Vor 20 Jahren: Eine Durchsuchung mit Folgen

Am 1. März 1990 durchsuchten US-Geheimagenten auf der Suche nach einem Dokument namens 911 das Büro eines Spieleverlags. Das rief eine Protestwelle hervor, in deren Folge die Electronic Free Frontier Foundation gegründet wurde.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 105 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Heute vor 20 Jahren durchsuchten US-amerikanische Geheimagenten das Büro der Firma Steve Jackson Games in der texanischen Stadt Austin. Sie waren auf der Suche nach einem Dokument namens E911, das die Telefongesellschaft BellSouth als gestohlen gemeldet hatte. Es enthielt technische Details über die kostenlose Notfallrufnummer 911 (Enhanced 911), die angeblich von Crackern benutzt wurde, um einen kostenlosen Zugang in Host-Rechnern zu erlangen. Der Vorfall hatte Konsequenzen: Die Electronic Frontier Foundation (EFF) wurde gegründet. Drei Jahre später konnte die junge Bürgerrechtsorganisation vor Gericht nachweisen, dass die gesamte Aktion illegal war.

Vier Computer, zwei Laserdrucker und ein Taschenrechner sowie jede Menge Hardware-Basteleien wurden am 1. März 1990 vom US Secret Service in Austin beschlagnahmt. Gesucht wurde nach einer Anleitung, Notfallrufnummern zu cracken. Doch bei der Firma Steve Jackson Games fand sich nichts dergleichen. Kurzerhand wurde das Handlungsgerüst eines Computerspiels namens Cyberpunk zu einem "Handbuch der Computerkriminalität" erklärt.

Das E911 genannte Dokument wurde bei der landesweit durchgeführten Razzia bei zahlreichen Verdächtigen, die Mailboxsysteme betrieben, nicht gefunden. Es war von der Telefongesellschaft BellSouth als gestohlen gemeldet worden und sollte einen Wert von etwa 80.000 Dollar haben. Tatsächlich waren Dateien in verschiedenen Mailboxen aufgetaucht, die E911 beschrieben. Wie sich bei der Gerichtsverhandlung im Jahre 1993 herausstellte, verkaufte BellSouth selbst das technische Dokument gegen eine Bearbeitungsgebühr. Entsprechend wurde der Geheimdienst dazu verurteilt, die Kosten des Verfahrens zu übernehmen und einen Schadenersatz an Steve Jackson Games zu zahlen.

Die Haltlosigkeit der Vorwürfe wie die offensichtliche Willkür der Behörden, einen Fall zu konstruieren und Rechner zu beschlagnahmen, erzeugte eine Protestwelle. Perry Barlow, einst Songschreiber der Grateful Dead, nun überzeugter Netizen in der Mailbox WELL, schrieb einen Artikel namens Crime and Puzzlement, der sich schnell in der Mailboxszene verbreitete. Im Kern ging es darum, dass das US-Rechtssystem, in dem die Freiheit der Rede einen großen Stellenwert hat, die Entwicklung der elektronischen Kommunikation ignoriert. Wenn Computersysteme beschlagnahmt werden können, auf denen Mailboxen laufen, die dem Meinungsaustausch dienen, sei die freie Rede gefährdet, erklärte Barlow. Sein Aufsatz wurde von Mitch Kapor gelesen, der die Firma Lotus Software gegründet hatte. Kapor stellte das nötige Geld zur Verfügung, damit die freie Rede in Cyberspace verteidigt werden konnte. Bereits im Juli 1990 konnte so die EFF gegründet werden.

Die Ereignisse des Jahres 1990 wurden von der EFF zum zehnten Geburtstag der Organisation zusammengefasst. Der Schriftsteller Bruce Sterling widmete ihr ein Kapitel seines Buches "Hacker Crackdown – Law and Disorder at the electronic frontier". (anw)