Wird das iPhone überschätzt?

Während sich der Hype um Apples neues Handy langsam abkühlt, äußert die Branche auch zunehmend Kritik und Skepsis.

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Das iPhone ist noch nicht auf dem Markt, und die Wenigsten haben schon eins in den Händen gehalten, trotzdem sorgt Apples Einstieg in den Mobilfunksektor für ordentlich Medienwirbel und Gesprächsstoff auf der Branchenmesse 3GSM – auch wenn in Barcelona vom iPhone nichts zu sehen war. Die Reaktionen könnten unterschiedlicher nicht sein: Während das iPhone einerseits als der Heilsbringer einer satten und phantasielosen Branche gefeiert wird, zeigen sich Hersteller und Netzbetreiber nicht immer beeindruckt.

"Ich glaube, die Leute haben überreagiert", erklärt sich Greg Winn den Hype um das iPhone. Der Manager ist für das operative Geschäft des australischen Carriers Telstra und damit unter anderem für 8,9 Millionen Mobilfunkkunden verantwortlich. Im Gespräch mit der Tageszeitung Sydney Morning Herald zeigte er sich wenig begeistert. "Wenn man drüber nachdenkt, ist da nicht viel enorm neues Zeug drin". Für Steve Jobs hat er einen alten Ratschlag: "Schuster bleib bei deinem Leisten." Das mögen überraschend harte Worte für einen Carrier sein, der als heißer Kandidat für die Vermarktung des iPhones auf dem fünften Kontinent gehandelt wurde. Vielleicht setzt Winn auch selbstbewusst auf einen Nachteil des iPhones: Es kann kein UMTS. Daten verarbeitet das Apple-Handy mit GSM/EDGE. Telstra ist bisher der einzige große australische Netzbetreiber, der EDGE anbietet. Der Australier zählt eine Reihe von Schwächen auf, die sich seiner Meinung nach auf den langfristigen Erfolg auswirken können: Der Streit mit Cisco um die Marke, die Exklusiv-Verträge mit einem Carrier (Cingular in den USA, auch in Europa soll es nur einen Partner geben) und der nicht austauschbare Akku. Doch Winn erkennt an, dass die Bedienungsphilosophie des iPhones "irgendwie cool" ist und Apple damit einen bleibenden Eindruck im Handy-Design hinterlassen wird.

Auch die Konkurrenz aus der Smartphone-Ecke gibt sich bewusst unbeeindruckt und will von einer Bedrohung durch Apples Markteintritt nichts wissen. "Es gilt festzuhalten, dass Apple noch überhaupt nichts geliefert hat", dämpfte Palm-Chef Ed Colligan in der Schweizer Sonntagszeitung die Erwartungen. "Es ist ein Riesenunterschied, zwischen Reden und Liefern." Es sei gar nicht so leicht, ein gutes Smartphone zu bauen. "Nokia, Motorola oder Samsung arbeiten seit 25 Jahren daran – und bis heute ist es ihnen nur annähernd gelungen." Außerdem glaubt Colligan, ein Palm könne heute schon nahezu alles, was das iPhone verspricht, und sei dabei viel billiger. Apples erklärtes Ziel von einem Prozent Marktanteil ist zunächst auch kein Grund für das große Zittern. "Steve ist ein großer Showman", sagt Colligan über Apple-Chef Jobs. "Meiner Meinung nach sieht es eher nach einem hoch entwickelten Mediaplayer aus, der per Zufall noch ein Telefon eingebaut hat." Wie der Kurs der Palm-Aktie am Tag der Vorstellung dieses Mediaplayers abgeschmiert ist, will Colligan dagegen nicht mitbekommen haben.

Apple muss sich zudem in das klare Machtverhältnis zwischen Netzbetreibern und Handyherstellern einsortieren. Das wird schwierig für ein Unternehmen, das gerne die Kontrolle behält. Die Carrier sind es gewohnt, den Hardware-Herstellern weitgehend Vorschriften machen zu können. Doch der Apple-Boss hat es mit persönlichem Einsatz zumindest geschafft, dem US-Partner Cingular einige Zugeständnisse abzuringen. "Jobs' hartes Spiel" betitelte das Wall Street Journal eine Geschichte über die Verhandlungen zum iPhone-Launch. Danach hat Cingular-Chef Stan Sigman das iPhone erst wenige Wochen vor der offiziellen Vorstellung zu sehen bekommen, obwohl sein Unternehmen an der zwei Jahre dauernden Entwicklung beteiligt gewesen sei. Das iPhone wird nur bei Cingular und Apple erhältlich sein, nicht aber bei Cingulars Vertriebspartnern. Auch das Logo des Carriers oder Software Branding wird es beim iPhone wohl nicht geben. Zudem erhält Apple einen Teil der Gesprächsumsätze der iPhone-Nutzer. Nicht alle Carrier wollten sich diesen Bedingungen fügen.

Vor dem geplanten US-Start im Sommer wird das neue Handy noch auf Herz und Nieren getestet. Ob das iPhone den Starttermin tatsächlich halten kann, wird sich im Juni zeigen. Das Fenster, noch mit einem ähnlichen Konzept auf den Markt zu kommen, ist für die etablierten Hersteller also noch weit offen; und das besonders in Europa, wo das iPhone erst für das vierte Quartal angekündigt ist. Hier sieht auch Greg Winn eine Gefahr. "Sie können ziemlich sicher sein, dass Nokia, Motorola, Samsung, Sony Ericsson und ZTE und andere mit Geräten mit ähnlichen Funktionen herauskommen werden". Im Zweifel sind die klassischen Handyhersteller auch schneller in der Lage, auf solche Markttrends zu reagieren als der Computerhersteller. LG ist mit dem "Prada" schon auf dem besten Weg, noch vor dem iPhone in den Läden zu landen, mit Samsung und dem F700 dicht auf den Fersen. (vbr)