IETF 120: Netzbetreiber wollen ihre Stromschlucker auf Diät setzen
Die längste Zeit sollte das Internet nur vernetzen; Protokollentwickler wollen die Technik nun auf vielfältige Art zu Sparsamkeit pushen.
- Monika Ermert
Die weltweiten Datennetze haben laut Schätzungen des Mobilfunk- und Festnetzbetreibers Telefónica allein im Jahr 2022 zwischen 260 und 360 Terawattstunden Strom gesaugt. Das ist der Branche mittlerweile ein Dorn im Auge. Angesichts von Klimakrise und Sparsamkeitsdruck befassen sich nun immer mehr Fachleute mit der Leistungsoptimierung von Netzwerken.
Doch vor den Einsparungen steht die Analyse, und dabei kommen je nach untersuchtem Netzwerkbaustein teils beklagenswerte Befunde heraus: Ein erheblicher Teil der aufgenommenen Energie verpufft, ohne Arbeit zu leisten, als Wärme. Beispiele dafür gaben Teilnehmer des 120. Treffens der Internet Engineering Task Force (IETF) in Vancouver: Demnach geht die Leistungsaufnahme von manchen Network Processing Units (NPU) um lediglich 13 Prozent zurück, wenn sie nichts zu tun haben. Das ist die Ausgangslage der Kommunikationsbranche; jetzt stemmt sie sich entschlossener als bisher gegen Energievergeudung.
In Vancouver präsentierte die Branche viele zuvor im Stillen angefertigte Analysen und konkrete Pläne zur Besserung. Luis Contreras vom spanischen Mobilfunk- und Festnetzbetreiber Telefonica stellte den IETF-Entwicklern Anforderungen einer ganzen Gruppe von Netzbetreibern vor, angefangen bei Colt und China Mobile, über NTT Data und Orange bis hin zu Verizon und Vodafone. Mitarbeiter dieser Unternehmen arbeiten unter anderem in der neuen IETF-Arbeitsgruppe namens "Getting Ready for Energy Efficient Networking" (Green) zusammen. Gemeinsam wollen sie zunächst Mess- und Monitoringstandards für die Energieeffizienz in Netzwerken entwickeln. Laut Contreras ist das hohen Energiekosten und unternehmerischen Selbstverpflichtungen, aber auch regulatorischen Anreizen und Verboten, geschuldet. Und sie haben es eilig: Bis Ende des Jahres sollen schon erste Ergebnisse vorliegen.
Einheitliche Definitionen und integrierte Messverfahren
Wesentlich für diese Ziele sind laut Contreras "bis auf Line-Cards heruntergebrochene Informationen zum aktuellen Energieverbrauch, bessere und detailliertere Messmöglichkeiten die ohne Zusatzgeräte auskommen, und technische Optionen, ebenso granular auf jeweilige Verbrauchssituationen zu reagieren". Gedacht ist etwa an zeitweilige Schlafmodi von Line-Cards und anderen Netzwerkelementen. Vor allem seien aber eine einheitliche Definition der Energieeffizienz in Netzkomponenten und einheitliche Messverfahren erforderlich.
Denn bisher würden Energieverbrauch und Effizienz auf der Basis von fast einem Dutzend unterschiedlicher Methoden erfasst. Das erschwert den Vergleich beim Einkauf von Netzkomponenten. Obendrein würde manche Marketingabteilung gerne auch mal die eigenen Best-Case- mit den Worst-Case-Szenarien der Konkurrenz vergleichen, räumten Teilnehmer der Konferenz ein.
Tony Li vom Routerhersteller Juniper rief in Vancouver dazu auf, besonders den Energieverbrauch von Netzwerkprozessoren (NPUs) ins Visier zu nehmen. Mit 41 Prozent seien sie die größten Energiefresser in Routern. In Line-Cards entfielen sogar 76 Prozent der Leistungsaufnahme auf die NPUs. Und wenn Verkehr fließe, erhöhe sich der Verbrauch um nur 95 Watt, nämlich von 635 auf 730 Watt laut Lis Messungen. Er hat anlässlich der IETF 120 einen Entwurf eingereicht, der beschreibt, wie Hersteller Netzwerkbestandteile in Zeiten schwachen Verkehrs automatisiert herunterfahren können.
Von MIBs zu Yang
Allerdings ist das Thema Energieeffizienz kein gänzlich neues für die IETF. Das belegen einige vor ein paar Jahren definierte Spezifikationen für Energiemonitoring. Von 2013 bis 2015 hat die Arbeitsgruppe Energie Management (EMAN) mehrere Spezifikationen für das Monitoring des Energieverbrauchs in Routern, Switches, PCs, IP-Kameras, Telefonen und anderen Geräten veröffentlicht. Auch das Energy Management Framework (RFC 7326) und die Management Information Base (MIB) for Power and Energy Monitoring of Devices (RFC 7460) gehören zu diesen Ergebnissen.
Doch bei der Implementierung hapert es bisher, berichtet Cisco-Ingenieur Benoit Claise, einer der Autoren des RFC 7326. Möglicherweise hat die Branche die Implementierung auf die lange Bank geschoben, als die Sorgen um die damalige Energiekrise verflogen waren, so Claise. Denkbar sei auch, dass die EMAN-Spezifikationen zu breit angelegt seien.
Warum Green schaffen soll, was EMAN nicht gelang
Allerdings fragt man sich, wie die Arbeitsgruppe Green die Dinge voranbringen soll, wenn schon die Versuche mit EMAN kaum Früchte getragen haben. heise online hat darüber mit Ericsson-Forscher Jari Arkko gesprochen, der das Treffen in Vancouver moderierte. Arkko räumt ein: "Die Frage ist berechtigt". Doch "der Druck, Energie effizient zu nutzen, ist heute größer als in der Vergangenheit", so Arkko. Heute könne man das Tracking der Energieverbräuche in modernen Management-Frameworks unterbringen, was die Sache erleichtern dürfte.
Zugleich werde ein neues Data Model namens YANG die Möglichkeiten verbessern, den Verbrauch zu steuern. "Das war in der auf SNMP (Simple Network Management Protocol) basierten Welt der EMAN-Arbeit schwieriger und weniger verbreitet", erklärt er.
Unterambitioniert?
Mehrere Aufgaben will sich die Arbeitsgruppe Green in den kommenden Monaten vornehmen: Energieeffizienzmetriken festlegen, Yang-Modelle fürs Messen, Reporting und Steuern des Energieverbrauchs definieren, und festlegen, wie sich Metriken von Geräten und Komponenten abrufen lassen. Das Thema effizientere Netzwerkprotokolle, darunter etwa BGP (Border Gateway Protocol), spielt vorerst keine Rolle. Auch Nachhaltigkeit oder Messungen der Treibhausgasbilanz sind noch zurückgestellt, genauso wie die Definition von Benchmarks.
Dem stehen Mahnungen gegenüber, nicht bei Energieeinsparungen stehenzubleiben, sondern den Weg zur Emmissionsreduktion fortzusetzen. Dafür warb Ali Rezaki, Mitglied des Internet Architecture Board (IAB) und Entwickler bei Nokia. Er und Mitstreiter sind bei der IETF in der IAB-Arbeitsgruppe eImpact organisiert.
Protokolle fürs Energiesparen trainieren
"Man könnte meinen, Messen ist nicht ambitioniert, weil wir mit der Notwendigkeit konfrontiert sind, zu handeln", räumt Arkko ein. Ein solides Fundament sei aber wichtig: "Das ist beim Bau des Netzwerks wie beim Hausbau. Wir müssen messen, um zu verstehen. Darauf aufbauend können wir Ideen entwickeln, Dinge zu verbessern. Natürlich stecken auch im Protokolldesign Effizienzpotenziale." Doch die Implementierung effizienter Systeme, Fortschritte bei der Hardware oder umweltfreundliche Stromquellen ermöglichten oft größere Sprünge bei Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit.
"Der Beitrag von Protokollen und Systemarchitekturen liegt vor allem darin, Energieeinsparungen für Chips oder Geräte zu vereinfachen", sagt Arkko. Beispielsweise könne man fragen, ob die Sendemodule in drahtlosen Netzen wirklich konstant senden und empfangen müssen, oder ob Übertragungen geplant und so Energie eingespart werden könne. Außerhalb der IETF-Welt gibt es längst energiesparsame Protokolle mit intelligenten Konzepten, darunter Bluetooth, Zigbee oder NFC.
In diese Kerbe schlagen Forscher aus Großbritannien, die beim Workshop "Applied Networking Research" Ideen präsentierten, den Treibhausgasanteil von Datennetzen um bis zu 20 Prozent zu senken. Das Ideenkonvolut läuft derzeit unter der Bezeichnung "Low-Carb BGP". Edwin Sutherland von der Loughborough University erklärte, dass BGP-Pfade damit abhängig davon ausgewählt werden könnten, wie grün, beziehungsweise wie nachhaltig ein Link sei.
Und wenn man Links in Low-Traffic Zeiten schlafen legt, könne man bis zu 35 Prozent an Tranceiver Power einsparen – oder 300 von 850 Watt. Details dazu beschrieb Romain Jacob von der ETH Zürich bei der Arbeitsgruppe IAB eImpact. Die Daten gründen auf Messergebnissen der kleinen Forschungsnetze SurfNet und Switch. Nun wollen Jacob und Kollegen die Analysen auf eine breitere Datenbasis stellen und dazu die Messungen auf weitere Netze ausdehnen. In Vancouver stellten sie dafür eine Box vor, die Netzbetreiber in ihren Netzen integrieren, um Verbrauchsdaten zu erfassen. "Man könnte sagen, die Box ist für den Energieverbrauch, was die RIPE Altas Box für Datenverkehr ist". Damit, so Jacob, ließe sich eine Datenbank mit Verbrauchsdaten anlegen. Einheitliche Messstandards, wie sie die Green-Gruppe auf den Weg bringen soll, würden da nicht schaden.
(dz)