eHealth: Gematik-Umbau lässt auf stabile Infrastruktur hoffen, Experten zweifeln

Das Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz soll für eine stabile Digitalisierung des Gesundheitswesens sorgen. Warum Beteiligte skeptisch sind.​

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 6 Kommentare lesen
Abstract,Health,Medical,Science,Consist,Doctor,Digital,Wireframe,Concept,Modern

(Bild: Tex vector/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis

Die Gematik soll zur "Digitalagentur Gesundheit" ausgebaut werden und die zentrale Verantwortung für die Digitalisierung tragen. Mit der Digitalagentur Gesundheit als Machtzentrale hofft die Politik auf eine schnellere Digitalisierung des Gesundheitswesens. Um dies durchzusetzen, stehen der Gematik laut Referentenentwurf für das Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz dabei Strafen, Bußgelder und Sanktionen sowie weitere Gremien zur Verfügung. Innerhalb der Digitalagentur soll zudem ein Kompetenzzentrum für Interoperabilität im Gesundheitswesen (KIG) aufgebaut werden und mehr.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung erkennt in dem Entwurf "durchaus positive Ansätze", etwa, dass der Umbau der Gematik für Stabilität der Telematikinfrastruktur – dem Gesundheitsnetz – sorgt. Richtig sei auch, dass die künftige Digitalagentur "den Ausdruck der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) durch ein elektronisches Verfahren" ersetzt. Kritisch hinterfragt werden müsse jedoch, "welche Rolle die ärztliche und psychotherapeutische Selbstverwaltung spielen wird". Diese wüssten am besten, welche digitalen Prozesse den Praxisalltag wirklich erleichtern würden. Viele Ärzte glauben laut einer Leserumfrage der Ärztezeitung nicht, dass sich mit der neuen Digitalagentur die TI-Probleme dauerhaft lösen lassen.

Scharfe Kritik übt Erich Gehlen vom Praxisverwaltungssystemhersteller Duria eG. Seiner Ansicht nach habe die Politik den Bezug zur Realität und zur aktuellen Lage in den Praxen verloren. Die Qualität der Praxisverwaltungssysteme würde sich nicht durch weitere Zertifizierungsrunden mit neuen Zertifizierungsgremien verbessern, das scheine ihm "weit hergeholt". Er vermutet, dass die Politik sich bisher nicht die Mühe gemacht habe, einen PVS-Wechsel zu verstehen.

Sein Praxisverwaltungssystem zählt zu den wenigen, die von Anwendern in einer Umfrage vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung positiv bewertet wurden. Gehlen kenne die Wünsche der Ärzte. "Jetzt neue Vorgaben ‘von oben’ zum qualitativen und quantitativen Rahmen zu entwickeln", sei nur sehr eingeschränkt hilfreich. Er befürchtet, dass der Markt jetzt in großen Teilen ausgeschaltet werde. "Wichtig ist, dass sie [die Gematik] künftig nicht mehr – wie zuletzt beim E-Rezept – selbst digitale Anwendungen entwickelt, sondern dies dem Markt überlässt", betont TK-Chef Jens Baas in einer Pressemitteilung der Techniker.

"Komponentenzulassungen in einem wettbewerbsfähigen Markt gibt es seit Langem in vielen anderen Bereichen wie PoS-Terminals (Point-of-Sale) oder Geldautomaten, aber auch bei der Bahn und bei medizinischen Produkten und im Flugverkehr. Aufsichtsbehörden nehmen da ihre Verantwortung wahr und definieren einzuhaltende Spezifikationen und Zulassungsverfahren", meint Cybersicherheits-Experte Manuel Atug. "Es ist ein Trugschluss, dass die im Gesundheitswesen erforderliche Hochverfügbarkeit durch eine Auflösung des reinen Marktmodells hin zu mehr Vergabeprozessen erreicht wird. Was im Gesundheitswesen existiert und mit dem GDAG verschlimmbessert werden soll, ist konträr zu den bisherigen Erfahrungen", so Atug.

Für Christof Gessner, Medizininformatiker bei HL7 Deutschland, steht die Frage im Raum, "wie die Erweiterung der Aufgaben in § 311 Absatz 1 Nr. 8 zur Förderung der Interoperabilität und zur Umsetzung des Interoperabilitätsprozesses nach § 385 einschließlich der Vergabe von Aufträgen insbesondere zur Erbringung entsprechender Spezifikations- und Zertifizierungsleistungen" durch die Gematik umgesetzt werden kann, soll und wird. Als Medizininformatiker arbeite er seit vielen Jahren mit an nationalen und internationalen Standardisierungsprojekten. Dort würden ‘Spezifikationen’ in Zusammenarbeit verschiedener Stakeholder entwickelt und dann im Konsensverfahren verabschiedet und über die Jahre gepflegt weiterentwickelt. "Dazu gehören regelmäßige Treffen und vor allem die Einhaltung der Regeln der jeweiligen Standardisierungsorganisation (SDO)", erklärt Gessner

"Der Gesetzentwurf erwähnt hier die 'Vergabe von Aufträgen' im Kontext der 'Erbringung von Leistungen'. Es wäre schon eine Herausforderung, die oben angeführte Vorgehensweise damit in Einklang zu bringen. Der Entwurf stellt für mich mithin eher eine Hürde für die offene, transparente Standardisierungsarbeit dar, als dass er eine Hilfe wäre, und solcherart Mitarbeit in SDO auch explizit als förderungswürdig benennen würde", resümiert Gessner. Ein Beispiel für solche kooperativen Arbeiten gebe es beispielsweise bei der internationalen Patientenkurzakte – im Gegensatz zu deutschen Arbeiten zur "Patientenkurzakte" und der Anbindung der elektronischen Patientenakte an die EU.

(mack)