Wirtschaftsvereinigungen sehen Softwarepatente mit wachsender Sorge

Der erneute Hinweis Microsofts auf gewerbliche Schutzrechte im Kampf gegen Open Source und der Patentkurs des Bundesrates haben beim Linux-Verband und bei Mittelstandsgruppierungen die Alarmglocken schrillen lassen.

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Der abermalige Hinweis Microsofts auf gewerbliche Schutzrechte im Kampf gegen Open Source und der gerade verabschiedete Patentkurs des Bundesrates haben beim Linux-Verband und bei Mittelstandsgruppierungen die Alarmglocken schrillen lassen. Die Branchenvereinigung sieht in der Behauptung der Redmonder, dass Open-Source-Applikationen gegen 235 eigene Patentansprüche verstoße, zunächst nur einen weiteren Versuch, "abwandernde Kunden zu halten". Microsoft rede mittlerweile regelmäßig von angeblichen Patentverletzungen, bleibe dabei aber jeden Nachweis schuldig, sieht der 1. Vorsitzende des Linux-Verbandes, Elmar Geese, den Softwareriesen in die Fußstapfen der SCO Group steigen. Diese streitet sich seit Jahren mit IBM über angeblich illegal in Linux übernommenen Code, ohne dabei bislang große Erfolge erzielen zu können.

Vergleichsweise gelassen steht Geese dem Rasseln Microsofts mit dem Patentportfolio auch gegenüber, da sich große Unternehmen wie IBM oder Red Hat durch eigene Patentportfolios gegen solche Angriffe auf Basis staatlich gewährter Monopolansprüche abgesichert hätten. Die unterschwellige Drohung von Microsoft, die nicht näher bezeichneten Patente auch gegenüber Endkunden geltend zu machen, würden so ins Leere laufen.

Der Linux-Verband steht der Einführung von Softwarepatenten auch in Europa ablehnend gegenüber. Damit wären nicht nur Open-Source-Unternehmen und -Projekte gefährdet, sondern die gesamte mittelständische Softwareentwicklung in Europa. "Wenn in der EU trotz der schlechten Erfahrungen mit dem US-Patentsystem die Fehler hier wiederholt werden, obwohl der Schaden für die europäische Industrie bekannt ist, muss man sich nicht fragen, wer da im Hintergrund die Fäden zieht", meint Geese. Die EU-Politik sollte aber Unternehmen und Bürgern in der EU nützen, nicht US-amerikanischen Softwaremonopolisten.

Die Einführung von Softwarepatenten durch die Hintertür in Europa und die einfachere Durchsetzbarkeit fragwürdiger Schutzrechtansprüche auf "computerimplementierte Erfindungen" sehen Kritiker seit Längerem mit dem heftig umkämpften Streitregelungsübereinkommen EPLA (European Patent Litigation Agreement) verknüpft. Dass der Bundesrat in seiner am Freitag verabschiedeten Stellungnahme zur Mitteilung der EU-Kommission zur "Vertiefung" des Patentsystems den mit dem EPLA verknüpften Ansatz zum Aufbau einer EU-weiten Streitgerichtsbarkeit für gewerbliche Schutzrechte unter der Ägide des Europäischen Patentamt (EPA) weiter befürwortet, ist daher bei Mittelstandsvereinigungen auf heftige Kritik gestoßen.

Die Länderkammer wolle anscheinend "demokratische Gestaltungsmöglichkeiten des Patentsystems einschränken", moniert der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) im Rahmen einer Analyse des Bundesrat-Standpunkts. Die Länder bevorzugten eine Alternative, "welche die zukünftige Ausgestaltung des Patentsystems an die vom EPA abhängige Gerichtsbarkeit abgeben würde". Das sei "für ein Organ unserer demokratischen Legislative mehr als peinlich". Dass das EPLA auch die Kosten von Patentstreitigkeiten um den Faktor zwei bis drei erhöhen würde, stellt dem FFII zufolge insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) ein Problem dar. Doch auch dies interessiere den Bundesrat nicht. Stattdessen werde eine "große Unterstützung, vor allem von Industrie und Mittelstand" herbeizitiert. Damit spanne sich der Bundesrat vor den Karren einer Politik des Bundesjustizministeriums, die durch den von Großkonzernen dominierten Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) eifrig beklatscht werde.

Auch die Unternehmervereinigung patentfrei.de befürchtet mit dem EPLA "eine einseitige Rechtsprechung in rechtlichen Grauzonen zum Nachteil von KMU". Die Landesvertreter hätten einer außergemeinschaftlichen Lösung den Vorzug vor einer Einbettung eines neuen Patenthöchstgerichts in den Rechtsrahmen der EU gegeben. Unverständlich ist für die Initiative, dass der Bundesrat die Verbesserungsforderungen des EU-Parlaments gegenüber dem EPLA nicht aufgegriffen hat. Im Oktober hatten die EU-Abgeordneten in einer Resolution Zweifel an der demokratischen Kontrolle, der Unabhängigkeit der Justiz und der Streitkosten im EPLA-Modell geäußert. Die politisch Verantwortlichen von Bund und Ländern wären daher laut patentfrei.de gut beraten, sich nun umso sorgfältiger zu informieren. Insbesondere sollten die Volksvertreter direkt mit den Entscheidern kleiner und mittelständischer Betriebe sprechen, bevor sie über deren vermeintliche Interessen befänden.

Zum Patentwesen sowie zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente und um die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (anw)