Überraschende Renaissance für Stahl

Der alte Werkstoff Stahl galt als mehr oder minder ausgereizt, doch Materialwissenschaftler entdeckten mittlerweile immer wieder neue Potenziale, berichtet Technology Review.

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Der alte Werkstoff Stahl galt als mehr oder minder ausgereizt, doch Materialwissenschaftler entdeckten mittlerweile immer wieder neue Potenziale, berichtet Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe.

Der gewaltige Innovationsschub begann in den 90er Jahren – aus einer tiefen Verunsicherung heraus. Damals versetzte der VW-Vorstandsvorsitzende Ferdinand Piëch der gesamten Stahlbranche einen Schock, indem er die Karosserien der Audi-Modelle A8 und A2 komplett aus Aluminium fertigen ließ. Die Stahlkocher konterten und starteten das ehrgeizige Projekt ULSAB (Ultra Light Steel Automotive Body), an dem sich unter der Federführung von Porsche Engineering Services 35 Stahlfirmen aus 18 Ländern von fünf Kontinenten beteiligten.

Daraus entstanden beispielsweise so genannte TRIP-Stähle (Transformation Induced Plasticity). Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich bei Dehnung zugleich verfestigen, ohne dabei zu zerreißen. Diese Fähigkeit beruht auf Umformungen in der Kristallstruktur.

Doch die neuen Werkstoffe brachten auch neue Probleme bei der Verarbeitung: Denn je fester ein Stahl, umso schlechter seine Umformbarkeit, umso höher der dabei anfallende Werkzeugverschleiß und umso stärker sein Rückfederverhalten. Die nächste Generation soll deshalb höchstfest, leicht umformbar und extrem korrosionsbeständig durch Feuerverzinkung sein und läuft unter dem Namen "Presshärtender Stahl" (PHS) demnächst in die Automobilherstellung: Bei der Feuerverzinkung dieser Stähle werden unedle Metalle wie Aluminium oder Silizium zugesetzt, die an der Luft oxidieren und an der Oberfläche des Werkstoffs eine wenige Nanometer dünne Haut bilden, die eine Zink-Beschichtung am Verdampfen hindert. Die PHS-Stahlplatte lässt sich beim Tiefziehen noch wie Kaugummi dehnen und verwandelt sich bei der anschließenden Warmumformung in ein formstabiles, höchstfestes und gleichzeitig korrosionsbeständiges Bauteil. Bei einer Festigkeit von 1500 bis 1800 Megapascal lässt sich an einem nur drei Millimeter starken PHS-Draht ohne Probleme ein Mittelklasseauto aufhängen.

Eine spannende Zukunftsperspektive bieten auch so genannte TWIP-Stähle (Twinning Induced Plasticity) auf Basis von Mangan- und Aluminiumlegierungen, die im Labor bereits Zugfestigkeiten von weit über 1000 Megapascal bei extremer Dehnbarkeit erreichen. Der Trick liegt darin, einen Fehler im Kristall herbeizuführen, der die Kristallstruktur an einer Spiegelebene umklappen lässt -– diese "Zwillingsbildung" führt zur Dehnung des Materials. Bis zur Marktreife der TWIP-Stähle, die sich derzeit im Versuchsstadium befinden, werden allerdings noch rund fünf bis zehn Jahre vergehen.

Mehr in Technology Review 12/2005: (wst)