Whistleblower-Richtlinie: Interne Hinweisgebersysteme sind jetzt oft Pflicht

Die Frist zur Umsetzung der EU-Whistleblower-Vorgaben ist um. Der hiesige Gesetzgeber hinkt hinterher, der öffentliche Sektor muss den Regeln aber schon folgen.

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(Bild: Lightspring / shutterstock.com)

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Seit November 2019 steht die europäische Hinweisgeberschutz-Richtlinie im EU-Amtsblatt. Ihre Vorgaben sind nun in Kraft getreten und greifen seit diesem Samstag (18.12.2021). Die Mitgliedstaaten hatten zuvor zwei Jahre Zeit, das EU-Gesetz in nationales Recht umzusetzen. Die einstige schwarz-rote Regierungskoalition konnte sich dafür zwar nicht auf eine gemeinsame Linie einigen, sodass Deutschland die Frist verstreichen ließ. Trotzdem können die Normen jetzt zumindest gegenüber dem Staat größtenteils direkt geltend gemacht werden.

Juristische Personen wie Firmen, Behörden und andere Rechtsträger mit mehr als 50 Mitarbeitern sowie alle Unternehmen aus dem Bereich der Finanzdienstleistungen müssen gemäß den EU-Vorgaben prinzipiell ein internes Hinweisgebersystem bereitstellen und einen speziellen Beauftragten als Ansprechpartner vorsehen. Ausnahmen können lediglich für Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern gemacht werden.

Anders als von der deutschen Rechtsprechung bislang vorgegeben, muss ein Hinweisgeber einen Missstand nicht mehr zunächst intern in der eigenen Firma oder Behörde melden. Er kann sich auch unmittelbar an übergeordnete Whistleblower-Stellen wenden oder bei irreversiblen Schäden, drohenden konkreten Repressalien und beim Ausbleiben einer zügigen Rückmeldung an die Medien.

Bislang müssen Whistleblower hierzulande kausal nachweisen, dass ihnen nach dem Läuten der Alarmglocke im Arbeitsleben möglicherweise entstandene Nachteile mit der Offenlegung verknüpft sind. Die Richtlinie sieht hier eine Beweislastumkehr vor. Die Prüfung, ob Hinweisgeber aus ehrenwerten oder altruistischen Gründen gehandelt haben, fällt weg.

In Deutschland existieren für Whistleblowing aktuell keine eigenen umfassenden gesetzlichen Vorgaben. Die rechtliche Zulässigkeit entsprechender Hinweise ist so im Voraus oft nur schwer oder gar nicht beurteilbar. Im Frühjahr scheiterte Schwarz-Rot an einem Umsetzungsgesetz. Die SPD wollte, dass der Schutz auch bei Verstößen gegen deutsches Recht gilt und nicht nur in Bereichen wie Finanzdienstleistungen und Ausschreibungen, Produkt- und Lebensmittelsicherheit, Datenschutz, Umwelt und Gesundheit, die bereits EU-weit geregelt sind. CDU und CSU waren gegen eine solche Reichweite.

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Ohne nationales Gesetz lasse sich der gesamte Gehalt der Richtlinie in der Privatwirtschaft noch nicht durchsetzen, erklärte Ninon Colneric, Ex-Richterin am Europäischen Gerichtshof, schon voriges Jahr. Generell hafte der Staat aber für Schäden, die dem Einzelnen durch Verstöße gegen das EU-Recht entstehen. Zugleich drohe der Bundesrepublik ein Vertragsverletzungsverfahren.

Der Rechtsexperte Simon Gerdemann sieht unter diesen Umständen juristische Personen des öffentlichen Sektors vom 18. Dezember an ausnahmslos dazu verpflichtet, eine interne Whistleblowing-Stelle nach Maßgabe der Richtlinie einzurichten. Andere Wertmaßstäbe aus dem EU-Gesetz wie das grundsätzliche Recht zur unmittelbaren externen Meldung von Verstößen an staatliche Institutionen seien auf sämtlichen Rechtsgebieten im Wege einer richtlinienkonformen Interpretation zu berücksichtigen. Keine Direktwirkung entfalteten dagegen die anti-diskriminierungsrechtlichen Bestimmungen zum Schutz externen Whistleblowings.

Das Whistleblower-Netzwerk appelliert an die neue Bundesregierung, die Richtlinie – wie im Koalitionsvertrag angekündigt – rasch umzusetzen und mit einem umfassenden Schutz für Hinweisgeber für Rechtssicherheit zu sorgen. So sollten nicht nur Straftaten gemeldet werden dürfen, sondern auch Hinweise auf erhebliches Fehlverhalten geschützt werden, "dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt".

Die zivilgesellschaftliche Organisation fordert zudem einen "Vorrang für die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit". Meist seien Täter erst zur Rechenschaft gezogen worden und politische Konsequenzen erfolgt, wenn Hinweisgeber die Medien eingeschaltet hätten. Heise Medien stellt für die anonyme Kontaktaufnahme den Whistleblower-Briefkasten heise investigativ zur Verfügung.

Behördliche Verschlusssachen sollten dem Zusammenschluss zufolge aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes genauso wenig pauschal ausgenommen werden wie der Bereich "nationale Sicherheit". Auch auf diesem Gebiet bestehe ein großes Interesse der Öffentlichkeit, über Eingriffe in Grundrechte, Gesetzesverstöße und sonstige Fehlentwicklungen zu erfahren. Bislang würde ein "deutscher Edward Snowden" nach der Richtlinie nicht geschützt. Größere Unternehmen sowie externer Meldebehörden sollten zudem angehalten werden, anonyme Hinweise zu ermöglichen. Nötig sei ferner ein "Unterstützungsfonds" für Whistleblower.

(tiw)