36C3: Handykontrollen ohne Sinn beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Deutsche Behörden werten routinemäßig Handys von Geflüchteten aus. Doch das Ergebnis rechtfertigt den Eingriff nicht, urteilen Bürgerrechtler.
Um deren Herkunft zu belegen, lesen deutsche Behörden regelmäßig die Mobiltelefone von Asylbewerbern aus. Doch die Methode ist fehleranfällig, unnötig invasiv und zudem teuer, kritisieren Bürgerrechtler auf dem Chaos Communication Congress in Leipzig.
Laut einer Studie der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in den vergangenen Jahren insgesamt 20.000 Mobiltelefone ausgelesen, um zu überprüfen, ob die Angaben der Asylsuchenden stimmen. Die Bürgerrechtler argumentieren, dass dieses Programm gegen das Grundgesetz verstößt.
Kein Pass, keine Privatsphäre
Die digitale Spurensuche wird immer gestartet, wenn die Flüchtenden dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) keinen akzeptierten Ausweis vorlegen können. Die Schwelle für diese Überprüfung ist dabei sehr niedrig. "Der Pass kann sogar gerade bei einer anderen Behörde liegen", kritisiert Lea Beckmann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Grundlage für die Durchsuchung ist die gesetzliche Verpflichtung der Asylbewerber, zu der Bereitstellung aller notwendigen Informationen beizutragen.
Das Tool der Behörde kopiert die Daten dabei in einen gesicherten Datentresor. Wenn die Sachbearbeiter Einsicht beantragen, erhalten sie nach Freigabe durch einen Juristen Zugriff auf einen automatisierten Report, der die gefundenen Informationen aufbereitet, ohne die eigentlichen Rohdaten anzuzeigen. Dabei werden etwa Textnachrichten nach verwendeten Sprachen ausgewertet, Adressbücher analysiert und die Geodaten von Fotos und installierten Apps ausgelesen.
Kein konkreter Anlass, tiefer Eingriff
Das Vorgehen wertet die GFF als Verstoß gegen das vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 2008 festgestellte Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. "Geflüchtete sind Versuchskaninchen", kritisiert Beckmann, die eine immer weitere Ausdehnung der digitalen Ausforschung befürchtet. So arbeitete das BAMF an einer Digitalisierungsagenda, bei der die Rechte der Einzelnen unter die Räder zu kommen drohten. Neben der Überprüfung der konkreten Angaben der Asylsuchenden würden solche Daten auch dazu genutzt, allgemeine Lagebilder über Fluchtbewegungen zu erstellen.
Um die gesetzliche Grundlage anzugreifen, müsste ein Betroffener durch mehrere gerichtliche Instanzen klagen – doch gerade Asylsuchende hätten nicht die dazu notwendigen Ressourcen. Um das juristische Vorgehen zu stützen, hat die GFF nun eine Studie vorgelegt, die die fehlende Verhältnismäßigkeit des Handy-Auslese-Prozesses beleuchten soll.
Das Amt schweigt
Das BAMF jedoch verweigert viele Auskünfte. "Wir stehen vor einer riesigen Mauer von Schweigen", kritisiert die Journalistin Anna Biselli. So blieben selbst Fragen nach Fehlerquote oder dem verwendeten Datenkorpus der Sprachanalyse unbeantwortet, auch eine Datenschutz-Folgeabschätzung stehe aus. Immerhin musste die Behörde dem Bundestag auf mehrere Anfragen antworten.
Die Zahlen sind ernüchternd: So wurden alleine im Jahr 2018 mehr als 11.000 Mobiltelefone ausgelesen, obwohl die Sachbearbeiter bei weniger als der Hälfte der Fälle einen Grund sahen, in die Daten Einsicht zu nehmen. Das verwendete Auswertungs-Tool liefert in 64 Prozent der Fälle gar keine verwertbaren Ergebnisse. In 34 Prozent der Fälle bestätigt der Datenreport die Angaben der Geflüchteten, in zwei Prozent wurden Widersprüche festgestellt. Inwieweit diese Widersprüche tatsächlich bestätigt werden konnten, ist unbekannt. Laut Biselli sind Fehler angesichts der mangelhaften Auswertungsmethoden kaum überraschend. Verwende eine Person etwa ein nicht unterstütztes Messenger-Programm, laufe die Analyse fehl, so dass etwa die automatisierten SMS-Nachrichten von griechischen Providern mit tatsächlicher Kommunikation verwechselt würden.
Millionenkosten
Dem gegenüber stehen hohe Kosten. So hat das BAMF laut Rechnung der GFF inzwischen über 17 Millionen Euro für die Handyauswertungen ausgegeben. Wichtiger seien jedoch die Kosten für die Grundrechte. "Digitalisierung wird zu einem Zweck an sich", kritisierte Biselli. So sei etwa eine fachkundige Befragung wesentlich erfolgversprechender, wenn es darum gehe, die Herkunft eines Menschen festzustellen. Angesichts der mangelnden Erfolgsbilanz sei die Verhältnismäßigkeit des Auslese-Programms nicht zu begründen.
Doch dies sei nur eines von vielen Digitalisierungsprogrammen. So habe etwa die europäische Grenz- und Küstenwache Frontex ein ähnliches System wie das BAMF schaffen wollen – die Ausschreibung aber nach Kritik von Datenschutzbeauftragten zurückgezogen. Die GFF befürchtet, dass immer neue digitalisierte Tools eingesetzt werden. "Wo ein Trog ist, sammeln sich die Schweine", sagte Biselli in Leipzig. So sei zu befürchten, dass die gesammelten Daten immer neue Verwendungsmöglichkeiten fänden und die betroffenen Personengruppen immer weiter ausgeweitet werden. (akr)