Vor 40 Jahren: Bundestag beschließt Kontaktsperregesetz

Am 29. September 1977 verabschiedete der Bundestag das Kontaktsperregesetz. Das erste deutsche Sicherheitsgesetz im Kampf gegen den Terror trat nach Tagen in Kraft und legalisierte das zuvor verhängte Kontaktverbot zwischen Anwälten und RAF-Häftlingen.

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Vor 40 Jahren: Bundestag beschließt Kontaktsperregesetz

Hanns Martin Schleyer in den Händen der RAF

(Bild: dpa)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Vor 40 Jahren erreichte die Auseinandersetzung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Roten Armee Fraktion (RAF) ihren Höhepunkt. Die Terroristen hatten am 5. September 1977 den Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer entführt und wollten diesen gegen elf RAF-Häftlinge austauschen. Damit diese keinerlei Kommunikationsmöglichkeiten mehr hatten, wurde in Windeseile das Kontaktsperregesetz verabschiedet und eingeführt. Mit dem Gesetz wurde eine Nachrichtensperre für deutsche Medien eingeführt und der "große Lauschangriff" auf RAF-Anwälte wie Otto Schily gerechtfertigt.

Unmittelbar nach Schleyers Entführung in Köln startete Horst Herold, Chef des Bundeskriminalamtes, eine umfangreiche Rasterfahndung und Kommunikationsüberwachung: Alle Telefonzellen in Köln wurden abgehört; Beamte schwärmten aus, um die Wohnung zu finden, in der Schleyer gefangengehalten wurde. Kommissar Computer sollte Angaben über Wohnungen sammeln und bewerten, die a.) über eine Tiefgarage verfügten und bei denen b.) Miete und Strom in bar bezahlt wurden. Tatsächlich wurde das RAF-Versteck gefunden, die Meldung über diese Wohnung wurde aber nicht verarbeitet. Allein der Name der Mieterin hätte dank der Fahndungsdatenbank Inpol sofort die höchste Alarmstufe ausgelöst.

Auf Seiten der Regierung wurde ein "großer" und ein "kleiner" Krisenstab gebildet. Dort wurde davon ausgegangen, dass die Schleyer-Entführung auch von den inhaftierten Mitgliedern der RAF im Gefängnis von Stuttgart-Stammheim mit geplant worden war. Um weitere Kommunikation zu unterbinden wurde eine völlige Isolation angeordnet, zudem wurden die Telefone der Anwälte abgehört und eine Nachrichtensperre verfügt. Diese Schritte wurden zunächst mit einem "übergesetzlichen Notstand" gerechtfertigt und dann mit dem Kontaktsperregesetz für Inhaftierte nach dem Paragraphen 129a des Strafgesetzbuchs legalisiert, das in acht Tagen erarbeitet und verabschiedet wurde. 371 Abgeordnete stimmten für das erste deutsche Sicherheitsgesetz im Kampf gegen den Terror, bei 4 Gegenstimmen und 17 Enthaltungen. Zu den Neinsagern gehörte der SPD-Abgeordnete Manfred Coppik: "Der Kampf gegen den Terrorismus wird nicht durch Sondergesetze gewonnen, sondern durch eine entschlossene Anwendung des geltenden Rechts."

Mit der Kontaktsperre kam die Nachrichtensperre. "Nachrichten, die tatsächlich oder dem Anschein nach von den Terroristen oder ihren Helfern stammen, erst nach Konsultationen mit der Bundesregierung" zu veröffentlichen, bedeutete schlicht, dass der Kurs der Bundesregierung verschleiert werden sollte. Der Journalist Eckart Spoo schrieb später im Rückblick auf den "Deutschen Herbst": "Eigentlich hätte auffallen müssen, dass die Nachrichtensperre gerade zu dem Zeitpunkt wirksam wurde, als sich die führenden Politiker darauf verständigten, eine Erpressung des Staates nicht zuzulassen, der Staatsautorität Vorrang vor dem Leben Schleyers zu geben, also nicht primär das Ziel der Rettung des Entführten zu verfolgen."

Das Kontaktsperre-Gesetz trat bereits am 2. Oktober in Kraft. Zu diesem Zeitpunkt wurden in den Krisenstäben noch andere Schritte diskutiert, etwa die Exekution von RAF-Gefangenen. Doch dann überschlugen sich die Ereignisse: Am 13. Oktober entführten palästinensische Terroristen die Lufthansa-Maschine "Landshut", um der Forderung nach Freilassung der RAF-Inhaftierten neuen Druck zu verleihen. Am 18. Oktober konnte die Maschine durch die deutsche GSG9 gestürmt werden. Noch am selben Tag begingen drei RAF-Mitglieder Selbstmord, während Hanns Martin Schleyer in Belgien erschossen wurde. Die Kontaktsperre erwies sich als wirkungslos, die Nachrichtensperre auch: Der Deutschlandfunk hatte die Erstürmung der Landshut gemeldet und damit auch die RAF informiert.

Der Staat hatte nicht nachgegeben. Ein Teilnehmer des Großen Krisenstabes formulierte es später so: "Der Staatsräson halber wurde Schleyer zum Tode verurteilt." Der Sieg der Staatsräson war ein bitterer. 40 Jahre nach dem "Deutschen Herbst" schreibt Tanjev Schultz im Rückblick auf die Ereignisse: "Die Erosion von Freiheitsrechten und Rechtsstaatlichkeit geschieht manchmal schleichend. Dann wird Schritt für Schritt der Datenschutz aufgeweicht, und "Gefährder" sollen, obwohl keiner Tat überführt, auf unbegrenzte Zeit weggesperrt werden. Ein vermeintlich starker Staat macht die Bürgerrechte klein." (anw)