Was das Recht auf Versorgung mit schnellem Internet wirklich bringt

Das neue Telekommunikationsgesetzes schafft einen Anspruch auf schnelles Internet. Jetzt wird um die Mindestanforderungen an einen Internetanschluss gerungen.

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(Bild: asharkyu/Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Dr. Torsten J. Gerpott
Inhaltsverzeichnis

Schnelle Internetzugänge für private Haushalte, Wirtschaft und Staat sind Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. In diesem Punkt sind sich Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ausnahmsweise einig. Trotzdem gibt es immer noch zahlreiche Regionen, in denen ein schneller Internetzugangsdienst (SIZ) fehlt.

Je höher die Bevölkerungsdichte am eigenen Wohnort ist, desto größer ist die Chance, einen schnellen Zugang zu bekommen. Das liegt daran, dass sich Investitionen der Netzbetreiber umso schneller amortisieren, je mehr Menschen und damit potenzielle Kunden im Versorgungsgebiet leben.

Was als Versorgungslücke klassifiziert wird, hängt in erster Linie davon ab, welche Mindestdatenraten man für einen schnellen Internetanschluss festlegt. Aus dem Breitbandatlas des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr kann man ableiten, dass Anfang 2022 in Deutschland der Internetanschluss von etwa 0,4 Millionen privaten Haushalten an ihrem Hauptwohnsitz die minimale Empfangsdatenrate von 16 Mbit/s unterschritt. Setzte man die Untergrenze für die Download-Geschwindigkeit eines SIZ auf 30 Mbit/s hoch, beliefe sich die Versorgungslücke Anfang 2022 schon auf rund 1,5 Millionen Privathaushalte.

Satelliten können diese Lücke nicht füllen. Nach einer im Dezember 2021 veröffentlichten Studie des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen reicht die aktuell verfügbare Kapazität von Satelliten nicht aus, um diesen Haushalten sowie Unternehmen und staatlichen Institutionen, die in unversorgten Regionen Standorte haben, rasch einen SIZ zur Verfügung zu stellen – selbst wenn man die Frage der Kosten für diese Zugangstechnik ausblendet. Deshalb ist der weitere Ausbau von leistungsfähigen Netzen, die unterirdisch verlegte Kabel oder terrestrische Funkfrequenzen verwenden, unumgänglich, wenn alle an ihren Wohn- oder Geschäftsorten einen SIZ nutzen können sollen.

Um sich ein eigenes Bild von der Lage zu verschaffen, stellt die Bundesnetzagentur eine Speedtest-App für Verbraucher zur Verfügung.

Der Ausbau der meisten unversorgten Regionen ist für private Internetanbieter unwirtschaftlich. Wenn man einen schnellen Internetzugangsdienst SIZ als Teil der Daseinsvorsorge einstuft, lassen sich staatliche Eingriffe zur Schließung von Versorgungslücken rechtfertigen. Eine entsprechende Vorschrift findet sich in der aktuellen Novelle des Telekommunikationsgesetzes (TKG), die am 1.12.2021 in Kraft getreten ist.

In § 156 Abs. 1 wird nun erstmals mit dem Recht auf schnelles Internet ein individueller Anspruch von Endnutzern auf Versorgung mit einem schnellen Internetzugang an ihrem Hauptwohnsitz oder ihren Geschäftsstandorten geschaffen. Wenn die Bundesnetzagentur (BNetzA) feststellt, dass Endnutzer in ihrem Rechtsanspruch verletzt sind, dann hat die Behörde als Ultima Ratio einem oder mehreren Unternehmen aufzuerlegen, einen schnellen Zugang für die betroffenen Endnutzer anzubieten. Im Branchenjargon bezeichnet man dieses Angebot als Universaldienst.

Eine derartige Verpflichtung war prinzipiell bereits seit 1996 möglich. Es fehlte aber bisher an konkreten Festlegungen für Mindestempfangs- und -sendedatenraten sowie die maximale Latenz. Ein Unternehmen, das ein Universaldienstangebot machen muss, kann nachweisen, dass es hierdurch unzumutbare Kosten zu tragen hat. In diesem Fall kann die BNetzA ihm gemäß § 162 TKG einen Verlustausgleich gewähren.

Finanziert wird der Ausgleich nach einer Regelung in § 163 TKG über Zahlungen aller nicht mit der Pflicht beschwerten Anbieter von SIZ und von interpersonellen Kommunikationsdiensten, also auch den Betreibern von Messengern mit integrierter Telefoniefunktion, sogenannten Over-the-Top-Anbietern (OTT).

Die BNetzA hat in einem am 22.12.2021 veröffentlichten Papier deutlich gemacht, dass sie für schnelle Internetzugangsdienste ab dem 1. Juni eine Download-Geschwindigkeit von mindestens 10 Mbit/s, eine Upload-Datenrate von mindestens 1,3 Mbit/s und eine Latenz von höchstens 150 Millisekunden vorgeben will.

Ob das für das Streaming hoch aufgelöster Videos oder für Videokonferenzen im Home Office ausreicht, ist umstritten. So forderte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bereits vor mehr als zehn Jahren, dass ein Universaldienst ab dem Jahr 2016 eine Empfangsdatenrate von mindestens 50 Mbit/s aufweisen müsse. Der Verbraucherzentrale Bundesverband plädierte 2019 für einen Grenzwert von 30 Mbit/s. Zwei Jahre später nannten die Verbraucherschützer bereits 50 Mbit/s als angemessenen Minimalwert.

Die Debatte über Datenraten und Latenz geht jedoch am eigentlichen Problem vorbei, das mit dem Recht auf einen schnellen Internetzugang verbunden ist. Zentraler Punkt ist der Prozess, der nach dem neuem TKG zu absolvieren ist, damit die BNetzA eine Versorgungslücke offiziell feststellen und mit der Verpflichtung mindestens eines Unternehmens schließen kann.

Um alle Schritte dieses bürokratischen Verfahrens zu durchlaufen, die bis ins Detail im aktuellen TKG vorgegeben sind, muss man mindestens ein Jahr veranschlagen. Wer also seinen Anspruch über eine Beschwerde bei der BNetzA und eine von der Behörde ausgesprochene Universaldienstverpflichtung durchsetzen will, muss sich in Geduld üben.

Seit Langem legen die am Markt verfügbaren Geschwindigkeiten von Internetanschlüssen zu. Das birgt die Gefahr, dass Kunden selbst dann noch technisch abgehängt sind, wenn sie ihren Anspruch auf einen Universaldienst durchgesetzt und ihren Zugang bekommen haben. Wo Gigabit-Netze in der Fläche und für eine Mehrzahl der Nutzer ausgebaut und damit zum Quasistandard werden, werden sich mit 10 Mbit/s Download-Rate viele aktuelle Dienste nicht vernünftig nutzen lassen.

Alles in allem taugen die neuen Vorschriften des TKG zum Recht auf schnellen Internetzugang als Universaldienst in der Praxis nicht, um die Versorgung mit leistungsstarken Anschlüssen zu verbessern. Sie sind vielmehr ein Beispiel für eine überflüssige Alibi-Regulierung. An ihr halten Politiker in Brüssel auf europäischer Ebene und in Berlin auf deutscher Ebene fest, weil sie auf diese Weise vermeintlich belegen können, sich erfolgreich für Endnutzerinteressen eingesetzt zu haben.

Versorgungslücken bei schnellen Breitbandanschlüssen in Deutschland werden nicht durch Fortbestand veralteter Regulierungskonzepte geschlossen, die knappe Ressourcen der BNetzA und der Internetanbieter vergeuden. Stattdessen sollte die neue Bundesregierung unter Kanzler Scholz ihr Engagement auf drei Feldern verstärken.

Erstens muss sie dafür sorgen, dass sehr schnell wesentlich mehr Dienstleistungen von Bund, Ländern und Kommunen Bürgern und Unternehmen sicher online zur Verfügung stehen. Das schafft einen Nachfragesog bei schnellen Internetzugangsdiensten und in der Folge Anreize für privatwirtschaftliche Netzausbauinvestitionen in bislang unterversorgten ländlichen Regionen.

Zweitens sollte sie die finanzielle Ausbauförderung des Bundes zur Schließung von Breitbandanschlusslücken keinesfalls erhöhen. Es mangelt in Deutschland nicht an Finanzmitteln privater Investoren für den Bau von Gigabitnetzen, die hierfür bereits mehr als 40 Milliarden Euro in Aussicht gestellt haben. Zusätzliche Subventionen würden nicht den Ausbau beschleunigen, sondern die aufgrund von Kapazitätsengpässen heute schon hohen Tiefbaupreise weiter ansteigen lassen. Das Bundesministerium für Digitales sollte vielmehr das Förderungsverfahren so verändern, dass die Subventionen zügiger als bisher abgerufen werden können, ohne dass die Beschleunigung zur Verschwendung von Steuergeldern führt. Das schafft mehr Angebotsdruck für den Ausbau in dünn besiedelten Gebieten.

Drittens müsste sie die Bundesländer dabei unterstützen, die Tiefbaubehörden besser auszustatten und die Vorschriften für öffentliche Telekommunikationsnetze zu entrümpeln, etwa zur Verlegetiefe von Leitungen. Besonderer Nachholbedarf besteht bei der internen und externen elektronischen Vernetzung der Tiefbauämter. Das schafft günstigere Rahmenbedingungen für eine Beschleunigung der Genehmigungsprozesse für Netzausbauvorhaben.

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(uma)