WCIT: Bundesregierung lehnt Telecom-Vertrag wegen "Unschärfen" ab
Nachdem die neuen International Telecommunication Regulations (ITR) verabschiedet wurden, bekräftigt die Bundesregierung ihre Kritik. Die Regularien lehnt sie ab, um autoritären Regimen keine Begründung für staatliche Internetregulierung zu liefern.
Deutschland wird wie auch viele andere Länder den in Dubai ausgehandelten neuen Telekommunikationsvertrag ITR nicht unterzeichen. Das bestätigte das federführende Bundeswirtschaftsministerium in einer Pressemitteilung. Der Bundesregierung sei mit der Position in die Verhandlungen gegangen, "die Freiheit des weltweiten Internet zu bewahren und den Geltungsbereich der ITRs nicht auf das Internet auszudehnen".
Zwar sei es zweiwöchigen Verhandlungen gemeinsam mit anderen EU-Ländern und den USA gelungen, Internetfragen „aus den Entwürfen herauszuverhandeln“. Dennoch blieben "Unschärfen, etwa im Bereich Security und Bekämpfung von Spam" sowie "Risiken staatlicher Eingriffe in das Internet". Man habe, so erklärte ein Vertreter des Wirtschaftsministeriums auf keinen Fall autoritären Regimen eine Begründung für mögliche staatliche Internetregulierung liefern wollen.
Die Resolution zum Mandat der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) zum Bereich „Internet Governance“ sei zwar rechtlich nicht verbindlich. Dennoch sahen die deutsche Delegation noch Änderungsbedarf, über den am Ende nicht mehr diskutiert werden konnte. Dass zuletzt fast etwas handstreichartig – auch wegen des Zeitdrucks – das Paket verabschiedet wurde, sorgte bei den deutschen wie manchen anderen Unterhändlern für Unmut.
Zwar waren in Dubai die neuen International Telecommunication Regulations (ITR) durch Mehrheitsentscheid verabschiedet worden, aber vor allem westliche Staaten zeigten sich unzufrieden. Einige allgemeine Erklärungen und eine gesonderte Zusatzerklärung ermöglichen ihrer Meinung nach die Regulierung des Internet. Das hatten sie zuvor zu verhindern versucht und hatten sich damit im Vertragstext auch weitgehend durchgesetzt, aber eben nicht vollständig.
Unter Internet Governance werden im engeren Sinn die Verwaltung von Internetnamen und Nummern verstanden. ITU-Generalsekretär Hamadoun Touré unterstrich in einer großen WCIT-Abschlusskonferenz noch einmal, die ITU wolle keineswegs mit der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers konkurrieren. Eine gegenseitige Übernahme sei keineswegs geplant, so Touré.
Zusammen mit dem Vorsitzenden der Konferenz, Mohamed Al Ghanim bemühte sich Touré um Schadensbegrenzung. Beide hoben die möglichen positiven Effekte des künftigen Telekommunikationsvertrags hervor. Die Länder, die nicht mitzeichneten, beraubten ihre Bürger der Möglichkeit, in den Genuss dieser Effekte zu kommen, sagte Al Ghanim. Touré listete dabei unter anderem Regeln für mehr Transparenz von Roamingkosten, Qualitätsanforderungen beim Roaming, eine Aufforderung an die Mitgliedsstaaten den Zugang für Behinderte zu verbessern und gegen eWaste vorzugehen.
Auch die ebenfalls per Resolution verabschiedeten möglichen Maßnahmen für einen verbesserten Netzanschluss von Inselstaaten oder Binnenstaaten nannte Touré, sowie Verbesserungen im Kampf gegen Spam. Gerade am Beispiel von Spam zeigt sich allerdings, dass sich auch Al Ghanim und Touré nicht leicht tun mit der glasklaren Trennung von Telekommunikations- und Internetfragen. „Es gibt technische Massnahmen,“ sagte Al Ghanim gegenüber heise online. Inhaltsregulierung habe man überdies explizit aus dem Vertrag ausgeschlossen.
Einige Staaten waren ganz klar unzufrieden damit, wie weitgehend das Internet herausverhandelt wurde. Das zeigt etwa eine Erklärung Russlands, die im langen Buch (PDF-Datei) der sogenannten Reservations seinen Platz findet. Darin erklärt Russland, dass das Internet sehr wohl eine neue Telekommunikationsinfrastruktur sei und Namen sowie Nummern auch kritische Resourcen. Russland behält sich deswegen alle Rechte vor, diese Infrastruktur und Ressourcen zu regulieren.
"Das endgültige Schicksal der neuen ITRs hängt davon ab, wie viele Länder tatsächlich ratifizieren oder beitreten," heißt es in der Pressemitteilung des BMWI. In Deutschland will man nun erst einmal eine Bestandsaufnahme zu Internet Governance und dem WCIT-Prozess machen. "Hierzu sind in der nächsten Zeit Gespräche mit Unternehmen, Vertretern der Zivilgesellschaft und anderen beteiligten Akteuren in Deutschland geplant. Ziel der Bundesregierung ist es, allen Beteiligten ausreichend Zeit für eine umfassende Analyse zu lassen." Schnellschüsse in diesem sensiblen Themenbereich sollen vermieden werden. Das klingt danach, als hätten die beteiligten Ministerien Multi-Stakeholder-Blut geleckt. Dann hätte die teure Konferenz – ein Teilnehmer einer technischen Organisation kalkulierte jedes Wort der Erklärung könne rund eine Million kosten - am Ende wenigstens noch einen guten Effekt. (mho)