Vernetzte Register: Kelber warnt vor Vabanque-Spiel mit der Steuer-ID

Der Bundesdatenschutzbeauftragte sieht die Regierung mit ihrem Plan, die Steuer-ID als Personenkennziffer etwa im Meldewesen einzuführen, auf sehr dünnem Eis.

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(Bild: PHOTOCREO Michal Bednarek/Shutterstock.com)

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Die Politik ist dabei, ihr "hochheiliges Versprechen" zu brechen, dass die umstrittene Steuer-Identifikationsnummer nur für den Steuerbereich verwendet wird. Diese Kritik übte der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber am Dienstag bei einer Online-Diskussion des "Behörden-Spiegel" zur geplanten Registermodernisierung.

Sollte die schwarz-rote Koalition die Initiative der Bundesregierung mittragen, die Steuer-ID künftig als übergreifendes "Ordnungsmerkmal" und Personenkennzeichen in gut 50 besonders relevanten Datenbanken von Bund und Ländern inklusive der Fahrzeug- und Melderegister zu nutzen, begäbe sie sich damit laut dem SPD-Politiker "rechtlich auf sehr, sehr dünnes Eis". Das Bundesverfassungsgericht habe seine 1983 mit dem Volkszählungsurteil begonnene Rechtsprechung gegen ein allgemeines Personenmerkmal "immer wieder bestätigt und sogar teilweise noch verschärft".

Die Zahl der Verwaltungsdaten sei seit den Achtzigern "immens angewachsen", erläuterte Kelber seine Bedenken. Alle Datenschutzbehörden von Bund und Ländern hätten daher jüngst sehr eindeutig gesagt,dass sie den Einsatz eines bereichsübergreifendes Kennzeichens für verfassungswidrig halten. Die Exekutive habe sich nicht einmal die Mühe gemacht, "alle möglichen Alternativen gleichrangig zu untersuchen".

Der Kontrolleur verwies in dieser Hinsicht auf die in Österreich eingeführte bereichsspezifische Kennziffern, die aufeinander gemappt werden könnten "mit einem sicheren, datenschutzfreundlichem System" mit geringer Nachvollziehbarkeit. Dieses könnte hierzulande "noch wesentlich effizienter" verwendet werden. Wenn es "eine solche mildere Methode gibt, ist der Staat dazu gezwungen, sie zu wählen". Dass die Regierung trotzdem sehenden Auges eine weitere Schlappe in Karlsruhe riskiert, ist für Kelber unverständlich. Sie betreibe hier ein Vabanque-Spiel, mit dem sie auch das ganze System der Verwaltungsdigitalisierung über das Online-Zugangsgesetz (OZG) gefährde.

Die Exekutive sieht die vorgesehene Registermodernisierung als wichtige Komponente, um das OZG umzusetzen "Wesentliche Voraussetzung" dafür sei, dass Daten und Nachweise elektronisch übermittelt werden könnten. Dies solle am besten nicht immer wieder neu geschehen, sondern im Einklang mit EU-Vorgaben "once only". Dafür müssten die Bürger im E-Government eindeutig identifiziert werden können. Dieses Standbein könnte Kelber zufolge vor dem Verfassungsgericht wegbrechen.

"Wir müssen die Register miteinander vernetzen" und den Zugriff darauf "nach Recht und Gesetz regeln", betonte Ernst Bürger, Leiter der Abteilung Digitale Verwaltung im Bundesinnenministerium. Hier reflexartig nur eine Datenschutzdebatte zu führen und den Nutzen für die Bürger außen vor zu lassen, sei kontraproduktiv.

Ein zentrales Bundesmelderegister habe das Ressort rasch verworfen und sich für eine "minimal-invasive" Lösung entschieden. "Das Steuerregister hat schon einen vergleichsweise hohen Standard", erklärte der Beamte. Die zugehörige ID solle nun als "technischer Identifier" fungieren und um Attributsdaten ergänzt werden. Der Zugriff darauf erfolge in einem abgestuften Verfahren. Die Betroffenen müssten dazu außerdem ihre Einwilligung für einzelne Serviceleistungen geben, was in Fachgesetzen geregelt werden solle. Es würden also nicht alle Informationen über eine Person zusammengeführt: "Die Identifizierung läuft wie bisher, aber Daten und Register können im Hintergrund über die Steuer-ID angepasst werden."

"Unsere exzellenten Verfassungsjuristen" sowie die aus dem Justizministerium hätten den Ansatz geprüft und für gut befunden, stellte Bürger klar. Selbst ein Nein aus Karlsruhe wäre aber "kein Totalschaden", da die OZG-Umsetzung abgestuft über einen längeren Zeitraum laufe und die Option, alle Nachweise für eine Verwaltungsdienstleistung über das "Once only"-Prinzip digital quasi automatisch erbringen zu können, nicht bis 2022 erforderlich sei.

Das österreichische Modell habe sich zudem international nicht durchgesetzt und "selbst Experten von dort raten uns ab", meinte der Insider. Dafür brauche man eine zentrale Abgleichstelle, die es in Deutschland bislang nicht gebe. Länder und Kommunen seien in der Alpenrepublik auch nicht ausreichend angebunden. 21 europäische Staaten hätten zudem schon eine zentrale Kennziffer.

Tatsächlich sei nicht die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) das Problem, sondern "die eigene Verfassung", verwies Kelber auf das Grundgesetz. Die "baltische Variante" zur Registervernetzung wäre damit etwa nicht vereinbar. Dazu komme, dass die Regierung vorgesehene Mauern gegen das Anlegen von Datenprofilen nur auf einzelne Sektoren anwenden wolle. Der Bereich "Soziales" solle zudem von der Rente über die Krankenversicherung bis zur Jugendhilfe reichen, was "viel zu groß" sei.

Ein übergreifendes Identitätsmanagement sei überfällig, die Steuer-ID dafür aber "nicht der richtige Weg", unterstützte Christoph Sorge, Inhaber des Lehrstuhls für Recht und Informatik an der Uni des Saarlands, den Datenschützer. Die österreichische Lösung wäre auch nicht zu aufwändig, sondern "einfach und schnell machbar". Die Steuer-ID sei dagegen eine Nummer, über die etwa auch Hacker bei einem erfolgreichen Angriff illegal Register oder Informationen von damit hantierenden Banken, Arbeitgebern und Krankenversicherungen zusammenführen könnten.

Wenn die Registermodernisierung kippe, habe dies unmittelbare Auswirkungen auf die OZG-Standfestigkeit, gab auch Nicolas Sonder vom Beratungshaus PricewaterhouseCoopers (PWC) Kelber Recht. Beim Absichern der vorgesehenen Bereiche sei er zwar nicht so skeptisch, aber letztlich gehe es um die informationelle Selbstbestimmung. Er halte es daher nicht für ausgeschlossen, dass sich die Verfassungsrichter hier bei einer Beschwerde als Korrektiv betätigen würden.

(kbe)