Warum Deutschland beim Online-Lebensmittelhandel hinterherhinkt

Lebensmittel shoppen die Deutschen nur selten online. Marktforscher haben herausgefunden, woran das liegt.

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(Bild: Natee Photo/Shutterstock.com)

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  • dpa
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Die Verbraucher in Deutschland sind begeisterte Online-Shopper, wenn es um Mode, Elektronik oder Reisen geht. Bei diesen Warengruppen gehören sie nach eine aktuellen Studie des Marktforschungsunternehmens NielsenIQ sogar zu den Vorreitern des E-Commerce in Europa.

Nur in einem Bereich hinken die Deutschen hinterher: bei Lebensmitteln und Konsumgütern wie Körperpflegeprodukten. Hier halten die meisten Menschen den Läden von Rewe, Edeka, Aldi, Lidl und Co. die Treue. „Beim Onlinehandel mit Lebensmitteln und anderen Konsumgütern ist Deutschland das Schlusslicht in Europa“, fasste der Handelsexperte Thomas Montiel Castro von NielsenIQ das Ergebnis einer aktuellen Untersuchung der Marktforscher zusammen. „Deutschland liegt hier wirklich massiv zurück und daran hat auch Corona nichts geändert.“

Die Aussage verblüfft im ersten Moment. Denn im Online-Lebensmittelhandel in Deutschland ist derzeit gefühlt so viel los wie noch nie zuvor. Eine fast schon unübersehbare Zahl von neuen Lieferdiensten wie Gorillas, Flink oder Picnic drängt mit Hunderten Millionen Euro Wagniskapital im Rücken auf den Markt und macht den etablierten Lebensmittelhändlern Konkurrenz. In immer mehr Städten kurven mittlerweile die kleinen Elektrowagen von Picnic und die Fahrradkuriere von Gorillas oder, Flink durch die Straßen und liefern Online-Bestellung ins Haus.

Picnic beliefert nach eigenen Angaben mittlerweile mehr als 250 000 Kunden in über 45 Städten Nordrhein-Westfalens, Flink bringt in 41 Städten bundesweit bestellte Waren ins Haus. Konkurrent Gorillas bietet die Lieferung aktuell in 23 Städten. Und auch der Kölner Handelsriese Rewe, der unter den deutschen Handelsketten beim Thema E-Commerce eine Vorreiterrolle einnimmt, baut sein Online-Standbein kontinuierlich aus. „Wir haben die Umsätze im E-Commerce in diesem Jahr erneut um rund 50 Prozent gesteigert - auf über 700 Millionen Euro“, sagte Rewe-Chef Lionel Souque der Deutschen Presse-Agentur. Rewe biete aktuell in 75 Städten einen Lieferservice für online bestellte Waren und werde dieses Angebot 2022 auch auf das Ruhrgebiet ausweiten.

Die Konkurrenz von Gorillas, Flink, Picnic und Co. sieht Souque gelassen. „Das wächst sehr schnell, ist aber noch total unprofitabel“, meint der Manager. Doch räumt er auch ein: „Das wird nicht wieder verschwinden. Denn für einen Teil der Kunden sind solche Angebote sehr interessant. Aber am Ende werden nur ein oder zwei Anbieter überleben.“ Rewe selbst ist mit unter 10 Prozent an dem Schnelllieferdienst Flink beteiligt, um auch in diesem Bereich präsent zu sein.

Doch gilt das Hauptaugenmerk von Rewe dem eigenen Liefer- und Abholservice. Geld verdient der Handelsriese mit dem E-Commerce-Angebot immer noch nicht. „Bis wir im Onlinehandel schwarze Zahlen schreiben, wird es noch ein paar Jahre dauern - aber das wird kommen“, sagt Souque. Trotz dieser Bemühungen spielt der Onlinehandel mit Lebensmitteln und anderen Konsumgütern NielsenIQ zufolge in Deutschland nach wie vor eine untergeordnete Rolle. Nicht einmal zwei Prozent der Umsätze bei Lebensmitteln und Konsumgütern entfallen nach den Zahlen der Marktforscher auf den E-Commerce. Zum Vergleich: In Großbritannien sind es laut Studie 13,8 Prozent und in Frankreich immerhin 10,8 Prozent.

„Konsumgüter werden im Internet hauptsächlich gekauft, wenn es gefühlt keine andere Möglichkeit gibt, an die Produkte zu kommen“, beschreibt Montiel Castro die Lage in Deutschland. Zum großen Teil gehe es um Nischenprodukte, die im Supermarkt nebenan schwer zu bekommen seien - oder darum, das Schleppen schwerer Lasten zu vermeiden.

Ein wichtiger Grund für den geringen Erfolg der Onlineangebote liegt – da sind sich die Experten einig – in der großen Zahl der Supermärkte, Discounter und Drogeriemärkte in Deutschland. Meist ist der nächste Laden nur ein paar Minuten Fußmarsch entfernt. Ein weiterer Grund: Anders als in anderen EU-Ländern seien die meisten großen Handelsketten in Deutschland online nicht sehr präsent, betont Montiel Castro. Nach einer aktuellen Studie des Kölner Instituts für Handelsforschung (IFH) haben nur rund 24 Prozent der Menschen in Deutschland online wirklich Auswahl zwischen Anbietern mit Auslieferung.

„In Deutschland fehlt es noch an ausreichenden Konsumgüterangeboten im Internet. Gäbe es die, würden auch mehr Menschen ihre großen Wochenendeinkäufe online erledigen“, ist Montiel Castro überzeugt. Wann der große Durchbruch für den Onlinehandel auch beim Thema Lebensmittel kommt, liegt für den NielsenIQ-Experten deshalb vor allem in den Händen der Supermarktketten „Dazu müssen die großen Handelsketten ihr Onlineangebot deutlich ausbauen – und das im ganzen Land, nicht nur in einigen Ballungsgebieten.“

(dwi)