Wie ein 3D-Modell bei der Restaurierung des Kölner Doms hilft

Aus Hunderttausenden Drohnenfotos entsteht ein Fotogrammetrie-­Modell des Kölner Doms. Es hilft bei der Restaurierung und gibt neue Einblicke.

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Aus hunderttausend 60-Megapixel-Fotos entsteht ein 3D-Modell mit zwei Milliarden Polygonen.

(Bild: Northdocks)

Lesezeit: 7 Min.
Inhaltsverzeichnis

Gotische Bildhauerstücke sind verglichen mit modernen Bauteilen außergewöhnlich komplex, weiß Peter Füssenich. Der Kölner Dombaumeister führt mit seinem Team handwerkliche Traditionen fort, die andernorts längst vergessen sind. Aus diesem Grund hat die UNESCO die Arbeit am Dom ins immaterielle Weltkulturerbe aufgenommen. Die Substanz des Kölner Doms mit freistehenden Strebepfeilern, Strebebögen, gotischen Ziertürmchen, den Fialen, und den Wimpergen genannten gotischen Maßwerkgiebeln ist zum Teil über 700 Jahre alt. Insbesondere die mittelalterlichen Bauteile müssen genau überwacht werden.

Seit 2017 kartieren die Dombaumeister Schäden, Steinarten und andere Eigenschaften am Kölner Dom digital. In der Denkmalpflege setzen die Dombaumeister das Programm metigo Map von der Firma Fokus Leipzig ein. Bisher konnten sie die Schäden damit aber nur zweidimensional kartieren. Seit 2021 wird dreidimensional kartiert. Das hat den Vorteil, dass sich schadhafte Stellen aus jedem Blickwinkel betrachten lassen.

Zusammen mit dem Leipziger Hersteller und der Firma Northdocks aus dem nordrhein-westfälischen Monheim am Rhein entwickeln die Dombaumeister metigo Map zum Zwecke dreidimensionaler Kartierung weiter. Ein zentraler Bestandteil dabei ist die Überwachung mithilfe von Drohnen. Northdocks hat die gesamte Kathedrale zunächst in befliegbare und berechenbare Einheiten wie Chor, Westfassade und Türme eingeteilt. Über einen Zeitraum von mehreren Jahren wird das gesamte Gebäude mit den Drohnen abfotografiert. Daraus entsteht ein detailliertes 3D-Modell der Kathedrale.

Zunächst gab es Bedenken, ob es tatsächlich möglich sein würde, das Bauwerk mit Drohnen exakt zu erfassen. Immer wieder bergen die Dombaumeister Drohnen von Hobbyfliegern im Strebwerk, denn am Kölner Dom herrschen komplexe Windsituationen, die sich aus seiner Position in der Stadt und seiner Struktur ergeben. Bei einem Test am Nordturm hat Northdocks aber beweisen können, dass man den Dom durchaus sicher befliegen kann.

Mit DJI-M300-Drohnen befliegt die Firma Northdocks den Kölner Dom, um die Fassade hochauflösend zu fotografieren.

(Bild: Northdocks)

Das Modell besteht aus einem Polygonnetz, das mit den Fotos texturiert ist. Darüber hinaus enthält es Daten auf Basis der Unterlagen und Pläne. Mit Virtual-Reality-Headsets ist das fertige 3D-Modell erfahrbar. Die Kartierung des Doms geht dieses Jahr in eine entscheidende Phase: Im dritten Quartal 2021 will Northdocks das gesamte Gebäude beflogen und die Daten ausgewertet haben. Aktuell wird das Chorgewölbe erfasst. Der Dom ist teilweise eingerüstet und so landen auch Teile des Gerüsts im 3D-Modell. Da das fertige Modell gerüstfrei sein soll, werden immer wieder Modellteile ersetzt.

An jedem Flugtag entsteht etwa ein Terabyte Fotomaterial. Insgesamt sind bisher hunderttausend 60-Megapixel-Fotos entstanden. Bei derart vielen Fotos ist es schwer zu gewährleisten, dass alle Bilder dieselbe Qualität haben. Northdocks fotografiert im Raw-Format, weil massive Farb- und Bildkorrekturen nötig sind, um ein homogenes Bild ohne Schatten zu erhalten. "Unsere Bild- und Verzerrungskorrekturen haben wir selbst entwickelt. Außerdem sortieren wir Bilder nach Schärfekriterien. Wenn sich die Drohne durch einen Windstoß bewegt hat und Bewegungsunschärfe im Foto zu sehen ist, kommt es nicht ins Modell", berichtet Joachim Perschbacher, Geschäftsführer und technischer Leiter von Northdocks.

Am Ende soll aus dem Datenmaterial ein Modell aus zwei Milliarden Polygonen entstehen. Die Texturauflösung beträgt aktuell 216K, also etwa 216.000 Pixel in der Breite. Das entspricht laut Northdocks einer realen Auflösung von unter einem Millimeter Domfläche. Manche Ecken sind für die Drohnenflieger aktuell unzugänglich; dort ist die Auflösung geringer. Die Komplexität des 3D-Modells werde sich im Lauf der Zeit noch erhöhen, wenn die Drohnenflieger tiefer ins Strebwerk vordringen, vermutet Perschbacher.

Die Drohnen werden immer wieder durch neue Modelle ersetzt. Aktuell fliegt Northdocks mit einer Drohne des Typs DJI M300. Inklusive Akkus wiegt die Drohne 6,3 Kilogramm. Zusätzlich kann sie 2,7 Kilogramm tragen. Alle Fotos entstehen mit demselben Kameratyp. Zum Einsatz kommen Kameras der Reihe Sony Alpha mit Sigma-Objektiven, die mit relativ geringer Verzerrung abbilden.

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Zur Fotogrammetrie nutzt Nothdocks das Programm RealityCapture, eine Software, die 3D-Modelle aus ungeordneten Fotos erstellt. Die Software wurde gerade vom Spieleunternehmen und Game-Engine-Entwickler Epic Games gekauft, schließlich wird Fotogrammetrie in der Spieleentwicklung immer wichtiger. "Für den Kölner Dom ist RealityCapture aufgrund des iterativen Prozesses das für uns beste Tool", sagt Perschbacher. "Wir haben auch schon mit Agisoft Metashape gearbeitet. Das arbeitet aber langsamer für unseren Anwendungsfall." Das vollständige Modell zu berechnen dauere mit dem aktuell eingesetzten Verfahren etwa eine Woche.

Das Modell archiviert den aktuellen Zustand des Kölner Doms für die Zukunft.

(Bild: Northdocks)

In erster Linie soll das 3D-Modell die Dombaumeister bei der Denkmalpflege unterstützen. Bei heutigem Stand des Modells lassen sich die 175 Meter hohen Türme vollständig in virtueller Realität befliegen. Zum Einsatz kommt dabei eine VR-Brille des Typs HTC Vive Pro. Die Software unterstützt aber auch die Modelle HP Reverb G2, Oculus Rift S, Oculus Quest und Pico. Dabei können die Dombaumeister Schäden feststellen, die sie mit bloßem Auge nicht sehen und auch mit Kränen nicht erreichen können. Anhand des Modells können sie entscheiden, welche Steine die Steinmetze benötigen und diese bereits im Steinbruch bestellen. Das ist ein organisatorischer Vorteil und spart Zeit.

Northdocks hat beispielsweise einen Zierwasserspeier dreidimensional erfasst, der nun als Vorlage für den Bildhauer dient. Das 3D-Modell erleichtert und beschleunigt die Arbeit. Der Bildhauer kann sich auf andere Art auf die Handwerkskunst konzentrieren, als das vor 50, 100 oder 500 Jahren möglich gewesen wäre. "Wir wissen bereits für Jahrzehnte, wo wir Gerüste stellen wollen", sagt Dombaumeister Füssenich. "Im 3D-Modell erkennen wir Details, die wir sonst erst feststellen würden, wenn das Gerüst steht."

Das Projekt ist für langfristiges Monitoring angelegt. Zukünftig soll der Dom automatisiert überwacht werden, indem die Drohnen den Turm weitgehend autonom befliegen, wenn dort ein Schaden vermutet wird. Dafür existiert jetzt schon das nötige Kartenmaterial.

Ein wichtiger Nebeneffekt ist eine digitale Archivierung des gesamten Bauwerks, was alle Beteiligten des Projekts angesichts des Brands der Kathedrale Notre-Dame in Paris für wichtig erachten.

Über das Baumonitoring hinaus kann man noch mehr mit dem Modell machen. "Wir können beispielsweise bestimmte Wettersituationen simulieren, die nur selten auftreten", erklärt Northdock-Geschäftsführer Perschbacher. "Für die Feuerwehr können wir Einsätze simulieren, und für den Tourismus können wir Perspektiven des Doms anbieten, die in der Realität nicht möglich wären." Eine auflösungsreduzierte Version des Modells mit etwa 100.000 Polygonen würde beispielsweise auch auf Smartphones und Tablets laufen. Einen virtuellen Rundgang des Kölner Doms hat bereits der WDR erstellt.

Die Dombaumeister können anhand des Modells in virtueller Realität Schäden entdecken und Reparaturen planen.

(Bild: Northdocks)

Neben dem Kölner Dom kartiert Northdocks auch Chemieanlagen. Bei Industrieanlagen wiederholen sich viele Strukturen wie Rohrleitungen. Beim Dom gleicht allerdings kein Bauteil dem anderen, auch wenn von Weitem ein Turm aussieht wie der andere. "Es gibt auf über 100 Metern Engelsfiguren, die nicht nach außen gerichtet sind, sondern zum Dom reichen, wo sie kein Mensch je sehen kann", staunt Perschbacher.

Somit ist es egal, ob man gläubig ist oder nicht. Der Kölner Dom beeindruckt durch die Hingabe der Baumeister, die ihn über Jahrhunderte geformt haben. Im 3D-Modell wird diese Liebe zum Detail erfahrbar. Dombaumeister Peter Füssenich ergänzt: "So haben auch die Drohnen erkannt, dass der Dom für das Auge Gottes gebaut ist."

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(akr)