Wikipedia und Guantanamo

Offenbar versuchte ein Angehöriger des US-Militärs, Informationen über Guantanamo-Häftlinge aus der Online-Enzyklopädie zu löschen. Der Fall zeigt wieder, wie sich scheinbar irrelevante Spuren im Netz zu Persönlichkeitsprofilen zusammengefügen lassen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 134 Kommentare lesen
Lesezeit: 2 Min.
Von
  • Torsten Kleinz

Kaum hat sich die Aufregung um anonyme und manipulative Beiträge in der Wikipedia etwas gelegt, wartet das Portal Wikileaks mit einem neuen Fall auf: Offenbar hat ein Angehöriger des US-Militärs versucht, Informationen über Guantanamo-Häftlinge aus der freien Online-Enzyklopädie zu löschen. Auch auf anderen Seiten sollen in Kuba stationierte Soldaten Stimmung für das US-Militär gemacht haben.

In einem detaillierten Bericht beschreiben die Wikileaks-Mitarbeiter, wie sie den Änderungen aus dem Netz des US-Militärs auf die Spur gekommen sind. So fielen ihnen mehrere anonyme Änderungen auf, die sie einer IP-Adresse des Armee-Kommandos Süd zuordnen konnten. Mehrere Indizien sprechen dafür, dass diese IP-Addresse direkt dem US-Stützpunkt in Guantanamo zugeteilt ist. So spürten die Wikileaks-Autoren private Mails eines dort stationierten Soldaten auf, deren IP-Adressen sie mit der Wikipedia abglichen.

In der Edit-Historie der IP-Adresse finden sich in der Tat mehrere bedenkliche Edits. So wurde bei mehreren Insassen des umstrittenen Gefangenenlagers die Gefangenennummer entfernt. Ob es sich dabei aber um eine gezielte Propaganda-Aktion des US-Militärs oder das Werk eines übereifrigen Soldaten handelt, bleibt allerdings offen. Unter gleicher IP-Adresse wurde Fidel-Castro auch als Transsexueller bezeichnet – ein schlechter Scherz, der von dem anonymen Editor selbst entfernt wurde.

Die Wikileaks-Spürnasen stellen auch eine Verbindung zu einem Account bei der Social-News-Plattform Digg her, unter dem militär-freundliche Nachrichten eingereicht wurden. Sollte es sich hier um die Arbeit einer Propaganda-Abteilung des Militärs gehandelt haben, dürfte sie sich bald neue Wege gesucht haben: Keine der eingereichten Meldungen bekam Unterstützung aus der Digg-Community; sie wurden daher nicht wahrgenommen.

Der Fall zeigt wieder einmal, wie einfach scheinbar irrelevante Spuren im Netz zu einem Tätigkeits- und Persönlichkeitsprofil zusammengefügt werden können. Übereilte Schlussfolgerungen sollten aber vermieden werden. So wird auf der Wikipedia-Diskussionsseite zur verfolgten Militär-IP-Adresse darauf verwiesen, dass diese IP-Adresse offenbar von einer ganzen Reihe von Personen benutzt wird – eine eindeutige Zuordnung wäre damit nur mit Hilfe des US-Militärs möglich.

Wikileaks ist ein von der Wikipedia unabhängiges Projekt, das sich der Aufdeckung von Regierungs- und Firmengeheimnissen verschrieben hat. Zuletzt erregte die Seite Aufsehen, weil sie ein vertrauliches Handbuch des US-Militärs in Guantanamo veröffentlichte. (Torsten Kleinz) / (jk)