facebook und Instagram", forderte die Fitnessexpertin, die mittlerweile in ihren Beiträgen auch Politik und Umweltschutz thematisiert. Die Betreiber zeigten sich hier aber in der Regel nicht gesprächsbereit. Auch Dellert wünscht sich, dass in den Schulen viel früher vermittelt wird, wie man seriöse Quellen erkennt und mit Hate Speech umgehen sollte.

Die Extremismus-Forscherin Julia Ebner forderte Bildungseinrichtungen auf, Deradikalisierungsstrategien zu entwickeln. Trolle und das "alternative Ökosystem der internationalen Rechtsextremisten" schüchtern ihrer Ansicht nach Abgeordnete ein, die deshalb teils nicht mehr zur Wahl anträten. Auch Journalisten überlegten es sich zweimal, "ob sie eine Geschichte schreiben", wenn dies "so viel Hass nach sich zieht". Derlei Entwicklungen seien "gefährlich für die Demokratie". Während Facebook und Twitter in der Coronakrise viele Falschmeldungen und Verschwörungstheorien löschten, passiere das bei Radikalisierungsinhalten nicht, beklagte Ebner. (dwi)