Zensur und Desinformation im Ukraine-Krieg

Kritische Medien in Russland haben mit Sperren der EU und sozialer Plattformen zu kämpfen. Reporter ohne Grenzen kritisieren die Zensurmaßnahmen.

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(Bild: Dilok Klaisataporn/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.

Der freie Zugang zu Informationen ist in Kriegszeiten besonders schwierig. Einen wichtigen Indikator der Pressefreiheit gibt die Rangliste der Reporter ohne Grenzen (RSF): Russland rangiert auf Platz 150 von 180, noch weit hinter der Ukraine auf Platz 97. In beiden Ländern ist es mit der Pressefreiheit nicht weit her und auch Deutschland (Platz 13) bekommt vom RSF nur die Note Befriedigend. Deshalb ist es zur Beurteilung der Lage im Ukraine-Krieg wichtig, möglichst viele Quellen auszuwerten, also außer deutschen auch ukrainische, russische und internationale, die Google Translate verständlich übersetzt.

Aric Toller vom britischen Rechercheverbund Bellingcat wendet sich gegen eine pauschale Verurteilung sämtlicher russischer Medien. In seinem Artikel "How (not) to Report on Russian Disinformation" weist Toller auf die heterogene Medienlandschaft in Russland hin und zählt Publikationen wie Novaya Gazeta, Meduza, Wedomosti und Kommersant zu den Kreml-kritischen Webseiten.

In Russland verlangt das Gesetz Nr. 327-FZ von Medien, die im Ausland registriert sind oder von dort finanziert werden, dass sie Beiträge mit dem Hinweis kennzeichnen: "Diese Nachricht wurde von einem ausländischen Medienunternehmen, das als ausländischer Agent fungiert […] verbreitet." Medien, die dem nicht nachkommen oder nach Ansicht der Medienaufsicht Roskomnadsor "Falschmeldungen" verbreiten, drohen empfindliche Geldstrafen bis hin zu Sperren ohne Gerichtsbeschluss. So etwa dem Online-Magazin The Village, dem TV-Sender Doschd und dem Radiosender Echo Moskwy.

Über den Maulkorb für Echo Moskwy, dessen Mehrheitseigner die Gazprom-Media-Holding ist, berichtete sogar der russische Sender RT DE und zitierte Novaya Gazeta mit dem Begriff "Militärzensur" – ein Zeichen, dass selbst vom russischen Staat finanzierte Publikationen von der Kreml-Linie abweichen und Möglichkeiten zur kritischen Berichterstattung nutzen.

Doch der Online-Auftritt von Echo Moskwy wurde nicht nur von Roskomnadsor wegen der angeblichen Verbreitung falscher Informationen über den Krieg in der Ukraine blockiert. Auch YouTube sperrte den Kanal in der EU, ohne einen Grund anzugeben. Kurz vor Redaktionsschluss gab der Verwaltungsrat des Senders dessen Auflösung über die Plattform Telegram bekannt.

Dies ist nicht das einzige Beispiel für Sperren russischer Medien in der EU. Nachdem Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein EU-weites Verbot der russischen Staatssender RT DE und Sputnik verkündet hatte, sperrten auch diverse Social-Media-Plattformen die Kanäle der Sender oder schränkten wie Meta zumindest ihre Reichweite ein und blockierten Werbeeinnahmen. Selbst TikTok vom chinesischen Konzern ByteDance sperrte RT DE und Sputnik in Europa.

Reporter ohne Grenzen verurteilten das Verbot, obwohl sie beide Sender als Propagandakanäle einstufen. "Der Einfluss dieser Medien auf die Meinungsbildung in Europa ist begrenzt, die zu erwartenden russischen Gegenmaßnahmen allerdings könnten eine unabhängige Berichterstattung aus Russland erschweren oder sogar unmöglich machen", sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr.

Der ukrainischen Regierung gehen die Sperren nicht weit genug. Sie ersuchte die Netzverwaltung ICANN, die Adresszone .ru aus der Internetstruktur zu verbannen. Zusätzlich sollte das RIPE NCC russischen Providern die IP-Adressen entziehen. ICANN und RIPE NCC lehnten den Antrag ab: "Es ist unabdingbar, dass RIPE NCC neutral bleibt und in inländischen Meinungsverschiedenheiten, internationalen Konflikten oder Krieg keine Position bezieht", erklärte das Exekutive Board in einer Resolution. Eine Absperrung würde die russische Bevölkerung von wissenschaftlichen Informationsquellen wie dem Institute for the Study of War (understandingwar.org) und der Online-Datenbank reliefweb.int trennen, auf der die UN täglich geprüfte Lageberichte über den Ukraine-Krieg veröffentlichen.

Bellingcat zieht gegenseitiger Zensur andere Methoden vor. Um gezielte Desinformationen zu entlarven, setzen die Investigativjournalisten auf OSINT (Open Source Intelligence). Dazu nutzen sie öffentlich frei zugängliche Informationsquellen, um den Wahrheitsgehalt von Meldungen, Bildern und Videos zu prüfen. So lassen sich etwa Bilder über die Rückwärtssuche von Google verifizieren, ob sie aus einem älteren Kontext sinnentstellend recycelt wurden. Zuweilen tauchten in sozialen Medien sogar Videos aus Computerspielen auf, die reale Kampfszenen vortäuschen sollten.

YouTube-Sperren in Europa treffen auch kritische russische Medien wie den Radiosender Echo Moskwy.

Bellingcat bietet für OSINT auch Einführungen und Kurse an. Um sich selbst bei der Bilderrecherche zu schulen, können Interessierte etwa an spielerischen Wettbewerben per Twitter teilnehmen.

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(hag)