Zwischen Wissenschaft und Mao
Seit dem heutigen Freitag findet in Göttingen die weltweit erste Wikipedia-Academy statt - eine Konferenz, die helfen soll, die freie Online-Enzyklopädie noch stärker im akademischen Umfeld zu etablieren.
Kann eine von Freiwilligen zusammengestellte Enzyklopädie akademischen Ansprüchen genügen? Wie können Wissenschaftler die Vorteile der kollaborativen Zusammenarbeit in Wikis nutzen? Mit diesen Fragen beschäftigen sich seit dem heutigen Freitag die Teilnehmer der ersten Wikipedia-Academy in Göttingen. Die Konferenz soll dazu dienen, die freie Online-Enzyklopädie fester im akademischen Umfeld zu verankern.
"Die junge Generation von Wissenschaftlern muss für kollaborative Arbeit gewonnen werden", sagt Professor Elmar Mittler, Direktor der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek in Göttingen. Gerade in den Geisteswissenschaften säßen die Forscher viel zu häufig im stillen Kämmerlein, statt über ihre Arbeit zu kommunizieren. Mittler sieht die Wikipedia als geeignetes Umfeld für Wissenschaftler – ein Grund weshalb auch der Deutsche Bibliotheksverbund das Wikipedia-Projekt unterstütze. In einer noch nicht veröffentlichen Untersuchung sei festgestellt worden, dass die kostenlose Wikipedia keine Konkurrenz zu kommerziellen Enzyklopädien darstelle – "sie ist vielmehr eine Ergänzung", erklärt Mittler. Der Markt für Enzyklopädien sei durch das freie Projekt geöffnet worden, die Verlage könnten von dem Wikipedia-Boom durchaus profitieren. Insbesondere dann, wenn sie noch bessere Inhalte als die Wikipedia bieten.
Wikipedia-Gründer Jimmy Wales reagierte in der Pressekonferenz auch auf die Kritik des Computerwissenschaftlers und Musikers Jaron Lanier. Dieser hatte die Wikipedia in einem viel beachteten Essay mit "Digitalem Maoismus" verglichen, weil es in der Wikipedia an Verantwortlichkeiten fehle. Wales wies diese Kritik zurück: "Bei der Wikipedia geht es nicht um kollektive Intelligenz, es geht um Individuen, die sich einbringen". Vor allem mit dem Begriff des Maoismus hat Wales Probleme. In der Wikipedia-Community seien viele Ideen und Ideologien versammelt, mit denen das Projekt selbst nichts zu tun habe. "Wir sind praktisch veranlagte Menschen – ideologische Diskussionen sind uns eher fremd." Zielvorgabe ist laut Wales, dass die Wikipedia eine mit der Encylopaedia Britannica vergleichbare (oder bessere) Qualität erreichen sollte. Nach einer Studie der britischen Zeitschrift Nature ist die freie Enzyklopädie "zumindest in einigen Bereichen" diesem Ziel schon ziemlich nahe gekommen. Von dem Ziel einer gedruckten Wikipedia-Gesamtausgabe distanzierte Wales sich, man befinde sich aber im Gespräch mit Hilfsorganisationen, um das gemeinsam gesammelte Wissen auch Menschen ohne Computerzugang verfügbar zu machen.
Organisator Frank Schulenburg verspricht sich von der Wikipedia-Konferenz in Göttingen einerseits Feedback für die Wikipedia-Organisation, andererseits soll aber auch gezielt für die Mitarbeit qualifizierter Wissenschaftler geworben werden. In Workshops wird ihnen dabei das Editieren in der Wikipedia nahe gebracht, ebenso die verschiedenen Community-Mechanismen, die bei der täglichen Arbeit in der freien Enzyklopädie eine große Rolle spielen. Insgesamt 160 Teilnehmer hat die Konferenz an die Universität Göttingen gelockt. Um sich auch in der aktuellen fachlichen Diskussion um OpenAccess-Systemen zu positionieren, hat der Verein Wikimedia Deutschland in Göttingen die Berliner Deklaration unterschrieben, die freien Zugang zu einer umfassenden Wissensrepräsentation gefordert wurde.
In der alltäglichen Arbeit werden bei der Wikipedia immer wieder neue Fragen aufgeworfen: So wurde der Verein Wikimedia von der Verwertungsgesellschaft Wort informiert, dass für Wikipedia-Texte, die in Schulbüchern zitiert wurden, Tantiemen angefallen seien. Diese Gelder kann der Verein jedoch nicht annehmen, da die Autoren der einzelnen Beiträge teilweise gar nicht bekannt sind. Um rechtlichen Fragen aller Art besser begegnen zu können, hat die Wikipedia Foundation in Florida nun personelle Verstärkung bekommen. Der lange in der Community engagierte Rechtsanwalt Brad Patrick wird als Rechtsberater fest angestellt. Gleichzeitig bekam Patrick den Titel des vorläufigen "Executive Officer" verliehen. Dieser neue Posten wird als weiterer Schritt zur Professionalisierung der Wikimedia gesehen. In der Community wird zudem über die Einstellung eines Wikimedia-CEOs debattiert, der die Arbeit neu organisieren soll und Wikipedia-Pionier Jimmy Wales entlasten soll. (Torsten Kleinz) / (pmz)