"Datenkraken" in Ă–sterreich
Kein Preis für Microsoft: Beim österreichischen Big Bother Award kümmerten sich die Juroren vor allem um die Alltagsprobleme der vom dreisten Umgang mit persönlichen Daten geplagten Österreicher.
Einen Tag nach der Verleihung des Preises für besondere Missachtung des Datenschutzes in Deutschland entschied auch die österreichische Jury über ihre Preisträger. Entgegen aller Erwartungen und trotz Nominierung in zwei Kategorien schaffte es Microsoft nicht, die Trophäe in Empfang nehmen zu können. Stattdessen kümmerten sich die Juroren vor allem um die Alltagsprobleme der vom dreisten Umgang mit persönlichen Daten geplagten Österreicher, wie Erich Moechel vom Mitveranstalter Quintessenz betont.
In der Kategorie Business und Finanzen ging der diesjährige Award an Uniqua, eine Krankenzusatzversicherung, die ihren Kunden eine sehr weitgehende "Zustimmung zur Ermittlung, Übermittlung und Verwendung von Daten" abverlangt. Die Daten dürfen bei Ärzten, Krankenhäusern, Sozialversicherungsträgern, Behörden und allen Einrichtungen erhoben werden, die etwas über den Gesundheitszustand des Versicherten wissen könnten. Wer hier unterschreibt, hat für alle Zukunft sämtliches medizinisches Personal von dessen Schweigepflicht entbunden.
In der Kategorie Politik ging der diesjährige Big-Brother-Award an den Verkehrsreferenten und stellvertretenden Landeshauptmann Erich Haider (SPÖ) für seine Linzer U-Bahn. Obwohl für dieses Prachtstück noch kein Spatenstich getan wurde, verfügt die Bahn bereits über ein perfekt geplantes Überwachungssystem mit Videokameras und Mikrofonen. Die Linzer U-Bahn soll frühestens im Jahre 2004 in Betrieb gehen. Das Überwachungskonzept basiert auf einem System, das die Österreichischen Bundesbahnen bereits im Großraum Wien einsetzen. Eine Software wertet dabei ungewöhnliche Bewegungen und ungewöhnliche Geräusche aus. "Zugleich überwacht das System auch die technische Sicherheit zum Beispiel der Aufzüge und Rolltreppen," lobt Erich Haider seine ausgezeichnete Innovation.
In der Kategorie Behörden konnte sich die Stadt Innsbruck mit ihrem Formular für den Sozialhilfeantrag überraschend platzieren. Das mehrseitige Papier verletzt nach Ansicht der Juroren nicht nur die Persönlichkeitsrechte der Antragsteller, die detailliert ausgefragt werden, sondern auch die Rechte deren Angehöriger.
In der Kategorie Kommunikation traf es diesmal die Stadt Klagenfurt in Kärnten. Der Klagenfurter Richtersenat hat sich zur Aufdeckung einer relativ kleinen Einbruchsserie von allen vier Mobilfunkanbietern gleich die Verbindungsdaten von Tausenden unschuldiger Bürgern beschafft, weil bei einem Einbruch mal ein Mobiltelefon mit einer Wertkarte liegenblieb.
In der Kategorie Lifetime schaffte es die Schuldatenbank der Bildungsministerin Elisabeth Gehrer bis unter die wohlwollenden Augen der kritischen Juroren. Ihr Bildungsdokumentationsgesetz regelt nicht nur die Erhebung der Stammdaten von Schülern. Ein Wust persönlichster Daten wird (un)passenderweise gleich mit verarbeitet. Dazu gehören unter anderem das religiöse Bekenntnis, die Eigenschaften als ordentlicher oder außerordentlicher Schüler, der festgestellte sonderpädagogische Förderbedarf, der Schulerfolg und der Bildungsverlauf. In dieser "Benimm- und Betragensdatenbank des Grauens", so die Juroren, wird ab demnächst mit unbestimmtem Löschdatum gespeichert, was bis jetzt noch der Gnade seligen Vergessens anheim fällt.
Den nicht sonderlich beliebten Publikumspreis heimste diesmal der österreichische Innenminister Ernst Strasser ein. Er beförderte systematisch hohe Beamte des Heeresgeheimdienstes in hohe Positionen seiner Behörde. Damit verknüpft er personell die Polizei mit dem Militär. Nebenbei wurde eine Kriminalitätsanalyse eingeführt, die personenbezogene Daten zur präventiven Erstellung von Lagebildern erfasst. Die Jury beschrieb spekulativ ein Lagebild, das Verflechtungen von Internet und Open-Source-Aktivisten, Hackern und alternativer Musikszene beschreibt; gefährlich, falls mal wieder vom Gespenst des Cyberterrors die Rede sei.
Technische Themen standen diesmal also nicht im Vordergrund, obwohl sich Microsoft bereits beschwert haben soll. Der Software-Riese sei mit seiner Nominierung gar nicht einverstanden, weil die Jury die Vorwürfe gegen Microsoft nicht ausreichend begründet hätte. Microsoft war gleich zweimal unter den Anwärtern auf den Big Brother Award vertreten. Im Bereich Business und Finanzen konnte der Redmonder Software-Riese für sich verbuchen, mit seinem Palladium-Projekt aus Softwarekunden abhängige Dauerschuldner zu machen, die nicht mehr frei über die Nutzung einmal gekaufter Produkte entscheiden können.
Im Bereich Kommunikation schaffte Microsofts MediaPlayer8 die Nominierung, weil er hinter dem Rücken des ahnungslosen Benutzers aufzeichnet und weiterleitet, wer wann welche DVD abspielt. Für die Jury fällt massiv ins Gewicht, dass diese Software mit ihrem Hersteller selbständig kommuniziert. "Der Kunde weiß davon nichts, sondern erfährt es über die Medien."
Nicht platzieren konnte sich auch die Firma Streamcast mit ihrer File-Sharing-Software Morpheus und dem Musikportal MusicCity. Morpheus ist ein Peer2Peer-Programm, das heimlich als Marketingtool arbeitet und gesammelte Daten ĂĽber die Surfgewohnheiten der User hinter deren RĂĽcken weiterleitet.
Die Werico Websites Right Control GmbH in Nussdorf ging trotz Nominierung ebenfalls leer aus. Sie betreibt mit kostenpflichtigen Abmahnungen ein besonders einträgliches Geschäft. Deutsche Fotomodels, die ihre Adresse im Impressum auf der eigenen Homepage fehlen ließen, wurden von Werico mit je 240 Euro abgemahnt. Die Jury befand, dass die Models aus einsichtigen Gründen ihre Adressen nur auf Anfrage herausgeben, denn schließlich wollen sie belästigende Anrufe und Besuche vermeiden.
Die Werico-Manager werden nicht traurig sein. Ihnen entging ein Preis, den sicher keiner haben will. Der österreichische Big Brother Award 2002 besteht aus einem 70 cm langen Rohr aus Plexiglas, das an beiden Enden verschlossen ist und lebende Kakerlaken enthält, die bis zu acht Zentimeter groß sind. Diese Kakerlaken wurden extra im Terrarium gezüchtet.
Die Juroren nutzten die Verleihung des diesjährigen Big Brother Awards auch für zwei einschlägige Jubiläen. Fast dreißig Jahre lang gibt es die Datenbank EKIS 01. "Ihr zweifellos gefährlichster Bestandteil ist der Kriminalpolizeiliche Aktenindex", warnen die Juroren vor dem "angeblich sicheren" Datenbank. In diesem Aktenindex seien nichts weiter als Halbwahrheiten und Vermutungen zusammengetragen worden. Das sei "wahrscheinlich einmalig in Europa." Ironisch wünschten die Juroren des österreichischen Big Brother Awards dann noch einem ihrer treuesten Kunden ein "langes, ruhiges Leben in der hochverdienten Pension." Karl Isamberth wurde durch seinen Vorschlag für eine zusätzliche Identifikationsnummer bekannt, mit der die Bürokratie künftig noch besser als heute den Überblick über jeden Österreicher behalten soll. ( Holger Bruns) / (wst)