Wirecard: Insolvenzverfahren eröffnet, 730 Mitarbeiter müssen gehen

Beim Skandalunternehmen Wirecard übernimmt der Insolvenzverwalter das Ruder und kündigt "tiefgreifende Einschnitte" an. Die Mitarbeiter gründen Betriebsräte.

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Wirecard: Insolvenzverfahren eröffnet, 730 Mitarbeiter müssen gehen

(Bild: Wirecard)

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Zwei Monate nach dem Insolvenzantrag des skandalumwitterten Zahlungsdienstleisters Wirecard hat das Amtsgericht München das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Wirecard AG sowie sechs weiterer deutscher Gesellschaften eröffnet. Erste Amtshandlung des nun offiziell bestellten Insolvenzverwalters: 730 Mitarbeitern wird gekündigt, auch die Verträge der Vorstände werden aufgelöst.

Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens endet auch die Zeit, in der die Bundesagentur für Arbeit das Insolvenzgeld für die Mitarbeiter zahlt. Wirecard habe nicht genug Liquidität und eine "enorme Cash-Burn-Rate", teilte Insolvenzverwalter Michael Jaffé am Dienstag mit. Wirecard habe Ressourcen für das vermeintliche Wachstum aufgebaut und mit zahlreichen Zukäufen "erhebliche Überkapazitäten geschaffen".

Zwar sei es in der Zwischenzeit gelungen, das laufende Geschäft zu stabilisieren und die Basis für eine weitere Fortführung zu schaffen. Dennoch seien "tiefgreifende Einschnitte erforderlich", um das Kerngeschäft fortzuführen und die Gesellschaft für einen möglichen Verkauf vorzubereiten. 730 Mitarbeiter erhalten deshalb die Kündigung, 570 sollen am Standort Aschheim beschäftigt bleiben, darunter 220 der nicht insolventen Wirecard Bank AG. Auch Mietverträge für Immobilien und die Vorstandsverträge werden gekündigt.

Wirecard war im Juni implodiert, nachdem die Wirtschaftsprüfer EY keine Hinweise auf 1,9 Milliarden Euro gefunden hatten, die in der Bilanz als Guthaben aus Drittpartnergeschäften geführt wurden. Das Unternehmen musste die Luftbuchungen einräumen und Insolvenz anmelden. Ex-Vorstandschef Markus Braun sitzt in Untersuchungshaft, nach dem abgetauchten COO Jan Marsalek wird international gefahndet. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Wirecard seit 2015 Scheingewinne auswies.

"Die wirtschaftliche Lage der Wirecard AG war und ist angesichts der fehlenden Liquidität und der bekannten skandalösen Begleitumstände äußerst schwierig", erklärte Jaffé. "Mit den üblichen Restrukturierungs- und Kostenanpassungsmaßnahmen ist es daher nicht getan, denn eine so massive Verlustsituation ist im eröffneten Insolvenzverfahren unter Vollkosten nicht darstellbar. Demgemäß müssen Arbeitnehmerzahl und alle weiteren Kostenpositionen bei allen insolventen Gesellschaften der unternehmerischen Wirklichkeit angepasst werden."

Medienberichten zufolge wurden betroffene Mitarbeiter bereits am Montagabend per E-Mail über ihre "Freistellung von der Arbeitsleistungspflicht" informiert. Die Gewerkschaft Verdi vermutet darin auch einen Einschüchterungsversuch wegen der in zahlreichen Wirecard-Gesellschaften laufenden Betriebsratswahlen. Damit wollen die Mitarbeiter ihre Rechte im Insolvenzverfahren stärken. "Mit der Gründung von Betriebsräten erhalten die Beschäftigten ein Recht auf umfassende Informationen und die Möglichkeit, für die betroffenen Beschäftigten etwa Sozialpläne auszuhandeln", erklärte Verdi-Gewerkschaftssekretär Kevin Voss.

Jaffé führt unterdessen "mit mehreren namhaften Interessenten" Verhandlungen über einen Verkauf des Kerngeschäfts der Zahlungsabwicklung sowie die nicht insolvente Wirecard Bank. Dazu gehören unter anderem die Deutsche Bank, die spanische Santander Bank und der US-Riese Paypal, hatte das Fachblog Finance Forward berichtet.

Zudem läuft der Verkauf der internationalen Tochtergesellschaften. Wirecard Brazil sei bereits verkauft, teilte der Insolvenzverwalter mit. Die englische Tochtergesellschaft Wirecard Card Solutions, die unter anderem die virtuelle Kreditkarte Boon herausgegeben hat, verkauft Unternehmensteile und Kundenbeziehungen an den Banking-Plattformanbieter Railsbank Technology. Auch die Gespräche über den Verkauf der US-Tochter seien schon weit fortgeschritten.

Parallel laufe die Aufklärung der Vorgänge, die zur Insolvenz geführt haben. Dabei werde geprüft, ob sich Haftungsansprüche ergeben. Am 18. November finde die erste Gläubigerversammlung statt, voraussichtlich im Löwenbräukeller in München.

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