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Wikipedia und Guantanamo

Torsten Kleinz

Offenbar versuchte ein Angehöriger des US-Militärs, Informationen über Guantanamo-Häftlinge aus der Online-Enzyklopädie zu löschen. Der Fall zeigt wieder, wie sich scheinbar irrelevante Spuren im Netz zu Persönlichkeitsprofilen zusammengefügen lassen.

Kaum hat sich die Aufregung um anonyme und manipulative Beiträge [1] in der Wikipedia [2] etwas gelegt, wartet das Portal Wikileaks [3] mit einem neuen Fall auf: Offenbar hat ein Angehöriger des US-Militärs versucht, Informationen über Guantanamo-Häftlinge aus der freien Online-Enzyklopädie zu löschen. Auch auf anderen Seiten sollen in Kuba stationierte Soldaten Stimmung für das US-Militär gemacht haben.

In einem detaillierten Bericht [4] beschreiben die Wikileaks-Mitarbeiter, wie sie den Änderungen aus dem Netz des US-Militärs auf die Spur gekommen sind. So fielen ihnen mehrere anonyme Änderungen auf, die sie einer IP-Adresse des Armee-Kommandos Süd zuordnen konnten. Mehrere Indizien sprechen dafür, dass diese IP-Addresse direkt dem US-Stützpunkt in Guantanamo zugeteilt ist. So spürten die Wikileaks-Autoren private Mails eines dort stationierten Soldaten auf, deren IP-Adressen sie mit der Wikipedia abglichen.

In der Edit-Historie [5] der IP-Adresse finden sich in der Tat mehrere bedenkliche Edits. So wurde bei mehreren Insassen des umstrittenen Gefangenenlagers die Gefangenennummer entfernt [6]. Ob es sich dabei aber um eine gezielte Propaganda-Aktion des US-Militärs oder das Werk eines übereifrigen Soldaten handelt, bleibt allerdings offen. Unter gleicher IP-Adresse wurde Fidel-Castro auch als Transsexueller [7] bezeichnet – ein schlechter Scherz, der von dem anonymen Editor selbst entfernt [8] wurde.

Die Wikileaks-Spürnasen stellen auch eine Verbindung zu einem Account bei der Social-News-Plattform Digg [9] her, unter dem militär-freundliche Nachrichten eingereicht wurden. Sollte es sich hier um die Arbeit einer Propaganda-Abteilung des Militärs gehandelt haben, dürfte sie sich bald neue Wege gesucht haben: Keine der eingereichten Meldungen [10] bekam Unterstützung aus der Digg-Community; sie wurden daher nicht wahrgenommen.

Der Fall zeigt wieder einmal, wie einfach scheinbar irrelevante Spuren im Netz zu einem Tätigkeits- und Persönlichkeitsprofil zusammengefügt werden können. Übereilte Schlussfolgerungen sollten aber vermieden werden. So wird auf der Wikipedia-Diskussionsseite zur verfolgten Militär-IP-Adresse [11] darauf verwiesen, dass diese IP-Adresse offenbar von einer ganzen Reihe von Personen benutzt wird – eine eindeutige Zuordnung wäre damit nur mit Hilfe des US-Militärs möglich.

Wikileaks ist ein von der Wikipedia unabhängiges Projekt, das sich der Aufdeckung von Regierungs- und Firmengeheimnissen verschrieben hat. Zuletzt erregte die Seite Aufsehen, weil sie ein vertrauliches Handbuch des US-Militärs [12] in Guantanamo veröffentlichte. (Torsten Kleinz) / (jk [13])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-169984

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/news/Politische-Grabenkaempfe-in-der-Wikipedia-177144.html
[2] http://de.wikipedia.org
[3] http://wikileaks.org/wiki/Wikileaks
[4] http://wikileaks.org/wiki/Wikileaks_busts_Gitmo_propaganda_team
[5] http://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Special:Contributions&offset=20070125185247&limit=250&target=130.22.190.5
[6] http://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Hamidullah_%28Guantanamo_detainee_1119%29&diff=prev&oldid=168715643
[7] http://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Fidel_Castro&diff=prev&oldid=35457170
[8] http://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Fidel_Castro&diff=prev&oldid=35457569
[9] http://www.digg.com
[10] http://digg.com/users/usnavymc1/history
[11] http://en.wikipedia.org/wiki/User_talk:130.22.190.5
[12] http://machinist.salon.com/blog/2007/12/04/wikileaks_gitmo/
[13] mailto:jk@heise.de