Volkswirte: Wirtschaft erholt sich von Corona-Schock – Risiko bleibt

Volkswirte führender Finanzinstitute glauben, die Konjunktur in Deutschland ist auf einem guten Weg. Wenngleich längst nicht alle Klippen umschifft sind.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 231 Kommentare lesen
Volkswirte: Wirtschaft erholt sich von Corona-Schock – Risiko bleibt
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • dpa

Ein halbes Jahr nach dem Corona-Lockdown ist die deutsche Wirtschaft nach Einschätzung von Volkswirten auf Erholungskurs. "Inzwischen zeichnet sich ab, dass – zumindest in Deutschland … die Lage doch nicht ganz so düster ist, wie die Stimmung zwischenzeitlich war", sagte Jens-Oliver Niklasch von der Landesbank Baden-Württemberg in einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur.

Führende Wirtschaftsforschungsinstitute hatten ihre Prognosen zur Wirtschaftsleistung nach oben korrigiert. So gehen etwa das Münchner Ifo-Institut und das Institut für Arbeitmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg von einem Schrumpfen des Bruttoinlandsproduktes um nur noch 5,2 Prozent im laufenden Jahr aus – das wäre weniger als in der Finanzkrise 2008/2009.

"Die Zeichen stehen auf Erholung", sagte Niklasch. "Das zeigen die Frühindikatoren, das zeigen auch die harten Fakten zu Produktion und Konsum." Über all den Prognosen hänge jedoch das Damoklesschwert einer zweiten Phase starker Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Derzeit scheine in der Politik Einigkeit zu herrschen, einen solchen Schritt unbedingt verhindern zu wollen. "Ob diese Einigkeit auch dann noch herrscht, wenn die Pandemie wieder die fortgeschrittenen Altersgruppen erreicht und die Sterbeziffern steigen, ist indes nicht ausgemacht", betonte er.

Auch Marc Schattenberg von der Deutschen Bank sieht die Wirtschaft wieder auf Kurs, warnte jedoch ebenfalls vor zu großer Euphorie. Eine Insolvenzwelle, vor allem bei Kleinbetrieben, Anfang des kommenden Jahres sei nicht auszuschließen. Unsicherheiten über den Wahlausgang in den USA im November und den Brexit kämen als Risiken von außen hinzu. Zu bedenken sei auch, dass die Corona-Krise – anders als vor mehr als zehn Jahren die Finanzkrise – tief in die Wirtschaftsstrukturen eingreife. "Die Krise ist von anderer Natur", sagte Schattenberg. Eine offene Frage sei etwa, ob sich Lieferketten weiterhin global darstellen ließen, oder künftig stärker auf das Inland und das benachbarte europäische Ausland ausrichten müssten.

Die Chefvolkswirtin der staatlichen Bankengruppe KfW, Fritzi Köhler-Geib, hält zwar eine Verlangsamung des Erholungsprozesses aufgrund staatlicher Vorgaben für möglich. "Ein erneuter Einbruch der wirtschaftlichen Aktivität ist aber unwahrscheinlich", betonte sie. "Denn die Menschen in Deutschland verhalten sich im Großen und Ganzen diszipliniert und die Erkenntnisse aus dem Frühjahr erlauben einen regional gezielteren Umgang mit der Pandemie."

Eher warnende Worte kommen dagegen von der Allianz-Volkswirtin Katharina Utermöhl: "Die Flitterwochen-Phase der derzeitigen Konjunkturerholung neigt sich dem Ende entgegen", sagte sie. Schon im Herbst dürfte es nach ihrer Ansicht wieder ungemütlich werden. Auch ohne eine ausgeprägte zweite Infektionswelle rät sie dazu, mit Konjunkturrückschlägen zu kalkulieren.

"Das Auslaufen stützender Nachholeffekte wird unmissverständlich klar stellen, dass die derzeitige Konjunkturerholung angesichts anhaltender Ansteckungssorgen, weiterhin stark erhöhter wirtschaftlicher Unsicherheit und der asynchronen globalen Konjunkturerholung kein Selbstläufer ist", sagte Utermöhl.

Der Arbeitsmarkt habe sich als robuste Stütze der Konjunktur gezeigt, auch dank der staatlichen Hilfen, etwa beim Kurzarbeitergeld. "Der befürchtete Anstieg der Arbeitslosigkeit über die 3-Millionen-Marke scheint vorerst abgewendet", sagte Köhler-Geib. Niklasch betonte, Deutschlands Beschäftigte seien "überraschend robust und mit dem "Doping" der staatlich finanzierten Kurzarbeit durch die Krise gekommen."

Prognosen zur Entwicklung des Arbeitsmarktes seien derzeit allerdings besonders schwierig, sagte Deutsche-Bank-Volkswirt Marc Schattenberg, unter anderem deswegen, weil die saisonalen Effekte nicht in gewohnter Form zum Tragen kämen.

(se)