Vorwürfe gegen Microsofts Cloud: "Dann sind andere Wettbewerber verschwunden"

Google-Cloud-Plattformchef Amit Zavery übt im Interview Kritik an Microsoft, weil Unternehmenskunden nur schwer von Azure zu anderen Anbietern wechseln können.

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Azure Modular Datacenter

Modulares Azure-Datacenter (Symbolbild).

(Bild: dpa, Microsoft/dpa)

Lesezeit: 8 Min.
Inhaltsverzeichnis

Google-Cloud-Plattformchef Amit Zavery.

(Bild: Google)

Amit Zavery ist Vizepräsident und Head of Platform bei Google Cloud. Vor seinem Job bei Alphabets Cloud-Tochter war er im Management von Oracle tätig.

Im Interview mit heise online spricht er über die aktuelle Situation für Unternehmenskunden, die ihre Microsoft-Apps außerhalb von Azure hosten wollen, warum das Thema noch kaum beachtet wird und warum sich Google auch für kleinere Anbieter einsetzt.

heise online: Stellen wir uns einmal vor, ich bin ein Firmenkunde, der aktuell mit seiner Office-App-Installation in die Cloud wechseln will, dabei aber nicht unbedingt zu Microsoft Azure gehen möchte. Was erwartet mich dabei?

Amit Zavery: Ich gebe Ihnen ein praktisches Beispiel. Ein hoher Prozentsatz der Workloads in Unternehmen sind auf Microsoft-Systemen aufgebaut. Windows Server ist das zugrunde liegende Betriebssystem, dafür habe ich mir die Lizenzen gekauft, plus die jeweiligen Apps. Wenn ich dann eines Tages sage, ich möchte in die Cloud umziehen und dabei handelt es sich nicht um Microsofts Azure, habe ich ein Problem.

Microsoft erlaubt es mir nämlich nicht so einfach, die bestehenden Windows-Server-Lizenzen zu nutzen, um sie bei auf der Google Cloud Platform (GCP) oder bei unseren Konkurrenten wie Amazon Web Services (AWS) auszuführen. Ich muss dann praktisch diese Lizenzen neu erwerben und dabei eine hohe Penality-Gebühr bezahlen. Gleichzeitig werde ich bei Neuerungen in der Software und Sicherheitsupdates eine Menge Probleme bekommen, wenn ich meine Microsoft-Anwendungen bei Drittanbieter-Clouds betreibe.

Microsoft zwingt mich also als neuen Cloud-Kunden im Grunde dazu, die Windows-Server-Lizenz zu nehmen und damit zu Azure zu wechseln, weil das die einzige Möglichkeit ist, das ohne Penalty zu tun. Das Resultat ist, dass die meisten Firmen einfach direkt zu Azure gehen.

Können Sie die Penalties näher spezifizieren?

Das kann bei Windows-Server-Lizenzen beim Doppelten bis zum Fünffachen liegen. Die Cloud-Anbieter versuchen natürlich, das zu subventionieren, doch dann lohnt sich das Geschäft kaum mehr. Hinzu kommt noch ein anderes Problem: Updates für Sicherheitslücken, die es bekanntermaßen bei Microsoft-Produkten häufig gibt, bekommt man zuerst als Azure-Kunde. Die Leute fragen sich da dann natürlich: "Warum sollte ich bitte ein Risiko eingehen und gleichzeitig mehr bezahlen?"

Gibt es eine technische Begründung dafür, dass Microsoft Azure bevorzugt?

Die Software, die bei GCP laufen würde, ist genau dieselbe. Es gibt keinen Unterschied in den Bits. Es gibt keine technischen Einschränkungen. Das einzige Problem sind die Lizenzbedingungen.

Warum macht es Microsoft dann?

Die Antwort ist einfach: Weil sie es können. Warum sollten sie es also nicht tun? Und insbesondere betroffen sind die drei größten Konkurrenten von Microsoft: GCP, AWS und Alibaba. Das ist reine Willkür.

Wenn man jemanden bei Microsoft fragt, warum das gemacht wird, erfährt man hinter vorgehaltener Hand, dass die das machen, weil sie niemand aufhält. Es gibt ihnen die Möglichkeit, ihr Azure-Geschäft ohne jegliche Einschränkungen voranzubringen. Sie verdienen viel Geld, der Marktanteil ist erheblich gestiegen, sie wachsen schneller als Markt.

Aber nicht jeder nutzt Microsoft.

Auf Firmenseite gibt es zwei Teile des Cloud-Geschäfts. Digital-Native-Unternehmen, die keine Microsoft-Legacy-Produkte haben, wählen sich die beste Cloud und das ist normalerweise AWS oder GCP. Aber wenn man über Unternehmenskunden spricht, die sich seit langer Zeit an Microsoft-Produkte gebunden haben, geht der Marktanteil in diesem Bereich leider immer mehr zu Azure, weil dieser Weg von Microsoft erzwungen wird.

Das alles erinnert an längst vergangene Zeiten, als Microsoft mit Windows im PC-Markt seine Monopolstellung ausnutzte, um beispielsweise seinen Browser Internet Explorer durchzudrücken. Haben Sie das Gefühl, dass dasselbe jetzt auch im Cloud-Bereich passiert?

Zu 100 Prozent. Ich denke, dass im Cloud-Bereich hier mehrere Dinge ablaufen. Zum einen wird Wettbewerb verhindert, die Kunden haben weniger Auswahl, in dem man ihre Präferenzen von vorneherein festlegt. Das zweite Thema ist Bundling, Microsoft verkauft Pakete und stopft da immer mehr hinein.

Wenn Sie sich zum Beispiel Microsoft 365 ansehen, dann ist es nicht mehr nur ein simples Productivity-Paket. Es bietet zusätzlich die Bereiche Sicherheit, Videokonferenzen und vieles mehr. Es werden immer mehr Produkte zusammengefasst, damit die Kunden dann sagen: "Hey, wir haben das doch alles lizenziert. Warum sollten wir uns für einen anderen Anbieter wie Slack entscheiden, wenn beispielsweise Teams dazu gehört?"

Im zweiten Schritt werden dann die Preise für diese anfangs so vorteilhaften Pakete immer weiter erhöht. Aber dann sind die anderen Wettbewerber verschwunden, so dass man wirklich keine andere Wahl hat. Man muss Microsoft immer mehr Geld dafür bezahlen, weil sie dann einzige Anbieter am Ort sind.

Die Europäische Kommission hat damit begonnen, die sogenannten Gatekeeper zu regulieren, zu denen Google, Apple und andere gehören. Es drohen Milliardenstrafen, etwa für App-Store-Monopole. Sind die Regulierer Ihrer Meinung nach derzeit blind, wenn es um die Cloud geht?

Meiner Ansicht nach ist die EU immer noch dabei, den Cloud-Markt zu verstehen und zu begreifen. Nach außen mag es aussehen, dass hier Wettbewerb herrscht. Ich glaube aber nicht, dass der Regulierer bereits ausreichend erkannt hat, dass sich das Kaufverhalten traditioneller Unternehmen im Bereich der IT stark von dem der Digital-Native-Firmen unterscheidet. Denn hier wird ein Microsoft-Monopol von On-Premise direkt mit der Cloud verknüpft. Es handelt sich nicht um zwei verschiedene Segmente. Es besteht ein direkter Zusammenhang!

Das Problem ist: Selbst, wenn die Wettbewerbshüter das langsam verstehen, könnten sie zu spät dran sein, etwas zu unternehmen. Leider.

Google selbst ist ein mächtiges Unternehmen, das in vielen Bereichen selbst im Schlaglicht der Monopolwächter steht. Können Sie im Cloud-Bereich mit Ihrem Engagement für Wettbewerb da überhaupt glaubwürdig sein?

Das Cloud-Geschäft ist ein ganz anderes Business als etwa das Consumer-Geschäft mit der Google-Suche. Ich kann Ihnen wenig über diesen Bereich erzählen, das ist nicht mein Fokus. Im Unternehmenskunden-Geschäft sind wir aber nicht riesig. Wir sind vielleicht Nummer drei und der Abstand zu Microsoft Azure und Amazons AWS ist beträchtlich.

Zweitens geht es hier auch nicht nur um Google. Es geht darum, Wettbewerb zu sichern, den Leuten zu ermöglichen, einen Cloud-Provider zu suchen, den sie gut finden – und ihnen keinen aufzuzwingen. Diese Information soll bei den Leuten ankommen.

Damit helfen wir auch Cloud-Anbietern, die kleiner sind als wir. Google setzt sich schon lange für offene Standards in dem Bereich ein, denken Sie beispielsweise an die quelloffene Google-Erfindung Kubernetes, die heute eine Grundlage für viele Cloud-Anwendungen darstellen. Wir wollen, dass Cloud-Software so ist wie Desktop-Software, sie sollte auf jedem Server laufen. Wir brauchen keine Sonderbehandlung.

Der zunehmende Einsatz großer Sprachmodelle und anderer KI-Anwendungen benötigt enorm große Serverressourcen. Microsoft stellt Azure etwa für OpenAI bereit, es geht um Milliarden. Was könnte es für das gesamte KI-Geschäft bedeuten, wenn Microsoft weiter so handelt, wie Sie es dem Konzern hier vorwerfen?

Ich denke, wenn hier Wahlmöglichkeiten und Flexibilität für Kunden und Anbieter wegfällt, wird die Innovation leiden. Niemand wird investieren, wenn man den Markt nicht wirklich zu fairen Bedingungen für sich gewinnen kann. Und sicher: Der KI-Markt ist stark von der Cloud abhängig. Der Grund, warum KI überhaupt zur Realität geworden ist, ist, dass wir Cloud-Anbieter haben, die skalieren und weltweit große Kapazitäten bereitstellen können, wann immer sie gebraucht wird. Wenn Azure hier gewinnt, werden wir hier wieder zu einem Markt mit nur einem Anbieter für die Cloud.

Das Interview wurde zur besseren Lesbarkeit editiert und gekürzt.

(bsc)