Zahlen, bitte: 446 Milliarden Dokumente in der Wayback Machine

Seite 2: Brewster Kahles Kampf gegen das Vergessen

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Und bereits sein Lehrer Daniel Bell wies auf das Problem hin, dass im Zuge der anstehenden Revolution das Urheberrecht gründlich reformiert werden müsse. Einen großen Schritt in diese Richtung ging Brewster Kahle, ein Informatiker, der nach seinem Studium bei Thinking Machines arbeitete. Dort entwickelte er basierend auf dem Konzept vernetzter Rechner an den Universitäten das System der Wide Area Information Server (WAIS), die jeweils eine oder mehrere Datenbanken zu einem Wissensgebiet unterhalten und durchsucht werden konnten.

WAIS wurde 1991 zunächst für die Supercomputer von Thinking Machines entwickelt, war aber bald für eine Reihe von Unix-Systemen verfügbar. Such-Clients für WAIS gab es für Windows, MacOS und DOS. Kahle gründete mit WAIS eine eigene Firma, verkaufte aber bald das System an den Online-Dienst America Online (AOL), weil er Software für das von Tim Berners-Lee erdachte World Wide Web entwickeln wollte.

Mit seinem Ranking-Dienst Alexa landete Kahle einen weiteren kommerziellen Erfolg, während er zugleich die Wayback Machine entwickelte. Inspiriert wurde Kahle 1996 bei einem Besuch der damals wichtigsten Suchmaschine Altavista, als ihm klar wurde, wie häufig sich Web-Auftritte ändern. Mit der Wayback Machine nahm er 1996 den Kampf gegen das Vergessen im Internet auf.

Heute ist die Wayback Machine mit 446 Milliarden Webseiten Teil des Internet Archive und selbiges der Erinnerungsort der dritten industriellen Revolution, die längst nicht abgeschlossen ist. Was alles im Archiv ist, reicht für viele Zahlenspiele: 200.000 Software-Programme halten die Erinnerungen an frühe Rechner oder das seltsame MS-DOS hoch, mit dem Microsofts Aufstieg begann. Eine eindrucksvolle Dokumentensammlung zeigt den 11. September 2001 als Tag, an dem Google von der Suchmaschine zum Nachrichtenkanal transformierte. Zuletzt wurden 20.000 VHS-Kassetten aus der Zeit vor der großen Verschmelzung aller Medien digitalisiert.

Aktuell laufen 15 archivarische Projekte, die sich auch mit anderen Artefakten beschäftigen, etwa das Hooniverse, das sich mit der untergehenden Automobilindustrie beschäftigt. Derzeit ist das Internet Archive in den Nachrichten, nachdem es in Zeiten der Coronakrise seine Open Library unbegrenzt öffnete. Nach einer Klage von US-Verlagen wird die Notfall-Bibliothek am heutigen Dienstag geschlossen. Doch die dritte industrielle Revolution läuft unverdrossen weiter.

(axk)