"Innovation entfesseln": Vorstoß gegen Löschzwang bei Öffentlich-Rechtlichen​

Weg mit allen Einschränkungen für die Öffentlich-Rechtlichen – das hält ein Medienrechtler für vorteilhaft. Private Medien sind nicht entzückt.​

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Ausrangierte Fernseher auf einer Wiese

Immer häufiger löst flexibles Streaming die Flimmerkiste ab, weil diese nur auf Basis vorgegebener Termine liefert.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 4 Min.

"Um die Innovationskraft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu entfesseln, sollten sämtliche Restriktionen im Onlinebereich abgeschafft werden." Das meint Jan Christopher Kalbhenn, Professor für Öffentliches Recht an der Hochschule des Bundes in Münster. Er hat im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung der Gewerkschaft IG Metall eine Studie zu ARD, ZDF und Deutschlandradio im Wandel erstellt. Darin empfiehlt Kalbhenn, den Sendern nicht länger vorzuschreiben, wie lange sie gesendete Inhalte auch online bereitstellen dürfen.

Im Amtsdeutsch heißt die bestehende Frist, nach der die Sender löschen müssen, "Verweildauer". Diese sollen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkbetreiber selbst festlegen, wenn es nach Kalbhenn geht. Ursprünglich griff die Löschpflicht (im Amtsdeutsch Depublikationspflicht genannt) nach sieben Tagen, insbesondere für Fremdproduktionen in den Mediatheken der Öffentlich-Rechtlichen. Inzwischen sind die Vorgaben lockerer, selbst ausländische Spielfilme stehen teilweise zumindest für kurze Zeit zum Streaming bereit.

Auch den sogenannten Drei-Stufen-Test hält der Medienrechtler nicht mehr für nötig. Diese Auflage enthält Prüfverfahren für neue Online-Angebote der Anstalten im Lichte ihres Auftrags mit Blick auf die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft, die publizistische Vielfaltsförderung und den finanziellen Aufwand. "Gerade im digitalen Bereich sind Flexibilität und Beweglichkeit wichtig", hält Kalbhenns Studie dagegen. Zudem sollte das "Verbot der Presseähnlichkeit" fallen, das die Online-Aktivitäten der Öffentlich-Rechtlichen beschränkt. Zulässig sind demnach nur Beiträge im Netz, die Rundfunk-Sendungen begleiten. Diese Vorgabe ist der Analyse zufolge "im Zeitalter nahezu vollständig konvergenter Medienangebote nicht mehr zeit- und sachgemäß und widerspricht dem Ziel der Barrierefreiheit".

Andererseits ist der Forscher gegen eine Verzettelung von ARD und ZDF im Internet: "Wenn die Rundfunkanstalten nicht die Kraft aufbringen, lineare Spartenkanäle zu streichen oder zusammenzulegen", sollte ihm zufolge die Medienpolitik ihnen "diese Entscheidung durch Gesetzgebung abnehmen". Fingerspitzengefühl müssten die Länder im Bereich der Sportrechte zeigen. Ein Zurückhaltungsgebot soll die Sendern zu Sparsamkeit in diesem Bereich anhalten. Als wichtiges Reformfeld bezeichnet Kalbhenn zudem die Anpassung des Beitragsfestsetzungsverfahrens. Geringe Erhöhungen sollten demnach "ohne Einbeziehung der Landesparlamente" quasi automatisch in bestimmten Zeitabständen möglich sein ("Rationalisierungsmodell").

Hintergrund des Diskussionsbeitrags ist, dass die Länder für den Herbst den Entwurf eines Reformstaatsvertrags angekündigt haben. Kalbhenn sieht darin eine Chance, "die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks längerfristig abzusichern". Erschwert werde das Vorhaben aber durch das Einstimmigkeitsprinzip der föderalen Medienordnung, wonach alle Landesparlamente zustimmen müssen. Dies erschwere einen "großen Wurf".

Optimistisch stimmt den Staatsrechtler indes das Eckpunktepapier der Rundfunkkommission. Für Entwicklung und Betrieb einer gemeinsamen technischen Plattform soll demnach als erster Schritt "eine selbstständige, gemeinsame Organisationseinheit von ARD, ZDF und Deutschlandradio eingerichtet werden". Die Kommission greift damit eine Forderung des Zukunftsrats auf, die auch Kalbhenn unterstützt. Die Kommission bekräftigt auch, "dass freie und vielfältige Medien – privat und öffentlich-rechtlich – für das gesellschaftliche Zusammenleben und die Demokratie von zentraler Bedeutung sind".

Kritikern zufolge verkennt Kalbhenns Studie diesen Grundsatz. "Die völlige Freigabe gebührenfinanzierter öffentlich-rechtlicher Presse wäre eine massive Verschärfung des ohnehin schon unfairen Wettbewerbs, der die digitale Transformation der privaten Presseangebote noch weiter erschweren, ja in Teilen womöglich torpedieren würde", betonte Stephan Scherzer, Geschäftsführer des Medienverbands der freien Presse (MVFP), gegenüber heise online. Statt die "viel zu laschen Schranken für presseähnliche Angebote" weiter zu lockern, müssten die Länder die öffentlich-rechtliche Konkurrenz begrenzen, etwa durch textliche Quantitätslimits. Sonst stünden die marktwirtschaftlich finanzierte Presse und ihre unverzichtbare Vielfalt auf dem Spiel.

(ds)