Wissing sorgt sich um alte Diesel

Bundesverkehrsminister Wissing befürchtet, dass Diesel-Fahrzeuge mit der Abgasnorm Euro 5 und 6 bald stillgelegt werden müssen. Widerspruch folgt umgehend.​

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 216 Kommentare lesen
VW Golf 7

Der VW Golf 7 gehörte zu jenen Autos, die es sowohl mit der Abgasnorm Euro 5 als auch mit der Euro 6 gab.

(Bild: Volkswagen)

Lesezeit: 4 Min.
Von
Inhaltsverzeichnis

Eine neue Auslegung bei der Einhaltung von Schadstoffgrenzwerten könnte für Fahrzeuge mit Dieselmotor das Aus bedeuten. Das zumindest befürchtet Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) und fordert von der gerade wiedergewählten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine Klarstellung. Derzeit läuft ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu einem sogenannten Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Duisburg.

In dem Verfahren, auf das Wissing hinweist, geht es unter anderem um die Einhaltung von Schadstoffgrenzwerten bei Euro-5-Dieselfahrzeugen. Der Bildzeitung sagt er, die EU-Kommission müsse nun schnell handeln. Er sei in großer Sorge. In dem Gerichtsverfahren hat die EU-Kommission nun laut Wissing die Auffassung vertreten, dass die Schadstoffgrenzwerte auch außerhalb der "Betriebs- und Umgebungsbedingungen" des NEFZ-Verfahrens für jede Fahrsituation gelten würden. Das würde im Extremfall bedeuten, dass die Grenzwerte auch bei sogenannten "Volllastfahrten" einzuhalten wären.

Eine solche Auslegung wäre eine grundlegende Veränderung der gesamten Homologation. Bislang gilt, dass die Autos die Grenzwerte auch auf der Straße einhalten müssen, sofern die Bedingungen jenen auf dem Prüfstand gleichen. Genau das war letztlich die Auslösung für den aufgedeckten Betrug bei Volkswagen im September 2015: Wie auch immer auf der Straße gefahren wurde – die Abgaswerte lagen über den Grenzwerten. Die Ergebnisse, die auf dem Prüfstand ermittelt wurden, ließen sich im realen Betrieb niemals nachstellen. Das war und ist verboten.

Aktuell geht es um Fahrzeuge der Abgasnorm Euro 5 und 6, die im damals gültigen Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) homologiert wurden. Die Abgasnorm Euro 5 wurde 2015 von der Euro 6 abgelöst. Die Grenzwerte sind seitdem nahezu unverändert, allerdings wurden die Bedingungen, unter denen sie eingehalten werden müssen, in den vergangenen Jahren immer wieder verändert. Zwei Schritte sind dabei besonders bedeutsam: Für alle erstmals in der EU zugelassenen Autos war seit September 2018 die Abgasnorm Euro 6c und damit verbunden der WLTP als Nachfolger des NEFZ vorgeschrieben. Mit der Euro 6d-Temp kam eine Messung auf der Straße hinzu. Sie war für neu homologierte Autos in der EU ab September 2017 Pflicht, für alle Neuzulassungen ab September 2019. Aktuell ist die Abgasnorm Euro 6e ab September 2024 für alle erstmals zugelassenen Autos in der EU die Voraussetzung.

Es geht in Wissings Argumentation in der Regel um Diesel-Modelle, die vor September 2018 erstmals zugelassen wurden. Sie wurden noch im NEFZ homologiert. Wissing warnt vor Folgen, wenn ein Aus dieser Modelle tatsächlich käme: "Dies ist nach derzeitigem Stand der Technik nicht umsetzbar und würde damit für die in Verkehr befindlichen Fahrzeuge eine nicht realisierbare nachträgliche Anforderung darstellen", meint Wissing. Sämtliche Euro-5-Genehmigungen würden infrage gestellt. Auch nicht ausgeschlossen seien Konsequenzen für Fahrzeuge nach der Abgasnorm Euro 6. "Millionen von Fahrzeugen droht damit die Außerbetriebsetzung", sagt Wissing. Allein in Deutschland wären 4,3 Millionen Euro 5- und gegebenenfalls 3,9 Millionen Euro 6-Fahrzeuge mit Dieselmotor betroffen. Eine Lösung könnte laut Wissing darin bestehen, in den fraglichen Vorschriften noch vor der EuGH-Entscheidung eine Klarstellung vorzunehmen.

Eine Sprecherin des ADAC verwies auf den Bestandsschutz. Der Club halte Diskussionen über eine drohende Stilllegung für "unsachgemäß". Dennoch hält der Club eine Klarstellung für dringlich, um Verbraucher nicht weiter zu verunsichern, wie eine Sprecherin sagte. Die betroffenen Fahrzeuge seien zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme ordnungsgemäß zugelassen worden. "Änderungen im Messverfahren bei der Typgenehmigung eines Kfz zu einem späteren Zeitpunkt können nach Auffassung von ADAC Juristen nicht rückwirkend Anwendung finden." Eine Betriebsuntersagung sei vor diesem Hintergrund "abwegig".

Auch die Präsidentin des Verbands der Deutschen Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, forderte von der Bundesregierung und der EU-Kommission eine rasche Klarstellung über die Zulassung von älteren Dieselfahrzeugen. Müller sagte der Rheinischen Post, die EU-Kommission müsse die Zulassung durch eine rechtliche Klarstellung absichern. "Rückwirkende Anwendungen neuer Verfahren und Maßstäbe wären ohnehin ein Verstoß gegen den Grundsatz des Rückwirkungsverbots und das Rechtsstaatsprinzip im EU- und deutschem Verfassungsrecht."

(mfz)