Wissenschaftler steuern Schwärme von Cyborg-Kakerlaken

Das Ansteuern von mehreren Cyborg-Kakerlaken ist ein schwieriges Unterfangen. Forscher haben dafür eine Lösung gefunden: Sie lassen ihnen mehr Autonomie.

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Ein Scharm Cyborg-Kakerlaken bewegt sich im Sand.

Ein Schwarm Cyborg-Kakerlaken krabbelt auf Sand und bewältigt Hindernisse.

(Bild: Nanyang Technological University)

Lesezeit: 4 Min.

Forscher der Hiroshima University, Osaka University und Nanyang Technological University haben einen Algorithmus entwickelt, um Schwärme von Cyborg-Kakerlaken in schwierigen Geländeformationen steuern zu können, ohne dass diese dort stecken bleiben. Die echten Kakerlaken, die mit einem kleinen Elektronikrucksack ausgerüstet sind, über den eine Richtungssteuerung möglich ist, sollen damit für Einsätze in der Katastrophenhilfe, für "Search & Rescue"- und Inspektionsaufgaben vorbereitet werden.

Die Steuerung von Cyborg-Kakerlaken ist nicht neu. Bereits seit mehreren Jahren forschen Wissenschaftler daran, biologische Insekten aus der Ferne steuern zu können. Dazu sind die Kakerlaken mit kleinen Rucksäcken ausgestattet, die Steuerungselektronik, Batterien, Sensoren und teilweise Kameras aufnehmen. Die notwendigen Eingriffe bei den Kakerlaken halten sich dabei in Grenzen und beschränken sich weitgehend darauf, die Fühler der Kakerlaken über Sonden mit einer Elektronik zur Stimulation zu verbinden. Über die Stimulation der Fühler werden die Cyborg-Kakerlaken dann in die gewünschte Richtung gesteuert.

Bisher beschränkte sich die Steuerung jedoch auf einzelne Insekten, obwohl eine massenhafte Umrüstung der Insekten zu Cyborgs mithilfe von Robotertechnik bereits unter Laborbedingungen möglich ist. Ganze Insektenschwärme können zugleich allerdings noch nicht angesteuert werden. Das ist aber nötig, um mit möglichst vielen Cyborg-Kakerlaken etwa bei Such-Missionen in Katastrophengebieten Überlebende innerhalb eines 72-Stunden-Zeitfensters aufspüren zu können.

Eine Fernsteuerung der Cyborg-Kakerlaken über einzelne Operatoren ist dafür zu aufwendig und damit ineffektiv. Außerdem lassen sich Schwärme über Algorithmen, die detaillierte Anweisungen für jedes einzelne Insekt weiterleiten, nicht ausreichend gut koordinieren.

Die Forscher der Hiroshima University, Osaka University und Nanyang Technological University haben in der Studie "Swarm navigation of cyborg-insects in unknown obstructed soft terrain", die in Nature Communications erschienen ist, einen neuen Ansatz für das Ansteuerungsproblem mehrerer Cyborg-Kakerlaken gefunden. Die Wissenschaftler setzen dabei auf ein Leitinsekt, dessen Kontrollrucksack sich mit den Rucksäcken der anderen Insekten koordiniert und den Schwarm darüber anführt. Der Schwarm kann so dynamisch gesteuert und die Cyborg-Kakerlaken einander helfen, etwa bei der Überwindung von Hindernissen oder falls sie feststecken.

Der von den Wissenschaftlern entwickelte Algorithmus steuert lediglich die Richtung zum Ziel, zu dem sie sich bewegen sollen. In komplexen Geländeformationen und bei der Bewältigung von Hindernissen agieren die Cyborg-Kakerlaken dagegen eigenständig. Dadurch können sie aufgrund ihrer Instinkte deutlich schneller auf Änderungen in ihrer Umgebung reagieren, als das mit einer rein computergesteuerten Logik möglich wäre.

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Die Wissenschaftler probierten diesen Ansatz in der Praxis aus. Dazu verwendeten sie Madagaskar-Küchenschaben, die mit entsprechender Elektronik präpariert worden waren.

In den Experimenten konnten die Forscher nachweisen, dass der Ansatz funktionierte. Eine völlige Kontrolle der einzelnen Insekten sei nicht nötig. Der Algorithmus und die zeitweise Abgabe der Steuerung an die Insekten selbst konnten die Notwendigkeit um 50 Prozent minimieren, die Cyborg-Kakerlaken immer wieder neu zu Bewegungen anregen zu müssen. Außerdem konnten so Probleme wie das Einklemmen oder Feststecken von Insekten schneller gelöst oder sogar verhindert werden.

"Im Gegensatz zu Robotern verhalten sich Insekten nicht so, wie wir es von ihnen erwarten. Anstatt jedoch zu versuchen, sie mit Gewalt präzise zu steuern, fanden wir heraus, dass ein entspannter und grober Ansatz nicht nur besser funktionierte, sondern auch zur natürlichen Entstehung komplexer Verhaltensweisen führte, wie etwa kooperative Aktionen, die als Algorithmen schwierig zu entwerfen sind", sagt Wakamiya Naoki, Professor an der Graduate School of Information Science and Technology und Mitautor der Studie.

Die beteiligten Wissenschaftler sehen die Verwendung von Cyborg-Kakerlaken für "Such- und Rettungs"-Aufgaben gegenüber Robotern deutlich im Vorteil. Cyborgs benötigten deutlich weniger Energie als stromintensive, elektromotorisch betriebene Antriebssysteme von Robotern. Auch müsse keine komplexe Steuerungselektronik mit hohem Rechenaufwand betrieben werden.

Die Wissenschaftler wollen nun in einem weiteren Forschungsprojekt Algorithmen entwickeln, die die Cyborg-Insekten zu kooperativen Handlungen anregen, wie etwa der gemeinsame Transport von Lasten. Zudem soll der bestehende Steuererungsalgorithmus in verschiedenen realitätsnahen Szenarien getestet und verbessert werden.

(olb)