Corona: Ă„rzte diagnostizieren Infodemie, verschreiben "Algorithmen entgiften"
Virologen, Mediziner und Gesundheitsexperten schlagen Alarm, dass sich gefährliche Falschinformationen über Corona in sozialen Medien viral verbreiteten.
Falschbehauptungen, Gerüchte und Verschwörungstheorien rund um Covid-19, die über Facebook, Twitter, YouTube, WhatsApp, Telegram & Co. tausendfach geteilt und kommentiert werden, erschweren zunehmend die Arbeit von Mitarbeitern des Gesundheitswesens. Dies beklagen über 100 Ärzte, Krankenpfleger und Gesundheitsexperten aus aller Herren Länder in einem offenen Brief vom Donnerstag.
Weltweite "Infodemie"
"Es ist unsere Aufgabe, für die Sicherheit der Menschen zu sorgen", heißt es in dem Schreiben, das aus Deutschland unter anderem der Berliner Virologe Christian Drosten, seine Braunschweiger Kollegin Melanie Brinkmann, der Bonner Urologe Jörg Ellinger und TV-Arzt Eckart von Hirschhausen unterzeichnet haben. "Wir haben es in diesem Moment allerdings nicht nur mit der Covid-19-Pandemie zu tun, sondern auch mit einer weltweiten 'Infodemie'" mit Fehlinformation, die "auf der ganzen Welt Menschenleben gefährdet".
Behauptungen etwa, dass Kokain ein Heilmittel oder das neuartige Coronavirus als biologische Waffe entwickelt worden sei, gehen den Experten zufolge oft schneller um den Globus als Sars-Cov-2 selbst. "Die Flutwelle an falschen und irreführenden Inhalten über das Coronavirus ist kein isolierter Ausbruch von Desinformation, sondern Teil eines globalen Problems", geben die Verfasser zu bedenken. Diese breit gestreuten Lügen seien sehr gefährlich, "weil sie falsche Heilmittel anpreisen oder die Menschen von Impfungen und wirkungsvollen Behandlungen abbringen wollen".
"Sofort aktiv werden"
Technologiefirmen versuchten zwar zu reagieren, "indem sie bestimmte Inhalte, wenn sie gemeldet werden, löschen", erkennen die Autoren an. Viele Plattformbetreiber erlaubten es der Weltgesundheitsorganisation WHO zugleich, kostenlose Anzeigen zu schalten. Diese Anstrengungen seien aber bei Weitem nicht genug. Die Angehörigen der Gesundheitsberufe rufen die Social-Media- und Chat-Anbieter deshalb auf, "sofort und systematisch aktiv zu werden". Die Plattformen müssten Richtigstellungen zu jedem einzelnen Beitrag mit "Gesundheits-Fehlinformationen" veröffentlichen – und das auch rückwirkend, fordern die Experten.
Plattformen wie Facebook seien auf Druck zivilgesellschaftlicher Allianzen wie Avaaz zwar dazu übergegangen, auf Fakten geprüfte "Fake News" entsprechend zu kennzeichnen. Das reiche aber nicht aus, meinen die Experten: Die Plattformen müssten zudem "ihre Algorithmen entgiften", die für die Anzeige von Inhalten verantwortlich sind. "Gefährliche Lügen sowie diejenigen Seiten und Gruppen, die sie verbreiten", sollten herabgestuft werden. "Wiederholungstäter" müssten aus den Empfehlungsalgorithmen ganz herausgenommen werden.
Vertreter von Facebook, Google und Twitter betonen dagegen immer wieder, dass sie schon zahlreiche Gegenmaßnahmen getroffen, tausende Beiträge mit Desinformation zu Covid-19 gelöscht und teils auch ihre Algorithmen angepasst hätten. Auf ihren Plattformen verlinkten sie zudem großflächig Nachrichten von "Qualitätsmedien" und Materialien von Gesundheitsbehörden. (vbr)