Überwachungsfreie Zonen bei der Telekommunikation äußerst umstritten
Es dürfe keine "Safe Harbours" für Verbrecher beim Telefonieren oder im Internet geben, lautete eine Forderung bei der Anhörung zur Neuregelung verdeckter Ermittlungsbefugnisse. Kritik gab es aber auch an mangelndem Grundrechtsschutz.
Strafverfolger, Rechtsexperten und Vertreter von Bürgerrechtsorganisationen lagen sich am heutigen Mittwoch über Kreuz bei einer Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags zum umstrittenen Entwurf der Bundesregierung zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen. Während die eine Seite vor allem eine Gängelung der Staatsdiener durch bürokratische Vorgaben etwa zur Berichterstattung über Abhörmaßnahmen beklagte, gehen den anderen die geplanten Vorkehrungen zum Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung sowie von Vertrauenspersonen nicht weit genug. Einig waren sich alle Sachverständigen nur, dass die vom federführenden Bundesjustizministerium angestrebte Harmonisierung der Überwachungsregeln zwar prinzipiell zu begrüßen sei, von dem umfangreichen Entwurf aber noch nicht erreicht werde.
Roland Helgerth von der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg äußerte die Vermutung, dass mit dem Vorstoß der "Lästigkeitsfaktor" für die Strafverfolger "stark erhöht werden soll". Ziel sei es anscheinend, die "in den Medien beklagte Anzahl" der TK-Überwachungsmaßnahmen zurückzudrängen. So würden etwa die Statistikpflichten deutlich zunehmen, da eine Aufgliederung nach Festnetz- und Telefongesprächen sowie Internetverbindungen vorgeschrieben sei. Da gerade Verbindungsdaten in der Online-Welt millionenfach anfallen würden, ergäbe sich daraus eine "enorme Belastung". Zugleich warf der Staatsanwalt die Frage auf, ob etwa auch jede zufällig abgehörte telefonische Vereinbarung eines Friseurtermins aufgelistet werden solle. Als Lösungsvorschlag brachte Ernst Wirth vom Bayerischen Landeskriminalamt ins Spiel, nur nach überwachtem Datenvolumen im Internet und abgehörten Einzelgesprächen im Telefonbereich zu unterscheiden.
Deutlich zu weit ging Helgerth und weiteren Praxisvertretern wie Jürgen-Peter Graf vom Bundesgerichtshof auch die vorgeschlagene deutliche Ausweitung der Benachrichtigungspflichten nach einer Abhörmaßnahme. Da nicht mehr nur die eigentlichen "Zielpersonen", sondern prinzipiell auch "Unbeteiligte" künftig informiert werden sollen, komme man zu einem "nicht mehr handhabbaren" Personen- und Datenkreis. Zudem dürfen laut Helgerth damit eine "Vielzahl querulatorischer Klagen und Anträge initiiert werden". Der Regierungsentwurf sieht aber bereits umfangreiche Regeln vor, in denen eine Benachrichtigung unterbleiben kann und soll. Dies gilt demnach etwa, wenn dem andere Werte wie der Datenschutz oder ein Geheimhaltungsinteresse der Behörden entgegenstehen. Eine Vielzahl der "nebenbei Aufgenommenen" würde so weiter nichts von dem Einbezug in eine Überwachungsmaßnahme erfahren.
Grundsätzliche Kritik an dem Vorstoß übte Klaus Rogall, Rechtsprofessor an der FU Berlin: "Es darf in der Telekommunikation keine 'Safe Harbours' für Verbrecher geben", stellte er seinen Ausführungen voran und positionierte sich somit letztlich gegen den vom Bundesverfassungsgericht geforderten Kernbereichsschutz. Karlsruhe darf man dem Wissenschaftler zufolge aber eh nicht ständig als "Gewährsmann" heranziehen, da es dort auch "falsche" Entscheidungen gebe. Auch "Sanktuarien" für die sogenannten Berufsgeheimnisträger lehnte Rogall ab. Er schlug vor, für den entsprechenden Vertrauensschutz dezentrale Lösungen für jede einzelne im Entwurf behandelte Maßnahmenform gleichsam maßgeschneidert zu finden.
Der Hannoversche Oberstaatsanwalt Ralf Günther pochte auf deutliche Ausweitungen des Entwurfs. So sollten IMSI-Catcher nicht nur zur Standortbestimmung Verdächtiger genutzt werden können. Da die Geräte vielfach auch in der Lage seien, Gesprächsinhalte "festzustellen", müssten sie bei einer eh bereits ergangenen richterlichen Anordnung auch gleich zum Abhören verwendet werden dürfen. Zugleich machte sich Günther dafür stark, im Rahmen der Neuregelung auch gleich eine Lizenz für die heftig umkämpften heimlichen Online-Durchsuchungen in der Strafprozessordnung (StPO) zu verankern und damit generell bei der Verfolgung schwerer Straftaten den sogenannten Bundestrojaner zum Einsatz zu bringen. Anderenfalls gebe es Überwachungslücken etwa bei verschlüsselten VoIP-Diensten wie Skype, wo vor der Kryptierung oder danach am Endgerät des Empfängers angesetzt werden müsse. Unisono sprachen sich die Strafverfolger zudem gegen eine Verkürzung der Anordnungsdauer von Abhörmaßnahmen von drei auf zwei Monaten aus, da sonst der Aufwand gerade bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität oder terroristischer Straftaten steige.
Christoph Gusy vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Universität Bielefeld hielt dagegen, dass die weiterhin vorgesehenen Verlängerungsanträge bislang von den Gerichten "routinemäßig" abgesegnet würden. Daher "müssen verfahrensrechtliche Vorkehrungen her, die dies stoppen". Leer laufe zudem das Instrumentarium zum Schutz der Vertrauensverhältnisse insbesondere bei Journalisten, wo der Entwurf im Unterschied zu besser abgesicherten Abgeordneten, Strafverteidigern und Geistlichen nur eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Durchführung einer Überwachung vorschreibt. Dabei müssten die Inhalte einer Kommunikation laut Gusy aber den Ermittlern paradoxerweise schon bei der Abwägung bekannt sein. Generell umfasse die entsprechende Passage eine "Kaskade unbestimmter Rechtsbegriffe" wie "öffentliches Interesse", "Würdigung", "Interesse an Geheimhaltung" oder "Berücksichtigung", die wohl kein Staatsanwalt oder Richter in einem Paragraphen vertrage. Insgesamt sei der Rechtsschutz "unübersichtlich und wenig abgestimmt".
In ein ähnliches Horn stieß Benno Pöppelmann, Justiziar des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) Berlin. Mit der löchrigen Vertrauensschutzbestimmung für die Medien könnten diese ihm zufolge "die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit nicht mehr gewährleisten". Es könne nicht sein dass die "Definitionsmacht über ein öffentliches Interesse an Berichterstattung in die Hände der Strafverfolger gelegt wird". Eine reine Abwägung habe zudem diese bisher noch kaum daran gehindert, Durchsuchungen bei Presseorganen durchzuführen. Weiter forderte Pöppelmann eine Ausdehnung der Schutzbestimmungen auf Berufsräume auch von freien Journalisten und eine Eingrenzung der Lizenz zum Abruf von Verbindungsdaten. Diese dürfe nicht schon bei "mittels Telekommunikation begangener Straftaten" oder gar Ordnungswidrigkeiten greifen.
Ein erneutes Plädoyer für einen besseren Schutz des privaten Kernbereichs führte Fredrik Roggan im Namen der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union (HU). Seiner Ansicht nach müssen Maßnahmen wie beim großen Lauschangriff auch beim Telefonieren abgebrochen werden, wenn unerwartet ein Gespräch auf intime Angelegenheiten zu sprechen komme. Gänzlich untersagt sein sollte das Abhören von Gesprächen mit Personen, bei denen davon auszugehen sei, dass die Kommunikation auch im Folge der Unterhaltung nicht überwacht werden dürfe. Andernfalls könnte das Telefon als Medium für private Gespräche generell gemieden werden. Die auch von Gusy geforderte Verbesserung des Kernbereichsschutzes hat die große Koalition mit der Verabschiedung der Novelle des Zollfahndungsdienstgesetzes aber bereits abgelehnt. Der Anhörungsmarathon geht am Freitag nun weiter mit einer gesonderten Sachverständigenbefragung zur Umsetzung der EU-Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung, die ebenfalls Teil des Entwurfs ist.
Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:
Siehe dazu auch die Anmerkungen zur Online-Durchsuchung von BKA-Chef Jörg Ziercke und von Datenschützern auf der Datenschutz-Sommerakademie des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz:
- Mit Unikaten gegen Straftaten
- Hickhack um Online-Durchsuchung
- Schutz und Trutz vor der Online- Durchsuchung
Einen ausführlichen Einblick in die jüngsten Ausführungen des Bundesinnenministeriums zu den Plänen für Online-Razzien und in die Antworten Schäubles auf den Fragenkatalog des Bundesjustizminsteriums sowie der SPD-Fraktion zur Online-Durchsuchung bieten Meldungen im heise-Newsticker und ein Bericht in c't – Hintergrund:
- Innenministerium verrät neue Details zu Online-Durchsuchungen
- Innenministerium bezeichnet Entdeckungsrisiko für Bundestrojaner als gering
- Heimliche Online-Durchsuchungen und der Schutz der Privatsphäre
- Bundesregierung sieht sich mit Online-Durchsuchungen nicht allein
- Netzpolitik hat mittlerweile die Antworten des Bundesinnenministeriums im Wortlaut online dokumentiert: Antworten auf den Fragenkatalog des Bundesjustizministeriums, Antworten auf die Fragen der SPD-Fraktion
(Stefan Krempl) / (pmz)