Von Whistleblowern und Vigilanten: Widerstand im digitalen Zeitalter

Wie sieht Widerstand im digitalen Zeitalter aus und was steckt dahinter? Eine Ausstellung im Dortmunder U spannt einen breiten Bogen vom Unabomber über Chelsea Manning bis hin zu Netzpolitik.org.

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Dortmund: Von Whistleblowern und Vigilanten

Die Gerichtsverhandlung von Chelsea Manning wurde comic-haft von Clark Stockey festgehalten

(Bild: Torsten Kleinz)

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  • Torsten Kleinz
Inhaltsverzeichnis

Der Zeitpunkt hätte nicht besser gewählt sein können: Während die Panama Papers eines unbekannten Whistleblowers weltweit Schlagzeilen machen, eröffnet der Hartware MedienKunstVerein (HMKV) heute Abend in Dortmund seine Ausstellung Whistleblower und Vigilanten. Bis August können sich hier Besucher über die verschiedensten Beweggründe, Ausdrucksformen und Methoden des digitalen Widerstands erkundigen.

"Die Themen sind für die Medienkunst nicht neu, aber durch Figuren wie Snowden, Assange und Manning sind sie einer breite Öffentlichkeit bekannt geworden", betont Kuratorin Inke Arns in einem Pressegespräch. So seien viele Formen des heute praktizierten digitalen Ungehorsams bereits in den 90er Jahren durch Künstlergruppen entwickelt worden.

Die Ausstellung im Dortmunder U lenkt den Blick auf die Extreme. So wird auf der einen Seite der Ausstellung mit einem eher unspektakulären Papierstapel die Veröffentlichung der Pentagon Papers durch den Whistleblower Daniel Ellsberg im Jahre 1971 symbolisiert, mit der die Öffentlichkeit über die gezielte Irreführung durch die US-Regierung im Vietnamkrieg informiert wurde. Auf der anderen Seite zeigen die Ausstellungsmacher ein handgeschriebenes Manifest des als "Unabomber" bekannten Ted Kaczynski, der mit Hilfe von Briefbomben die Technisierung der Gesellschaft stoppen wollte und dabei drei Menschen tötete.

Von Whistleblowern und Vigilanten (12 Bilder)

Clark Stockey hat die Geschichte Chelsea Mannings zuerst in comic-haften Gerichtszeichnungen festgehalten (Bild: Torsten Kleinz)

Die Ausstellung unterteilt die vorgestellten Arbeiten in die Motivation der Akteure. So rechnen die Kuratoren Kaczynski der Technikkritik oder dem Luddismus zu. Trotz seiner Gewalttaten werden die Ideen des Unabombers heute nicht ganz abgelehnt. "In dem Manifest stehen sehr präszise Beschreibungen unserer heutigen Situation", erklärt Arns. Im Raum nebenan wird das Manifest des norwegischen Massenmörders Anders Breivik in einer Videovorführung "ent-dramatisiert", um dessen rassistisches Gedankengut vorzuführen, das sich erschreckend nah an etablierten rechtsnationalen Diskursen bewege.

Ein zentrales Ausstellungsstück ist ein Nachbau des Raums in der Botschaft Ecuadors in London, in dem sich Wikileaks-Gründer Julian Assange seit 2012 aufhält. Vor den Fenstern des Raums wird der Film Collateral Murder abgespielt, der die Erschießung einer Gruppe von Männern im Irak durch die Besatzung eines US-Kampfhubschraubers zeigen. Zu den Toten gehörten zwei Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters. Diese spektakuläre Veröffentlichung durch Wikileaks hatte 2010 die Ideologie-Grenzen überwunden.

So wunderte sich Ko-Kurator Jens Kabisch darüber, dass der extrem libertäre Assange öffentliche Unterstützung auch von kommunistischen Aktivisten erhielt. In der Ausstellung ist Assange daher zwischen verschiedenen Polen platziert. Auf der einen Seite befinden sich die Vigilanten, die ihre eigenen Rechtsvorstellungen teils gewaltsam durchsetzen wollen, auf der anderen Seite die Transparenz-Aktivisten und die Anhängern des Antinomismus, die staatliche Gesetze generell ablehnen.

In Dortmund können Ausstellungs-Besucher mit Spionen aus unterschiedlichen Ländern telefonieren

(Bild: Torsten Kleinz)

Die Quelle des Videos, Chelsea Manning, ist jedoch auf der anderen Seite der Ausstellung angesiedelt, unter den Anhängern eines überstaatlichen Naturrechts, die unter anderem den Drohnenkrieg der USA kritisieren. Da Manning derzeit in den USA eine 35-jährige Haftstrafe verbüßt, wird sie mit einer über ein Sofa geworfene Decke mit einem eher unbeholfenen und grobkörnigen Selfie symbolisiert. Ein Display mit 286 Zeichnungen des US-Künstlers Clark Stoeckley erzählt die Geschichte der Ex-Soldatin.

Edward Snowden wird widerum einer anderen Gedankenschule zugeordnet. Der NSA-Whistleblower habe mit seinen Enthüllungen die Verfassung der USA vor einer überbordenden Überwachungsbürokratie bewahren wollen. Der "Kontraktualismus" geht von einer Vereinbarung zwischen Individuen oder Regierung und Bevölkerung aus, der Gegenaktionen verlangt, wenn eine Partei gegen die Vertragsbedingungen verstoße. Hier ist auch eine Vitrine den Ermittlungen gegen Netzpolitik.org wegen Landesverrats gewidmet, die schließlich zum Rücktritt des Generalbundesanwalt führten.

Nebenan hat das "Peng! Collective" ihr Projekt "Call a Spy" aufgebaut. Ausstellungsbesucher können hier mit einem roten Telefon zufällig ausgewählte Geheimdienstmitarbeiter anrufen und versuchen, sie zum Überdenken ihrer Tätigkeit zu bewegen – die Gespräche werden über einen Raspberry Pi ins Tor-Netz geroutet. Die Künstlergruppe hatte im vergangenen Jahr mit Intelexit ein Aussteigerprogramm für Geheimdienstmitarbeiter gestartet. "Intelexit ist als Utopie entstanden, aber wir meinen es damit durchaus ernst", erklärt Sprecherin Ariel Fisher im Gespräch mit heise online.

Derzeit suchen sie Künstler Unterstützer, die das Projekt ausbauen, damit es tatsächlich Interessenten beim Ausstieg helfen kann. (kbe)