Arbeitnehmer: Lieber mehr Freizeit statt Geld

Viele Beschäftigte wünschen sich mehr Freiraum von der Arbeit. Dafür sind sie mitunter sogar bereit auf einen Teil ihres Gehalt zu verzichten.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 120 Kommentare lesen
Arbeiten im Homeoffice

(Bild: dpa, Nicolas Armer)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
Inhaltsverzeichnis
heise jobs – der IT-Stellenmarkt

Zu Arbeitsplätzen und Stellenangeboten in der IT-Branche siehe auch den Stellenmarkt auf heise online:

Die Arbeitsleistung in Deutschland hat einen neuen Höchststand erreicht: Rund 61,1 Milliarden Stunden arbeiteten die Erwerbstätigen im Jahr 2018 in Deutschland, ein Plus von 1,4 Prozent zum Vorjahr. Dies hat eine Untersuchung des Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ergeben. Der bisherige Höchststand der Langzeit-Statistik lag bei 60,3 Milliarden Stunden im Jahr 1991.

Angesichts des viel zitierten Fachkräftemangels und niedriger Arbeitslosenquote bedeutet das aber auch, dass die Arbeitsbelastung des einzelnen Arbeitnehmers hoch ist. Auch wenn die Regelarbeitszeit in Tarifverträgen sinkt, wird diese Entwicklung durch Besetzung von mehr Vollzeit-Jobs, durch flexible Arbeitszeitmodelle, Überstunden und prekäre Selbständigen-Jobs mehr als ausgeglichen.

Dabei sind die Arbeitnehmer in Deutschland seit Jahrzehnten der Auffassung, dass sie zu viel arbeiten. So erfasst das IAB auch die gewünschte und tatsächliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer. Das Ergebnis: Unter männlichen Arbeitskräften würden fast konstant 50 Prozent mindestens 2,5 Stunden pro Woche weniger arbeiten. Unterbeschäftigt fühlen sich vergleichsweise wenige: Der Wert schwankt hier um 10 Prozent. Bei Frauen, die wesentlich häufiger in Teilzeit-Jobs arbeiten, ist die Situation anders: 40 Prozent fühlen sich überbeschäftigt, doch 20 Prozent würden ihre Arbeitszeit gerne aufstocken.

Dass diese Zahlen mehr als nur eine bloße Wunschvorstellung aufzeigen, zeigt der Tarifvertrag im Metallgewerbe, der im vergangenen Jahr vereinbart wurde. Darin enthalten ist auch eine Zusatzklausel "Freizeit statt Geld“. So steht es den Beschäftigten frei, acht zusätzliche freie Tage pro Jahr zu beantragen, wenn sie auf die Zahlung eines Teils ihres "tariflichen Zusatzentgelts“ verzichten. Für die zusätzlichen Urlaubstage macht das ungefähr etwas mehr als ein Viertel eines Monatsgehalts aus.

Laut IG Metall ist die Neuregelung aus dem Stand ein Erfolgsmodell: Aufgrund einer Umfrage schätzt die Gewerkschaft, dass 260.000 Beschäftigte einen Antrag auf die erweiterte Freizeit gestellt haben. 93 Prozent der Anträge wurden demnach von den Betrieben bewilligt. Die Arbeitgeber wollen solche Zahlen hingegen nicht als Erfolg betrachten. Für sie sind sie vielmehr Zeichen der überbordenden Forderungen von Gewerkschaften: "Nur, weil viele Unternehmen in den sauren Apfel gebissen haben, Anträge auch ohne entsprechenden Ausgleich zu genehmigen, um den Betriebsfrieden zu wahren, konnte das Gros der Anträge bewilligt werden“, kritisierte zum Beispiel der Hauptgeschäftsführer Arbeitgeberverbands Südwestmetall Peer-Michael Dick im Januar.

Die praktische Umsetzung des Tarifvertrags bietet auch einen Einblick, welche Personengruppen am ehesten an einer reduzierten Arbeitszeit interessiert sind. "Die meisten, die sich für acht zusätzliche freie Tage entschieden haben, arbeiten im Schichtbetrieb“, erklärt ein Sprecher der IG Metall gegenüber heise online. Daneben gebe es großes Interesse daran auch bei Beschäftigten, die Kinder erziehen oder Angehörige pflegen.

Gerade um Arbeitnehmern Gelegenheit zu geben, in solchen Situationen auszusetzen ohne gleich ihre Karriere zu gefährden, hat die Bundesregierung zu 2019 die neue Regelung zur Brückenteilzeit eingeführt. Demnach dürfen Arbeitnehmer in größeren Firmen eine Teilzeitstelle für ein bis fünf Jahre beantragen – nach deren Ablauf sie wieder ihre Vollzeit-Arbeit aufnehmen können.

Damit soll die so genannte "Teilzeitfalle“ vermieden werden, unter der bisher insbesondere Frauen zu leiden hatten. Fingen sie einmal an als Teilzeitkraft zu arbeiten, boten die Firmen oftmals keine Rückkehr zur Vollzeit mehr ein. Beförderungen lagen damit in weiter Ferne. Allerdings kritisieren Arbeitsmarktexperten, dass sich die Situation auch schon ohne Eingriff durch den Gesetzgeber wegen der aktuellen Nachfrage nach Arbeitskräften gebessert habe.

Das neue Gesetz ist freilich keine Garantie auf den idealen Karriereweg: Betriebe können entsprechende Anträge aus betrieblichen Gründen ablehnen. Allerdings müssen sie ihre Entscheidung begründen – früher mussten Beschäftigte selbst nachweisen, dass eine entsprechende Stelle für sie bereitstünde. Die Betriebe stehen nun vor der Herausforderung die Betriebsabläufe so zu organisieren, dass die Arbeitslücke durch Teilzeitkräfte geschlossen werden kann. Eine Möglichkeit ist zum Beispiel das sogenannte Job-Sharing, bei der sich zwei verschiedene Arbeitnehmer eine Position teilen. Diese Option wird allerdings noch sehr selten genutzt.

Eine andere Möglichkeit ist die Reorganisation der Betriebsabläufe. Dass eine verkürzte Arbeitszeit nicht unbedingt mit weniger Arbeitsleistung einhergeht, hat zum Beispiel die Straubinger Firma Jobroller festgestellt. 2017 wurde hier ein Sechs-Stunden-Tag eingeführt – bei gleichem Gehalt wie bei den vorher geltenden Acht-Stunden-Tagen.

Dafür müssen aber die Beschäftigten auf sonst übliche Pausen und Nebenbeschäftigungen verzichten. "Es wird auf die ein oder andere Tasse Kaffee, die eine oder die andere Zigarette verzichtet", erläuterte Günter Dillig, Geschäftsführer bei Jobroller gegenüber heise online. Mehr Leute wurden nicht angestellt, um die Arbeitsleistung zu bewältigen. "Wir sind zwischenzeitlich nochmal zum Acht-Stunden-Tag zurückgewechselt und mussten feststellen, dass es keinen Unterschied bei der erbrachten Arbeit gab", sagte Dillig. (axk)