Verdammt zum Erfolg: Microsoft pusht den Pocket PC

Hintergrund: Die lange erwarteten stiftbedienbaren Pocket PCs mit der Windows-CE-Version 3.0 müssen sich jetzt in der Praxis bewähren.

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Von
  • Dr. Jürgen Rink

Hintergrund: Der Pocket-PC-Launch war Steve Ballmer einen großen Auftritt in New Yorks Grand Central Station wert. Microsofts CEO schwärmte von einer neuen Ära des Personal Computing und präsentierte stolz über 60 Partnerfirmen. Er betonte, dass man mit dem Pocket PC seine alltägliche Arbeit von der PC-Plattform mitnehmen könne – Pocket Office und Outlook machen’s möglich. Internetanbindung und der Pocket PC als Jukebox waren weitere Punkte, die Ballmer vor allen anderen erwähnenswert fand.

Natürlich hat sich Microsoft auf die Aspekte gestürzt, die Palm-Nutzer schon lange an ihren Geräten kritisieren: kein Web-Browser, Sound-Clips kann der Palm nicht abspielen und für Text- oder Tabellendokumente gibt es in der Grundausstattung keine Anwendungen. Doch ob Microsoft mit dieser Strategie Erfolg haben wird? Nach zwei vergeblichen Anläufen – der Palm-size PC hat für derart negative Schlagzeilen gesorgt, dass man das Kind jetzt Pocket PC getauft hat – gehen Insider davon aus, dass es beim Pocket PC für Microsoft jetzt heißt: Alles oder nichts.

Vor diesem Hintergrund blieb Steve Ballmer gar nichts anderes übrig, als den großen Auftritt zu inszenieren. Viel hatte er allerdings nicht zu bieten. Fragt man nach Pocket-PC-Geräten, dann schrumpft die Zahl der Partner von über sechzig auf ganze drei zusammen: Compaq, Casio und Hewlett-Packard. Fragt man weiter, wer denn einen Pocket PC bereits liefern kann, bleibt einer übrig: Hewlett-Packard verkauft mit dem Jornada 545 den einzigen Pocket PC. Compaq und Casio haben erst für die Jahresmitte entsprechende Geräte angekündigt.

Der Pocket PC kommt offenbar deshalb nicht aus den Startlöchern, weil die Hersteller nach den vergangenen Windows-CE-Desastern vorsichtig geworden sind. Microsofts Dilemma: Hat der Pocket PC Erfolg, dann werden etliche Hersteller Geräte anbieten. Damit er ein Erfolg wird, müssen es aber mehr Hersteller werden. Rund um den Pocket PC wimmelt es denn auch von Ankündigen. Microsoft selbst will im Juni ein Mobile-Database-Paket für den Pocket PC vorstellen, um Windows CE für unternehmensweite Lösungen attraktiver zu machen. Wärendessen baut Palm Computing die Führung aus, indem man Palm OS bereits an Partner wie IBM oder Handspring lizenziert hat.

Insofern ist Microsoft der Product-Launch etwas daneben gegangen. Schade, denn im Pocket PC stecken einige interessante Details, die bislang auf dem Markt der tastaturlosen Kleingeräte fehlten. Einen echten Multimedia-PDA gibt es bislang noch nicht, aber der HP Jornada 545 ist ein großer Schritt dahin (einen ausführlichen Testbericht bringt c't in Ausgabe 9/2000, die ab dem 25. April im Handel ist). Das Gerät mit Farb-Display, Stereo-Sound und recht problemloser Internetanbindung über Kabel oder Infrarot weist einen möglichen Weg in die Zukunft des Hemdtaschen-Computers: Er bringt den Personal Digital Assistent für Daten, Adressen und Termine, ist Walkman und E-Book-Lesegerät, zeigt Online-Inhalte und PC-Dokumente.

Der nächste Schritt müsste dann ein eingebautes Mobiltelefon mit Freisprecheinrichtung sein. Das kann Palm auf absehbare Zeit nicht bieten, wohl aber eine zukünftige Windows-CE-Version. Oder EPOC, das Psion-Betriebssystem: Das EPOC-Konsortium hat zur diesjährigen CeBIT bereits ein Referenzdesign eines solchen Gerätes vorgestellt; den ersten PDA mit integriertem Telefon soll es nächstes Jahr von Psion und Motorola geben.

Noch laufen 80 Prozent aller tastaturlosen PDAs mit dem Betriebssystem Palm OS. Doch das Rennen um den besten Taschen-Computer könnte mit dem Pocket PC zum ersten Mal richtig spannend werden. Vorausgesetzt, der Pocket PC gewinnt schnell an Fahrt. (jr)