Wahlkampf 2.0: Kandidaten stellen sich den Netizens

Der US-Präsidentschaftswahlkampf tobt längst auch im Netz. Auf Web-2.0-Plattformen wie Youtube wird zwar die politische Debatte gepflegt, doch sorgen die etablierten Medien immer noch für Moderation und Filter. Eine neue Plattform will das ändern.

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Ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen tobt in den USA schon der Wahlkampf. In den sogenannten Primaries, den Vorwahlen, bestimmen Demokraten und Republikaner ihren Kandidaten für das Weiße Haus. Die Primaries gelten als Seismograph für die Stimmung im Land und die Chancen der Bewerber, erfolgreich um den Einzug auf den Capitol Hill zu kämpfen. Was die Vorwahlen in diesem Jahr besonders interessant macht, sind die vielen aussichtsreichen Kandidaten. Und die haben das Netz entdeckt. Sie tragen den Wahlkampf ins Internet, weil sie hier die Wählerschicht zu erreichen hoffen, den zu politischen Fragen eine indifferente Haltung nachgesagt wird: junge Amerikaner.

Auf beiden Seiten des politischen Spektrums gibt es keinen klaren Favoriten. Auf der demokratischen Plattform bewerben sich Ex-First-Lady Hillary Clinton, derzeit für New York im Senat, und Barack Obama, auch ein amtierender Senator. Clinton ist Liebling der liberalen Ostküsten-Elite und des intellektuellen Hamptons-Milieus; Obama gilt als der erste Schwarze, der realistische Chancen auf den Posten des Commander in Chief hat und findet breite Unterstützung, unter anderem bei progressiven Demokraten und in der Medien- und IT-Industrie – allerdings gilt auch Senator John Edwards noch nicht als abgeschrieben. Die Republikaner schicken mit dem ehemaligen New Yorker Bürgermeister und ausgewiesenen Krisenmanager Rudy Giuliani, dem Schauspieler und Ex-Senator Fred Thompson sowie Vietnam-Veteran John McCain eine bunte Truppe ins Rennen. Auch Mitt Romney, ein konservativer Mormone mit Erfahrungen in Politik und Wirtschaft, landet in den Umfragen immer wieder vorne.

Die Kandidaten haben natürlich alle eine Website und längst auch das Web 2.0 entdeckt und wollen sich die Stimmen der Erstwähler da abholen, wo sie sie vermuten: Auf Youtube und anderen 2.0-Portalen. Die bisherigen Versuche, direkt mit der Webcommunity zu kommunizieren, verliefen allerdings eher enttäuschend. Immerhin, die von CNN und Youtube mit großem Tamtam gestarteten "Youtube Debates" zeigten ganz nebenbei das Versagen der etablierte Medien auf: Im Kontrast zu den konkreten und oft frechen Fragen aus der Community entlarvten sich die formelhaften Antworten der Kandidaten als von Spin-Doktoren antrainierte Phrasen – und warfen ein Streiflicht auf die Mainstream-Medien, die längt verlernt haben, solche hohlen Formeln hart zu hinterfragen.

Ob die eigene Youtube-Frage den Kandidaten überhaupt gestellt wurde, entschieden die professionellen Frager von CNN. Auch ein direktes Feedback, ob die Frage zufriedenstellend beantwortet wurde, machte der zwischengeschaltete Profi-Filter unmöglich. Ähnlich ist das bei dem von MTV und MySpace aufgesetzten Kandidaten-Chat, ein Redaktionsteam wählt die Fragen aus und leitet sie an die Kandidaten weiter. Diesen Filter aushebeln und die Auswahl der Fragen dem Publikum selbst überlassen will jetzt eine neue Plattform: Auf 10 Questions können Nutzer ihre Fragen noch bis zum 14. November als Video einstellen. Die Öffentlichkeit stimmt über die Videos ab und die zehn Fragen mit den meisten Stimmen werden den Kandidaten gestellt.

Die Fragen decken bisher ein breites Spektrum ab: Netzneutralität, Transparenz und die Abhöraktionen ohne Gerichtsbeschluss beschäftigen die bisher erst wenigen Fragesteller ebenso wie der Krieg im Irak und der gegen den Terror. Die bisher populärste Frage zielt auf die mangelnde Transparenz des politischen Systems und den Vertrauensverlust der Bürger in Politiker. Gleich danach kommt die Frage, wie die künftigen Kandidaten Auswüchse wie den die Abhörmaßnahmen des US-Geheimdienstes NSA verhindern wollen. Ihre Antworten sollen die Kandidaten dann ebenfalls auf Video bannen und bis Ende des Jahres auf der Website veröffentlichen. Kleiner Wermutstropfen: Bisher hat sich noch kein Kandidat verbindlich dazu bereit erklärt, schreibt Wired. Es soll bereits informelle Gespräche gegeben haben, und der Veranstalter setzt auf den Domino-Effekt: Wenn sich ein Kandidat beteiligt, geraten die anderen unter Druck und könnten nachziehen.

Anders als bei CNNs Kooperation mit Youtube gibt es auf die Antworten eine direkte Feedback-Schleife: In einer Art politischem "Am I Hot or Not" kann die Community dann die Antwort bewerten: Hat der Kandidat die Frage beantwortet, kriegt er ein "Daumen hoch", wenn nicht, zeigt der Daumen nach unten. Auch das Feedback wird dann ausgewertet. Die Plattform wird von einflussreichen Bloggern aus dem ganzen politischen Spektrum unterstützt – von Daily Kos bis Michelle Malkin. Ganz ohne Mainstream-Medien geht es auch hier nicht: Das Meinungsressort der New York Times unterstützt das Projekt ebenso wie der Sender MSNBC. (vbr)