re:publica 2024: Netzpolitik, KI und die Frage, wer sich eigentlich kümmert?

Das Motto der diesjährigen re:publica lautet „Who cares?“. Es geht um viel: Die Pflege von Menschen in der Zukunft, aber auch um Netzpolitik und KI.

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Die Hauptbühne der re:publica 2024.​

Markus Beckedahl eröffnet die re:publica 2024.

(Bild: Stefanie Loos/re:publica)

Lesezeit: 8 Min.
Inhaltsverzeichnis

Montag, Station Berlin, die 17. re:publica beginnt. Die Themen der Stunde: KI, Demokratie, der gesellschaftliche Zusammenhalt und wer sich eigentlich um was kümmert. "Who cares?" ist das Motto, es geht um die Pflege – und kümmern wollen sich hier alle Menschen. Das Publikum ist divers, vereint in der Motivation, Gutes zu tun für ein besseres digitales Zusammenleben. Der allgegenwärtige KI-Hype wird auf der re:publica sehr nüchtern betrachtet. Schon 2023 waren die Töne eher leise und kritisch. Wenn KI-Ultras sagen, dass ihre Modelle alles "wie auf Steroiden" machten, wird KI auf der re:publica eher gesehen wie ein neurodiverser Mensch, der gut mit Medikamenten eingestellt ist.

Die Vorträge sind differenziert: KI in der Trauerarbeit, KI und das Urheberrecht, KI-Ethik beim Hacken, wie KI die Arbeit in Archiven unterstützt. Oder: Generative KI aus der Perspektive der Beschäftigten. Wie erleben die es eigentlich, wenn ChatGPT und Co ihre Jobs erledigen sollen? Bei Georg von Richthofen und Sonja Köhne vom Humboldt Institut heißt es, KI habe oft einen "X und minus X Effekt" – etwa wenn KI an einer Stelle effektiver wirkt, an einer anderen aber mehr Arbeit macht. ChatGPT macht die Recherche schneller, die Kontrolle dauert länger. KI macht effizienter, kostet aber Geld. Und so klingen auch die Antworten von Menschen, aus der Werbebranche, die sie befragt haben.

Bei Care oder auch Care-Arbeit ist es freilich schwierig, KI einzusetzen. Das ist jene Arbeit, die in der Regel schlecht oder gar nicht bezahlt wird. Und auch deutlich zu wenig Anerkennung findet. Da sind sich auch wieder alle Besucher einig. Es geht um Erziehung, Pflege, pädagogische Arbeit und Sozialarbeit, all das, was zwar in Zeiten von Fachkräftemangel inzwischen manchmal an Roboter abgetreten wird, in der Regel von Künstlicher Intelligenz aber nur sehr marginal erfüllt werden kann.

Können KI-Sex-Bots sinnvoll eingesetzt werden? Welche Daten so ein Spielzeug benötigt, erzählen Iris Phan und Philipp Fussenegger. Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen? Dass dieser Satz eine Binsenweisheit ist und es dieses Dorf einfach nicht gibt, weiß Katja Thiede auf der ein bisschen versteckten Bühne, die an den Kinderspielplatz grenzt. Kinder gibt es viele auf der re:publica und der parallelen Jugendmesse Tincon.

Um was kann man sich noch alles kümmern? Zu Beginn der dreitägigen Veranstaltung gibt es ein Einspieler-Video. "Ich kümmere mich, um … " Von Kartoffeln in den Hochbeeten über Wildbienen, Schwangere und Babys, Wahlen und den kranken Vater bis zu Bankangelegenheiten und Fahrradwegen in den Städten ist alles dabei, was Speaker und Teilnehmer offensichtlich vorab in die Kamera gesprochen haben.

Nils Bokelberg und Anna Dushim sind erneut die Moderatoren der Hauptbühne. Doch anders als im vergangenen Jahr ist die re:publica dieses Jahr wieder auf dem Station-Gelände untergekommen. Nach den Anfängen in Kalkscheune und Friedrichstadtpalast ist die re:publica seit 2012 in der Station zu Gast, einen Zwischenstopp gab in den vergangenen zwei Jahren in der Arena Berlin. Beides alte Gewerbegelände. Ein bisschen hip und edgy. Was man sich landläufig so unter "sehr Berlin" vorstellt.

Johnny Haeusler darf als erstes ran. Der re:publica-Mitgründer spricht von Femiziden und dass Männer Feministen werden sollten. Frauen leisten deutlich mehr Care-Arbeit, Frauen sind häufiger Opfer von Gewalt. "Wir müssen früher einschreiten, wenn diese ganze sexistische Kackscheiße läuft und früher mal zu jemandem sagen, 'Scheiße, halts Maul'." Es geht aber auch um Klimakrise und steigende Mieten, zunehmende Ausländerfeindlichkeit und fehlende Bemühungen. Ein größerer Skandal als "ein paar Knalltüten auf Sylt" sei, wie die Politik an den Grenzen und im Libanon vorgeht, um Migration um ein paar wenige Prozente zu verringern.

Mitveranstalter Markus Beckedahl stellt wie gewohnt das Programm vor. Es gab mit 1500 Einreichungen einen Rekord, mehr als 800 Sessions sind am Ende dabei herausgekommen. "Es ist die größte re:publica vom Programm her, die wir je hatten." Am späten Mittag folgt sein Vortrag zum Stand des digitalen Deutschlands. Glasfaserausbau, meh. Digitalministerium – wäre besser, als wenn sich wie aktuell zu viele und am Ende niemand zuständig fühlt. Beckedahl trauert nach wie vor "unser aller Lieblingsnetzwerk" nach – Twitter. KI-Expertise in der Politik? Bisher ungebündelt. Googles gefährliche Quatsch-Ergebnisse in der neuen Suche? Der Anbieter solle verantwortlich gemacht werden, sagt Beckedahl.

In einer Halle sind die öffentlich-rechtlichen Sender vertreten. Medien gibt's hier ohnehin viele, seit die re:publica mit dem Medienforum verschmolzen ist. Aber auch das Augsburger Staatstheater ist da. Digitalcourage bietet Workshops zum Fediverse an. Google und TikTok sind präsent. Ging es bei TikTok neulich beim OMR Festival in Hamburg noch um das richtige Werbeumfeld für Marken und Unternehmen, steht hier im Vordergrund, wie das soziale Netzwerk sich engagiert und, wie es immer so schön heißt, wie die Integrität der Wahlen sichergestellt werden kann. Es gibt Zahlen zu gelöschten Inhalten und Moderatoren und mehr.

Google schlägt den Bogen: Netzpolitik ist das Internet, das Internet ist Google – zumindest scheint es oft genug, als erhebe Google den Anspruch, das Internet zu sein. Menschen nutzen Google und Youtube, um sich politisch zu bilden, immer mehr Menschen nutzen KI, auch innerhalb von Googles Diensten. Und KI wiederum erzählt viel Quatsch. Es ist also in mehrfacher Hinsicht Googles Aufgabe, gegen Falschinformationen vorzugehen: Sie versuchen, andere daran zu hindern, diese zu publizieren. Sie selbst müssen sich an die eigene Nase fassen und ihre KI daran hindern, Fake-News en passant zu generieren, wie auch Beckedahl anspricht.

Der Stand des Bundesministeriums für Digitales bekommt Besuch von seinem obersten Digitalisierer: Volker Wissing. Der sagt vor Ort, es brauche mehr Daten – vor allem mehr Daten, die ausgewertet werden können. Daten seien das A und O. Und Daten seien der Rohstoff für KI. Die wiederum solle auch aus Europa und nicht bloß aus China und den USA kommen, weshalb es so notwendig sei, Daten zu sammeln und zu nutzen.

Wissing meint auch, Digitalisierung bedeute, keine Bahncard mehr in einer anderen Form als digital anbieten zu müssen, KI werde den Fachkräftemangel lösen und Datenschutz müsse Bundessache und nicht mehr auf Länder-Ebene geregelt werden. Ein kurzer und inhaltlich vielleicht auch verkürzter Ritt durch die Themen des Ministeriums.

Volkwer Wissing und Markus Beckedahl (Mitte) am Stand des BMVD.

(Bild: emw)

Zurück in die Station ist auch die Tincon mitgekommen. Das ist der Teil der Veranstaltung, der sich an 13- bis 25-Jährige richtet. Die nehmen ganz offensichtlich einen immer größeren Raum der Veranstaltung ein. Politische Bildung ist das Stichwort, sich darum zu kümmern ist wohl auch Teil der Care-Arbeit, an der hier allen gelegen ist. Die Schülerinnen und Schüler wirken zwischendurch ein bisschen verloren. Mitnehmen werden sie sicherlich dennoch einen dicken Batzen. Das erscheint ob der Europawahl im Juni, bei der erstmals 16-Jährige wählen dürfen, besonders relevant.

Bei der re:publica bekommen Schüler und Journalisten, Menschen, die neulich noch bei Twitter aktiv waren, Lehrer und Dozenten, Mitarbeiter von Nichtregierungs-Organisationen und jegliche Netzpolitik-Interessierte eine kompakte und dennoch inhaltlich tiefe Einordnung zu aktuellen digitalen Themen. Man könnte ein Jahr lang sehr viele Artikel lesen, die ähnliche Inhalte transportieren, es ist kein Hexenwerk. Dennoch: Die Essenz lässt sich eben auch auf einer hippen Veranstaltung in entspannter Atmosphäre konsumieren. Der menschliche Algorithmus hinter der re:publica hat gute Arbeit bei der Auswahl der Themen geleistet.

Zwei Torbögen, jeweils mit Ja und Nein beschriftet, dienen als Umfragetool. Kann man fast nicht manipulieren.

(Bild: emw)

(emw)